Die Kirchen sind ein guter Diskussionspartner in medienkritischen Debatten. Das bescheinigte der Programmdirektor der ARD den beiden Großkirchen in Deutschland. Im Zentrum einer Podiumsdiskussion zum Thema „Journalismus zwischen Aufklärung und Skandalisierung“ stand die Causa Wulff.
Von PRO
Foto: pro
Der Produzent Nico Hofmann (li.) drehte einen Film über die letzten Tage von Christian Wulff als Bundespräsidenten. Die Zuschauer-Reaktionen auf Twitter schockierten ihn
Es dauerte ein Weilchen, bis Jörg Bollmann, Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP), den Satz aus ARD-Programmdirektor Volker Herres herausgekitzelt hatte: „Die Kirchen sind ein guter Diskussionspartner in medienkritischen Debatten.“ Die Redaktionsleiterin vom „heute journal“, Anne Reidt, bemerkte mit einer kleinen Spitze: „Es ist immer gut, sich von außen spiegeln zu lassen. Besonders dann, wenn die Glaubwürdigkeit der Institutionen selbst unstrittig, das heißt transparent, ist.“ Und versöhnlich: „Margot Käßmann hat einen Maßstab gesetzt in Sachen Glaubwürdigkeit.“
Die Diskussionsrunde, der außer den beiden Vertretern von ARD und ZDF noch der Filmproduzent Nico Hofmann, Wulff-Anwalt Gernot Lehr und Landesbischof Ralf Meister angehörten, widmete sich am Mittwoch beim Evangelischen Medienkongress in Leipzig im Wesentlichen dem Fall Christian Wulff.
„Selbstkritik, aber keine Selbstgeißelung“
Christian Wulffs Anwalt Gernot Lehr kritisierte die Medien, die nach dessen Auffassung im Fall des ehemaligen Bundespräsidenten in weiten Teilen versagt hätten: „Es muss das Ziel des Journalismus sein, einen möglichen Missstand aufzuzeigen, aber gleichzeitig deutlich zu machen, dass der, der in den Verdacht geraten ist, möglicherweise zu Unrecht in Verdacht geraden ist. Das ist zu wenig passiert.“ Die Medien hätten ihren Zuschauern vielmehr vermittelt: „Da ist doch was dran.“
Mit bemerkenswerter Offenheit erklärte Anne Reidt, dass die Redakteure des „heute journals“ in „einen Sog geraten“ seien: „Heute würde ich sagen: Wir hätten nicht alles präsentieren müssen. Natürlich haben wir uns gefragt: Was ist Thema des Tages? Wir wollten es fortschreiben. Das haben wir zu viel gemacht.“ Außer, dass die Menge der Berichterstattung zum Fall Wulff zu hoch gewesen sei, habe sie sich aber nichts vorzuwerfen: „Wir haben immer versucht, Stimmen zu finden, die für Herrn Wulff sprechen. Da haben sich erschreckend wenig bei uns geäußert.“ Daher bestände zwar Grund zur Selbstkritik, nicht aber zur Selbstgeißelung.
Für Volker Herres zeigt der Fall Wulff, wie Journalismus sich verändert habe: Echtzeitjournalismus sei immer ein Abwägen zwischen klassischer Qualität und einem „Wettlauf, der manchmal zur Besinnungslosigkeit führt“. Er sei der Letzte, der glaube, dass „Journalismus harmloser, schonungsloser“ werden müsse: „Journalismus ist auch eine Zumutung in der Gesellschaft, und die muss man ertragen.“
Dennoch müssten die öffentlich-rechtlichen Sender unterscheidbarer sein: „Man muss nicht jeden Wettlauf mitmachen.“ Stattdessen sprach er sich für mehr Sorgfalt aus: „Zur Recherche gehört auch, die These, die man hat, in Frage zu stellen. Das vermisse ich im jetzigen Journalismus.“
Hämischer Journalismus
Nico Hofmann, der den Wulff-Film drehte, der in diesem Jahr auf Sat.1 lief, wies darauf hin, dass das Publikum in weiten Teilen offenbar anderes als Qualitätsjournalismus erwarte. Bei dem Wulff-Film sei es ihm darum gegangen, die Protagonisten so fair darzustellen, dass auch sie sich den Film anschauen könnten. Der Twitter-Verlauf während der Ausstrahlung habe ihn dagegen schockiert. Es sei offenkundig gewesen, dass der Film die Zuschauer enttäuscht habe, die ihn offenbar „in gewisser Erregung geschaut“ und beklagt hätten, dass der Film beispielsweise nicht mehr Details über die Ehe der Wulffs preisgegeben habe. „Das hat mir zu denken gegeben“, erklärte der Filmemacher.
Den Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Kirche Hannovers, Ralf Meister, schien dies nicht zu überraschen. Seine Meinung: „Der Journalismus konnte das, was wir theologisch die Unterscheidung zwischen Sünde und Sünder nennen, nicht aufrecht erhalten. Es ging darum, den Sünder zu zerstören.“
ARD-Programmdirektor Herres hielt dagegen: „Es gibt Beispiele von Journalismus, der hämisch ist. Aber es gilt der Grundsatz, dass man Menschen nicht zerstören darf. Über die Balance wird derzeit viel in den Medien nachgedacht.“
„Kann es in Zeiten von Livetickern überhaupt besser werden?“, fragte Rechtsanwalt Lehr und zeigte sich skeptisch. „Von den Medien wird keine Chance gegeben.“
Und doch sei kritischer Journalismus zwingend notwendig, wie Anne Reidt veranschaulichte. So stände im Buch von Christian Wulff, dass sie (das Ehepaar Wulff) „natürlich gut dastehen wollten“ und deswegen der Bild-Zeitung exklusiv zusicherten, sie am Tag der Amtseinführung zu begleiten. „Es ist Pflicht Öffentlich-rechtlicher, das so zu thematisieren.“ (pro)
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