Yared Dibaba ist als Fernsehmoderator, Entertainer, Schauspieler, Autor und Musiker bekannt – und als jemand, der gerne Plattdeutsch spricht. PRO trifft den 55-Jährigen, der aber jünger aussieht, in einem Restaurant im Hamburger Stadtteil Altona. Er trägt einen khakigrünen Pullover mit weißen Wellenstreifen und hellblaue Jeans, grüßt mit breitem Lächeln und festem Händedruck. Der Restaurantbesitzer empfängt Dibaba sehr freundlich. Sie unterhalten sich, als würden sie sich schon lange kennen. Dibaba ist hier Stammgast.

Wenn Yared Dibaba von seiner Heimat im äthiopischen Oromia erzählt, wirkt er froh. „In Oromia sind wir in großer Freiheit aufgewachsen“, erinnert sich das mediale Multitalent. Dort wurde er geboren, mit seiner Familie lebte er dort bis zu seinem zehnten Lebensjahr, als sein Vater einen Studienplatz für Erziehungswissenschaften in Deutschland bekam. Das war 1973.

Selbstbewusster Norddeutscher und Oromo

Mehr als ein halbes Jahrhundert ist seither vergangen, doch Dibabas erste Erinnerungen sind noch hellwach. Es ist Winter, die Straßen in Osnabrück sind dunkel. In einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung leben Dibaba, seine zwei Geschwister und seine Eltern. Seine neue Heimat erlebt er als fremd und anders: „Leise sein, dann nur fremde Menschen um uns herum. Andere Sprache, andere Mentalität.“

Dibabas Eltern waren beide berufstätig. Der Arbeitsweg seiner Mutter war gleichzeitig der tägliche Weg in den Kindergarten. Denn der Kindergarten befand sich im Krankenhaus. Dibaba und seine Geschwister lebten sich schnell ein. Sie lernten die deutsche Sprache und gingen in Osnabrück zur Schule. 1976 versuchte die Familie, nach Äthiopien zurückzukehren. Das schaffte sie zunächst auch – doch dort konnte sie nicht lange bleiben: Nach dem Zusammenbruch der Monarchie wurde Äthiopien eine sozialistische Volksrepublik, ein Bürgerkrieg brach aus. 1979 gelang der Familie die Flucht nach Deutschland. In Falkenburg in Niedersachsen baute sie sich ein neues Leben auf.

Heute sagt Dibaba: Deutschland ist seine Heimat. Genauer gesagt: Norddeutschland. „Seit 45 Jahren lebe ich hier. Hier habe ich schöne und traurige Erinnerungen.“ Dibaba fühlt sich in Norddeutschland sicher und geborgen. Daher hat er die Sprache Norddeutschlands lieben gelernt: Plattdeutsch. Gelernt hat er sie in der Schule in Falkenburg. Bis heute spricht der 55-Jährige in verschiedenen Formaten und schreibt Bücher über Plattdeutsch. Gleichzeitig fühlt er sich seinen Wurzeln in Äthiopien als Oromo sehr verbunden.

Auf die Frage, ob Dibaba mit Rassismus konfrontiert wurde, antwortet er: „In meiner Anfangszeit gab es Klischees. Die Hautfarbe spielte immer eine Rolle.“ Für ihn ist Rassismus ein Teil des Lebens. Es sei ein System, das sich über Jahrhunderte aufgebaut und entwickelt habe. „Es ist wichtig, dass wir lernen, im Alltag damit umzugehen“, sagt Dibaba.

Als einer der ersten Schwarzen im deutschen Fernsehen konnte der 55-Jährige seine Hautfarbe auch als Chance nutzen. „Warum soll es keinen schwarzen Bauern geben, der Plattdeutsch spricht?“ Dibaba hofft, dass seine Präsenz im deutschen Fernsehen andere Schwarze ermutigt und motiviert.

Obwohl Dibaba Rassismus erlebt, sieht er sich nicht zwischen den Stühlen zweier Identitäten. „Ich bin nicht weniger Norddeutscher, weil ich ein selbst­bewusster Oromo bin. Und ich bin nicht weniger Oromo, weil ich ein selbstbewusster Norddeutscher bin.“ Dibaba hat gelernt, sich in beiden Gemeinschaften zu bewegen. Für ihn gibt es kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch.

Die Bühne ist sein Zuhause

Seine Liebe zur Bühne entdeckt Yared Dibaba schon als Kind. Er macht beim Schul- und Kindertheater mit, spielt Instrumente und sucht immer wieder die Bühne. „Ich habe schon als Kind gerne geredet, kommuniziert und Menschen unterhalten“, sagt Dibaba. Er besuchte von 1993 bis 1996 eine Schauspielschule in Bremen, hatte Gesangsunterricht am Konservatorium, begann, Veranstaltungen zu moderieren und kam damit ins Fernsehen.

Dibaba durchlief seitdem viele Stationen im Fernsehen und im Radio. Wie zum Beispiel bei den Sendungen „Style Attack“ bei Vox, „News nach Neun“ bei 9 Live, bei „Die Welt op Platt“ oder bei der „NDR Talk Show“, in der er zusammen mit Bettina Tietjen als Gastmoderator arbeitete. Mittlerweile moderiert er mehrere Sendungen für den NDR.

Dibaba folgt mit seiner Band „Yared Dibaba und die Schlick­rutscher“ seiner Leidenschaft zur Musik. Zusammen gehen sie auf Konzert-Touren und singen plattdeutsche Seemannslieder verpackt mit Rhythmen aus Reggae, Pop, Hip-Hop und Rock. Was viele nicht wissen: Dibaba ist Christ. Er kam durch seine Eltern zum Glauben, wuchs evangelisch-lutherisch auf. Sein Vater leitete eine Radiosendung einer Missionsschule in Oromia. Seine persönlichen Berührungspunkte mit Gott erlebte der Fernsehstar als Kind in seiner Heimat.

Vor allem während der Schrecken des Bürgerkriegs in Äthiopien suchte er die Nähe Gottes. Dabei habe ihn die Ruhe, die gläubige Menschen ausstrahlten, inspiriert. Zudem habe es in Äthiopien viele Menschen gegeben, die einer Religion angehörten und öffentlich beteten. Damit beginnt auch der junge Yared, als immer klarer wird, dass die Familie fliehen muss. Dass sie es tatsächlich geschafft hat, ist für Dibaba der Beweis, dass es einen Gott gibt: „Es gibt Gott. Es gibt eine Kraft, die uns beschützt, eine Kraft, die uns trägt.“

Diese Kraft Gottes spürt der Fernsehmoderator bis heute. Oft geht er zum Beten in die Kirche. „Ich glaube an die Nächstenliebe“, sagt Dibaba. Darin sieht er ein wichtiges Instrument für das Zusammenleben und das Miteinander in der Gesellschaft.

„Allens, wat blifft, is, dat Gloven, dat, wat wi hööpt un de Leevd. Dat Gröttste vun all is de Leevd.“

Als Botschafter der Organisation „Seenotretter“ und der Stiftung „To Huus“ unterstützt er Flüchtlinge, die eine Unterkunft suchen. Auch das Projekt der Organisation „Gesellschaft für bedrohte Völker“, die sich unter anderem für das Oromo-Volk einsetzt, liegt Dibaba am Herzen. Für diese Organisation engagiert er sich als Schirmherr.

Dibaba setzt sich gerne für die Themen dieser Organisationen ein, weil sie einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten: „Die Achtung der Menschenrechte, die zum christlichen Glauben und zu anderen Religionen gehört, ist ein Akt der Nächstenliebe. Ohne Achtung der Menschenrechte gibt es keinen Frieden“, erklärt Dibaba.

Der Umgang mit Vielfalt als Werkzeug der Nächstenliebe

Der Medienprofi möchte seine Präsenz in der Öffentlichkeit nutzen, um etwas von seinem „Glück“ zurückzugeben. „Viele Menschen haben dieses Glück nicht und werden nicht wahrgenommen“, sagt Dibaba. Als Mitherausgeber des evangelischen Magazins „Chrismon“ will sich Dibaba weiterhin zu den Themen Menschenrechte, Inklusion und Vielfalt äußern. Der Umgang mit Vielfalt müsse gelernt werden. Bei diesem Lernprozess unterstützt Dibaba die Menschen mit seinen Diversity-Trainings.

„Vielfalt ist nicht nur ein Schatz. Vielfalt bedeutet auch Konflikte, Verhandlungen und Schmerz. Denn wir machen Fehler und müssen daraus lernen“, sagt Dibaba. Wenn es um Nächstenliebe und Menschenrechte gehe, müsse man lernen, mit Vielfalt umzugehen, sagt Dibaba. Als Diversity-Trainer gibt er Workshops, hält Vorträge und spricht in einem Podcast über das Thema.

„Wenn wir lernen, mit Vielfalt umzugehen, haben wir einen guten Kompass, um mit Veränderungen umzugehen.“ Dibaba will Lust auf Vielfalt machen. Diversität sei ein Muskel, der jeden Tag trainiert werden müsse, so Dibaba. „Manchmal fällst du hin, manchmal stehst du wieder auf. Aber am Ende macht es dich fitter. Es macht dich klüger. Es macht dich widerstandsfähiger.“

Dibaba nimmt einen letzten Schluck Wasser. Zum Abschied gibt er auf Bitten der Reporterin noch einen Bibelvers aus 1. Korinther 13,13 zum Besten – auf Plattdeutsch: „Allens, wat blifft, is, dat Gloven, dat, wat wi hööpt un de Leevd. Dat Gröttste vun all is de Leevd.“ – „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

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