„Zeit“-Titel: „Von guten Mächten“

80 Jahre nach seiner Ermordung erinnert „Die Zeit“ an den Theologen Dietrich Bonhoeffer. Die Beiträge zeigen, wie stark sein Erbe heute politisch umkämpft ist.
Von Norbert Schäfer
Zeit-Titel „Von guten Mächten"


Das Wochenmagazin „Die Zeit“ widmet sich in seiner aktuellen Ausgabe mit einem Schwerpunkt dem Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer, der vor 80 Jahren am 9. April 1945 von den Nazis im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet wurde. Unter dem Titel „Von guten Mächten“ entfaltet zunächst „Zeit“-Autor Volker Weidermann die Lebensgeschichte und den Glauben des lutherischen Theologen um dessen berühmt gewordene Worte des gleichnamigen Gedichtes.

„Das Lied ist beglaubigt durch das Leben und Sterben des Mannes, der es geschrieben hat“, schreibt Wiedermann über das Gedicht „Von Guten Mächten wunderbar geborgen“. Über Bonhoeffer, der die Zeilen kurz vor dem Weihnachtsfest 1944 aus der Haft an seine Verlobte Maria von Wedemeyer schrieb, heißt es in dem Artikel: „Für Dietrich Bonhoeffer war christliche Religion überhaupt nur dann von Belang, wenn sie hinaustrat aus den Kirchen und wirksam wurde in der Welt.“

Dass heute „Trumpisten und andere Nationalisten“ versuchten, Bonhoeffer zum „evangelikalen Heiligen“ zu „stilisieren“, der sich gegen das Establishment stemmte, bezeichnet Weidermann als „tragisch“. Auch einen Kinofilm über den Theologen, der im März in Kinos lief, bewertet der Autor kritisch. Weidermann nennt den Streifen einen „amerikanischen Verherrlichungsfilm“, der durch „herbeiinszenierte, eindimensionale, behauptete Aktualität politischen und künstlerischen Bankrott“ erleide.

Bonhoeffer-Begeisterung in den USA

Die Literaturwissenschaftlerin und Literaturredakteurin Elisabeth von Thadden widmet sich unter dem Titel „Die Liebe zur Mathematik“ der Adressatin von Bonhoeffers Gedicht – seiner Verlobten Maria von Wedemeyer. Der Artikel skizziert die Lebensgeschichte der Frau, mit der sich Bonhoeffer „fast nie unter vier Augen“ treffen konnte und deren Glück bald nach der Verlobung durch die Verhaftung des Verlobten zerrissen wurde.

In „Streit um sein Erbe“ geht der amerikanische Theologe und Ethiker William Schweiker in der Rubrik „Glauben & Zweifeln“ den Gründen für die Faszination „der Amerikaner aller politischer Lager“ an Bonhoeffer nach. „Weil er den Mut hatte, gegen das zu kämpfen, was wir die Kräfte des Bösen nennen“, schreibt Schweiker. Die Bonhoeffer-Begeisterung im Trump-Lager gehe „einher mit der Behauptung, die Vereinigten Staaten seien eine christliche Nation”. Das ist sie nach Schweikers Angaben aber nie gewesen.

Am meisten stört den Autor an der Vereinnahmung Bonhoeffers durch die Rechten der Umstand, dass viele nicht sähen, „wie viel es diesen Theologen gekostet hat, den bewaffneten Widerstand zu bejahen“. Bonhoeffer werde in den USA von Linken und Moderaten bewundert, gelte bei Konservativen und Rechten als Heiliger. Daraus sei ein regelrechter Kulturkampf entstanden, bei dem jede Seite versuche, ihre Positionen mithilfe Bonhoeffers zu rechtfertigen.

Trump-Unterstützer wie Bonhoeffer-Biograf Eric Metaxas nutzten den deutschen Theologen „als Gewährsmann, um den Staat selbst und unsere großen Freiheiten anzugreifen: Redefreiheit, Pressefreiheit, Wissenschaftsfreiheit“. Schweiker stößt sich an der „rechte Rede vom ‚Bonhoeffer-Moment’“, einem Schlagwort, das Metaxas populär gemacht habe. Er schreibt: „Und zu viele meinen damit, es sei wieder an der Zeit für gewaltsamen Widerstand. Das aber ist eine krasse Verfälschung von Bonhoeffers Geschichte.“ Bonhoeffer habe „nicht sein Ja zum Tyrannenmord“ ausgezeichnet, „sondern sein Mut, dem eigenen Gewissen zu folgen – christlich zu handeln, als es darauf ankam. Und nicht, als es bequem war“.

In den USA populärer als in der Heimat

Schließlich geht ein Großneffe Bonhoeffers, der Historiker Tobias Korenke, dem Mythos auf den Grund, dass die Deutschen „ihren Bonhoeffer schon immer verehrt“ hätten. Unter dem Titel „Die Amerikaner liebten ihn zuerst“ verdeutlicht der Autor, dass sich „die Nachkriegsgesellschaft der allzu willigen Mitläufer und Täter“ an Bonhoeffer gestört hat.

Erst Ende der Sechzigerjahre habe sich ein „helleres Bild“ des Theologen in Kirche und Gesellschaft durchgesetzt. Als Grund nennt Korenke unter anderem die Veröffentlichung der Schriften Bonhoeffers, besonders die posthum erschienenen Briefe des Theologen aus dem Gefängnis unter dem Titel „Widerstand und Ergebung“.

Korenke stört sich an der „Verkitschung“ von Bonhoeffer-Worten in Todesanzeigen, besinnlichen Kalendern und Postkarten. Zur Vereinnahmung des Theologen durch US-Amerikaner und die Empörung von Deutschen darüber, schreibt der Historiker: „Er ist in den USA, wo er studiert und viele Freundschaften geknüpft hatte, populärer als in seiner Heimat.“ Dort lebe er in der Erinnerung vieler Christen fort. Als „bitter“ bezeichnet der Autor den Umstand, dass „nationalistisch gesinnte Evangelikale seine Schriften nun benutzen, um ihren Kampf gegen eine liberale, offene Gesellschaft zu rechtfertigen“. Gegen die „öffentliche Verfälschung“ Bonhoeffers braucht es nach Auffassung Korenkes „Räume für eine ehrliche Erinnerung“.

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