Heribert Prantl, Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung, hat in einem Kommentar vom Donnerstag das Geschehen von Karfreitag und Ostern mit der aktuellen Krise durch das Coronavirus verglichen. „Die Welt befindet sich seit Wochen im Karfreitag; die Gesellschaft lebt in einer zerdehnten Zeit; und sie wartet auf das, was in der Bibel die Auferstehung heißt“, schreibt er. Ostern und die Bilder davon seien traditionell geprägt von Jubel, vom Triumph des Auferstandenen, vom Gelächter über den Tod, von Osterfeuer und Halleluja.
In diesem Jahr sei das Hochfest jedoch kein Fest, „weil alles ausfällt, was zu diesem Tag gehört, vor allem die Begegnung der Menschen miteinander“. Das diesjährige Ostern seien „Tage der großen Irritation“, schreibt Prantl und ergänzt, dass genau das etwas „Ur-Österliches“ sei. Denn die Evangelien berichteten nicht von Jubel, sondern vielmehr von „Entsetzen, Furcht und Zittern“ der Menschen ob des leeren Grabes. „Jubel? Freude? Enthusiasmus? Gar nicht, im Gegenteil, die Frauen fliehen“, schreibt er in der Süddeutschen. Die Ostererzählung im Markusevangelium ende mit Sprach- und Fassungslosigkeit. „In ihr spiegelt sich die Sprachlosigkeit des Ostern 2020, in der niemand vollmundig von der Auferstehung reden mag, selbst die Kirchen nicht“, meint Prantl weiter.
Stilles Osterfest könnte besondere Kraft entwickeln
Der Journalist findet im Bericht von Markus dennoch österliche Hoffnung, wenn auch versteckt: Der Evangelist berichtet von einem jungen Mann, der – nur mit einem Tuch bekleidet – bei der Verhaftung Jesu im Garten Gethsemane aufgegriffen wird, sich losreißt, dabei sein Kleidungsstück verliert und nackt flieht. Prantl sieht in diesem Jüngling eine Metapher für die „Nacktheit der Welt, die auch im Jahr 2020 spürbar ist: Helfern fehlen Schutzmasken, Kranken fehlen Medikamente, Experten fehlt Erfahrung, Geflüchteten fehlt Schutz“. Am Ostermorgen sei die Figur des jungen Mannes wieder da: im leeren Grab, bekleidet von einem leuchtend weißen Gewand. Er bezeuge die Auferstehung. Das neue Kleid sei „das Gewand zaghafter Hoffnung“.
Prantl resümiert, dass gerade in einem stillen Osterfest, wie es dieses Jahr sein wird, „mehr Nachdenklichkeit, mehr ehrliche Hoffnung, mehr sensible Sehnsucht“ stecken könnte als sonst. Gerade diese „prekäre Oster-Stille“ könnte eine besondere Kraft entwickeln – so wie beim ersten Osterfest.
Schädliche Viren und Bakterien gehören zur Schöpfung
Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung verwies diese Woche angesichts der aktuellen Situation auf die Bibel: Hiob repräsentiere den Menschen „in existenzieller Quarantäne“, da er keine Erklärung für sein Leid finde und sich deshalb von Gott verlassen sehe. Der Autor Peter Scherle, Leiter des Theologischen Seminars Schloss Herborn der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, sieht eine Parallele zwischen Hiob und der modernen Wohlfahrtsgesellschaft: „Wir halten es für unser Recht, dass es uns gut geht. Wir bestehen darauf, dass guten Menschen nichts Schlechtes widerfahren darf. Wir, die Menschen des reichen Nordens, fordern Gott auf, sich zu rechtfertigen, wenn unser eigenes Leben brüchig wird.“
Gott antworte Hiob, dass zur Schöpfung auch Lebensbereiche gehörten, die dem Menschen fremd seien und über die er nicht verfügen könne. Ähnlich sei es mit Viren und Bakterien, schreibt Scherle: „Auch diese sind Geschöpfe Gottes. Sie gehören zum Leben. Dass sie krank machen und töten können, auch das gehört zur Schöpfung.“ Ebenso gehöre es dazu, dass der Mensch anderen Gewalt antun könne. Selbst die im Buch Hiob erwähnten Tiere Behemot und Leviathan – in der altorientalischen Welt stünden sie für lebensfeindliche Chaosmächte – seien Geschöpfe Gottes und keine teuflischen Gegenspieler.
Coronakrise ist kein Leviathan
Das moderne Weltverständnis werde auch davon herausgefordert. „Es fällt uns Modernen schwer, die Ambivalenz der Welt auszuhalten. Wir wollen sie gern heil haben und heil machen.“ Jedoch seien Versuche, die Welt durch technische oder moralisch-ideologische Kontrolle eindeutig zu machen, tendenziell totalitär. Diese Gefahr sieht Scherle auch in der Coronakrise: „Plötzlich wird zur Infektionsbekämpfung ein immer weiter gehender ‚Ausnahmezustand‘ geduldet, der vor kurzem noch als totalitär gegolten hätte.“
Scherle warnt deshalb davor, die Corona-Pandemie als Leviathan zu sehen, den es zu fesseln gälte, und so „eine Art endzeitliche Schlacht zu konstruieren“. Es gehe hierbei um vorletzte Dinge, um die Abwägung von Gütern und das Begrenzen von Schäden. „Es geht nicht darum, die Schöpfung zu bewahren oder mit dem Leviathan zu spielen“ – dieses Spiel sei ohnehin Gott vorbehalten.
Von: Jonathan Steinert