Soll die Kirche das Alte Testament aus dem biblischen Kanon entfernen? Der im 1. und 2. Jahrhundert lebende Marcion fand: Ja – und ging als einer der größten Ketzer in die Geschichte ein. Für ihn gab es einen guten, liebevollen Gott, der im Neuen Testament zu Hause war. Und einen bösen, kaltherzigen Gott – den des Alten Testaments nämlich. Seit Marcion hat es immer wieder theologische Debatten darum gegeben, ob das Alte Testament denn überhaupt noch zum biblischen Kanon gehören darf.
In den vergangenen Tagen ist erneut ein erbitterter Streit darum entbrannt. Ausgangspunkt ist ein Aufsatz des Theologie-Professors Notger Slenczka von der Humboldt-Universität Berlin aus dem Jahr 2013. Darin fordert er, das Alte Testament künftig nicht mehr als verbindlich für Leben und Lehre der Kirche zu behandeln, sondern den Apokryphen gleichzustellen: Schon nützlich, aber nicht auf derselben Stufe wie das Neue Testament.
Slenczka argumentiert, kanonisch dürfe eine Schrift nur sein, wenn sie das Evangelium verkündet. Diese Annahme ziehe sich durch die gesamte Kirchengeschichte. „Historisch gesprochen verkündigt das Alte Testament aber nicht Jesus“, sagte Slenczka im Interview von Christ und Welt. Das Alte Testament sei vielmehr die „Vorgeschichte“ des christlichen Glaubens, schreibt er in seinem Aufsatz. Mit dem Ketzer Marcion hat Slenczka also wenig gemein.