ZDF-Journalistin Slomka warnt vor Pauschalkritik an Medien

ZDF-Moderatorin Marietta Slomka verteidigte bei den Österreichischen Journalismustagen ihre Zunft gegen Pauschalkritik. Lügenvorwürfe gegen die Medien dienten dazu, Journalismus systematisch in Verruf zu bringen. Auch der Wissenschaftler Bernhard Pörksen warnte bei der Medienenquete in Wien vor aggressiver Medienkritik.
Von PRO
Der objektiven Wahrheit könnten sich Journalisten oft nur so weit wie möglich annähern, erklärte Marietta Slomka

Der Aufruf, Medien sollten neutraler und objektiver berichten, komme häufig von jenen, „die selbst sehr starke Meinungen vertreten und auch glühende Parteigänger sind“. Das war eine der zentralen Thesen von „heute journal“-Moderatorin Marietta Slomka bei den fünften Österreichischen Journalismustagen, die dieses Jahr unter dem Motto „Macht die Politik die Medien kaputt?“ im Funkhaus des ORF-Radio in Wien stattfanden. „‚Neutral‘ ist inzwischen das neue, alte ‚Entweder ihr seid für uns oder gegen uns‘“, unterstrich die ZDF-Journalistin ihren Punkt. Alles, was nicht der eigenen Position mancher Kritiker entspreche, sei für diese „nicht neutral“.

Dass politische Akteure Medien kaputt machten, geschehe nicht immer mit brachialen Mitteln, sondern in subtiler Form – und das auch nicht ausschließlich von der rechten, sondern etwa auch von der linken Seite des politischen Spektrums. Einerseits würden „die Medien“ als einheitlicher, „monolithischer Block“ verstanden. Dabei werde verkannt, dass nicht nur unterschiedliche Formate, sondern auch einzelne Redakteure oft unterschiedliche Meinungen verträten. Die andere Strategie sei es, „grundsätzliche Zweifel“ zu säen „an der Redlichkeit unseres Berufstands“: „Wenn man nur oft genug ‚Propagandasender‘ oder ‚Lügenpresse‘ schreit, dann bleibt was hängen“. Das passiere systematisch und gehe „irgendwann in den allgemeinen Sprachgebrauch über“.

Diese neue Form der Pauschalkritik sei ihrer Redaktion erstmals mit der Krimkrise 2014 begegnet, immer verbunden mit dem Tenor: „Westmedien verbreiten systematisch Lügen, sind notorisch russlandfeindlich oder von ihren Regierungen oder der CIA gesteuert.“ Auch seien tatsächliche Fehler in einzelnen Nachrichtenbeiträgen dazu genutzt worden, um zu untermauern, „dass wir als ZDF, als das ganze ZDF bewusst und systematisch Berichterstattung verfälschen. Und das wurde von vielen geglaubt.“

„Der Wahrheit kann man sich oft nur annähern“

Im Gegensatz dazu warb Slomka in ihrer Rede für ein differenziertes Verständnis von Objektivität. Einerseits hätten Journalisten natürlich den Anspruch, unvoreingenommen, ausgewogen und wahrhaftig zu berichten, Fakten und Argumente auch dann zu nennen, wenn sie nicht ins eigene Konzept passten, und den Konjunktiv zu benutzen, wenn man unsicher sei. Andererseits sei Objektivität im Journalismus nicht in diesem Sinne möglich, „wie Mathematiker Prozente berechnen“.

Im Übrigen könne man sich dem Wahrheitsgehalt einer Information oft genug nur annähern. Den Objektivitätsbegriff zu relativieren bedeute aber nicht, ihn für nichtig zu erklären, da dies zu einer Welt führte, „in der jeder seine alternativen Fakten präsentieren kann“. Man könne Fakten zwar unterschiedlich interpretieren und etwa darüber diskutieren, ob 5.000 Demonstranten viele oder wenige seien, „aber auf die Zahl ungefähr 5.000 sollten wir uns doch wenigstens einigen können“, erklärte sie beispielhaft.

Das Radiokulturhaus ist Teil des historischen ORF-Funkhauses, in dem sich unter anderem der Sitz der Radiosender Ö1 und FM4 sowie der des Wiener Landesstudios befinden. Hier fanden vergangene Woche auch die Östereichischen Journalismustage statt. Foto: Manfred Werner/Tsui, Wikipedia | CC BY-SA 3.0 Unported
Das Radiokulturhaus ist Teil des historischen ORF-Funkhauses, in dem sich unter anderem der Sitz der Radiosender Ö1 und FM4 sowie der des Wiener Landesstudios befinden. Hier fanden vergangene Woche auch die Östereichischen Journalismustage statt.

Objektivität dürfe auch nicht so verstanden werden, dass Journalisten auch extremen Meinungen eine Bühne bieten müssten. Im Gegenteil: Sie sei als Journalistin eines öffentlich-rechtlichen Senders über den Rundfunkstaatsvertrag dem Grundgesetz, der Rechtsstaatlichkeit, der internationalen Verständigung und der Achtung von Freiheit verpflichtet, erklärte Slomka. Andererseits seien Journalisten aber auch keine politischen Aktivisten und sollten sich Slomkas Meinung nach nicht nur von politischen Parteien sondern auch vor Kampagnen aller Art fernhalten – außer wenn es um Medienfreiheit selbst gehe, wie sie auf Nachfrage von pro betonte.

Wiener Schnitzel wurde nicht verboten

Wolfgang Böhm, der das Europa-Ressort der österreichischen Tageszeitung Die Presse leitet, sprach über das Spannungsfeld zwischen seriösem Journalismus und dem Versuch, Online-Artikel derart zuzuspitzen, dass sie in Sozialen Medien möglichst viel Aufmerksamkeit wecken. Da das Basiswissen der Österreicher über die EU relativ gering sei, sei es für Medien leicht, Berichte mit Vorurteilen zu verbinden.

Mit einem Aprilscherz um das vermeintliche EU-Verbot des Wiener Schnitzel erreichte die Zeitung Die Presse eine hohe Reichweite, berichtete Wolfgang Böhm Foto: pro/Raffael Reithofer
Mit einem Aprilscherz um das vermeintliche EU-Verbot des Wiener Schnitzel erreichte die Zeitung Die Presse eine hohe Reichweite, berichtete Wolfgang Böhm
Sebastian Fellner, Journalist bei der österreichischen Zeitung Der Standard, mahnt verantwortungsvolle Suizid-Berichterstattung an Foto: pro/Raffael Reithofer
Sebastian Fellner, Journalist bei der österreichischen Zeitung Der Standard, mahnt verantwortungsvolle Suizid-Berichterstattung an

Deutlich gemacht hat das ein Aprilscherz seiner Zeitung: Die Presse berichtete am 1. April 2015 darüber, dass die EU das Wiener Schnitzel verbieten wolle. Diese Falschnachricht war einer der meistgeklickten Artikel der Zeitung – und wurde sogar von Heinz-Christian Strache – Chef der rechtspopulistischen Partei FPÖ und inzwischen Österreichs Vizekanzler – auf Facebook geteilt. Im Gegensatz dazu mahnte Böhm EU-Berichterstatter an, auf Vorurteile und allzu starke Vereinfachung zu verzichten.

Wie können Medien über Suizide berichten, ohne andere zu solchen Taten zu verleiten? Darüber sprach Sebastian Fellner, Redakteur der Tageszeitung Der Standard. Um einen Nachahmer-Effekt zu verhindern, solle die Berichterstattung möglichst dezent ausfallen, die Geschichte nicht mit Pathos aufgeladen und Details zu Ort und Methoden weggelassen werden. Fokus eines solchen Artikels solle hingegen das Leben des Verstorbenen sein. Der Standard hat sich hierzu nach einem redaktionsinternen Workshop mit Suizid-Experten einen Leitfaden verordnet und einzelne Redakteure zu Ansprechpartnern weitergebildet.

Bei den Journalismustagen wurde zudem der Beitrag „Nicola Werdenigg: Es gab Übergriffe. Von Trainern, Betreuern, Kollegen“ zur Story des Jahres gekürt: Eine protokollhafte Aufzeichnung von Philipp Bauer in der Zeitung Der Standard, in der Ex-Skirennläuferin Nicola Werdenigg sexuelle Übergriffe im Skisportbetrieb öffentlich macht.

Pörksen: Aggressive Medienkritik zielt auf Vernichtung des Journalismus

Um wirtschaftliche Aspekte und politische Rahmenbedingungen der Medien und insbesondere des öffentlich-rechtlichen ORF ging es bei der Medienenquete am Donnerstag und Freitag. Hinter diesem Namen versteckt sich eine medienpolitische Diskussionsveranstaltung des österreichischen Medienministers Gernot Blümel (ÖVP), aus der sich konkrete Vorschläge zur Medienpolitik im digitalen Zeitalter und insbesondere zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen ORF ergeben sollten. Blümels Koalitionspartner – die rechte FPÖ – hatte den ORF in den vergangenen Monaten heftig kritisiert und teilweise diskreditiert.

Dem Vernehmen nach diente die Medienenquete auch dazu, die FPÖ wieder „einzufangen“ und mit ihr gemeinsam eine Rundfunkreform zu erarbeiten. Medienmanager Matthias Döpfner – Chef von Axel Springer – plädierte in einer Rede dafür, dass die EU in ihrer Gesetzgebung den Europäischen Verlagen den Rücken stärkt, damit diese sich gegenüber amerikanischen Internetgiganten behaupten können. Er äußerte zudem, dass eine übertriebene Form von Political Correctness Menschen letztlich in den Populismus führe.

Ähnlich wie Slomka beklagte der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen eine „aggressive Form von Medienkritik“, die nicht auf die Verbesserung des Journalismus ziele, sondern auf „seine Demontage oder gar seine Vernichtung“. Insbesondere verortet Pörksen auch in Europa zum Teil einen „medienpolitischen Trumpismus“: „Das ist ein Stil des Umgangs mit kritischen Journalisten, der sich erkennbar an Donald Trump orientiert: Autoritär, kränkungsgesteuert, ohne jedes Gespür für demokratierelevante Kollateralschäden des eigenen Vorgehens.“ Und weiter: „Das Klima der Einschüchterung gegenüber unabhängigen Journalisten ist fatal. Weil es einen ganz einfachen Zusammenhang gibt: Ohne unabhängigen Journalismus keine Demokratie.“

Von: Raffael Reithofer

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