Analyse

Wort und Wirkung – Teil I: Das Kanzlerduell

Am Sonntag trafen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und sein CDU-Herausforderer Friedrich Merz im TV-Duell aufeinander. Wie kamen sie rüber? Wie wirkten Worte und Auftreten? Rhetoriktrainer Hanno Herzler hat es für PRO analysiert.
Von PRO

Die Höhe!

Die Pulte waren unterschiedlich hoch. Haben Sie’s bemerkt?

Scholz gegen Merz, 1,70 gegen 1,98 Meter Körpergröße. Die 28 Zentimeter Unterschied wurden nicht völlig ausgeglichen, aber haltungsfreundlich berücksichtigt. Zwölf bis 15 Zentimeter mehr tun dem Hochgewachsenen da schon gut.

Man konnte diese beiden Kandidaten im TV-Duell am Sonntag (9.2., 20:15 Uhr ARD und ZDF) schlecht an gleich hohe Redepulte stellen; denn was für den einen die optimale Höhe ist, lässt den anderen entweder untergehen (Scholz) oder weit ins Nichts hinausragen (Merz).

Trivial? Keineswegs. Denn wie und woran einer steht, entscheidet mit darüber, ob er „seinen Standpunkt klarmachen“ kann. Um beim Publikum „anzukommen“, muss man erst mal in der eigenen Rede-Situation ankommen; ein Unbehagen oder Missverhältnis nimmt der Zuschauer oft unterbewusst wahr. Tucholsky hat bereits vor 100 Jahren gesagt: „Ein Podium ist eine unbarmherzige Sache – da steht der Mensch nackter als im Sonnenbad.“ Man sieht alles!

Der Zuschauer sah zum Beispiel, dass Olaf Scholz’ Krawatte für das unter Kameraleuten gefürchtete Moiré sorgte; das heißt, sie flimmerte vor den Augen. Sie wirkte einfach zu kleinkariert. Falls Ihnen hier ein Scherz durch den Kopf geht, denken Sie an das, was Ricky Schroder als „Der kleine Lord“ im Film zu Alec Guinness sagte: „Man schließe nicht von der Kleidung auf den Mann!“

In einem TV-Studio sind eigentlich Menschen in der Garderobe dafür zuständig, Störungen wie das Moiré zu verhindern. Wer im Fernsehen auftritt, bringt am besten mehr Kleidung mit, dann kann man was ausprobieren. Denn vor der Kamera steht man erst recht „nackter als im Sonnenbad“.

Vermutlich keinen Einfluss hatten die Redner auf den Hintergrund. Der Noch-Kanzler war derjenige, der sich deutlich mehr bewegte, ganz nach seinem Ausspruch am Anfang: „Ein bisschen locker soll’s auch sein.“ Wenn nun die Kamera sinnvollerweise der Bewegung des Kanzlers folgte, schuf das Hintergrundmuster Unruhe. Ein einfarbiger Hintergrund wäre besser gewesen.

Die Bildregie setzte meist beide Kandidaten, den redenden wie den schweigenden, groß ins Bild – per „Splitscreen“. So waren stets auch Mimik und Haltung des momentan Passiven zu sehen. Nota bene: „Wenn du schweigst, bist du nicht offline!“

Allgemein überwiegt bei einem solchen Auftritt der visuelle Aspekt den auditiven – der Psychologe Albert Mehrabian gibt schon 1967 ein Verhältnis von 55 zu 38 Prozent an (die restlichen 7 Prozent der Wahrnehmung der Zuschauer gelten übrigens dem Inhalt).

Gestik

Nur gegenüber wenigen Menschen dürfte Olaf Scholz’ Gestik als die lebendigere gelten – hier war es der Fall. Merz freilich zeigte bei seiner Rede auf dem CDU-Parteitag neulich mehr körperlichen Ausdruck; er ging „mehr aus sich heraus“. Im Rhythmus seiner Betonungen mit der Faust nach unten zu schlagen – glücklicherweise nur in die Luft, nicht auf das Pult –, sollte man nicht zu oft machen. Sehr gut stand ihm hingegen – wiederum auf dem Parteitag – eine Geste, bei der er während eines Satzes allmählich die Hände öffnete und auch offen beließ.

Dieses Halten der Stellung, die die Hände und der ganze Körper am Ende eines Satzes erreicht haben, das sogenannte „Freezen“ (Einfrieren) einer Bewegung, ist das beste Mittel, um überzeugend zu wirken. Durch nichts lässt sich eine Aussage so unterstreichen! Und umgekehrt deutet eine vorzeitig „zurückgenommene“ Handbewegung körpersprachlich an, dass es einem wohl doch nicht so ernst ist mit dem, was er da sagt.

Stimmig!?

Im Auditiven, also beim Ton, lief alles gut, auch für mein in 40 Jahren Rundfunk und Hörbuch geschultes Ohr. Beide Redner sprechen gutes Deutsch, „uns Olaf“ mit leicht norddeutschem „Einschlach“ – so trennt er etwa die Silben des Wortes „ein-ander“ durch einen Glottisschlag, wo das Hochdeutsche eigentlich zu binden verlangt. Alles nicht dramatisch!

Anders wäre es, wollte er Rundfunk-Sprecher oder Off-Sprecher im Fernsehen werden: Dann würde man mit ihm an solchen Feinheiten arbeiten; denn wenn man den Sprecher nicht sieht, fällt jede Eigenheit in Artikulation, Stimme und Sprechweise viel stärker ins Gewicht, als wenn man den Menschen auch sieht. Eben: Dominanz des Visuellen über das Auditive.

Beide Bewerber sprechen mit klarer Stimme, angemessener Lautstärke und vor allem in nachvollziehbarem, angenehmem Tempo.

Die „Tagesthemen“ kritisierten, Scholz habe wieder zu lange und zu akademische Sätze gebildet. Markus Söder bemängelte bei „Caren Miosga“, der Kanzler habe ständig nur „Ich, ich“ gesagt: „Ich habe“, „ich bin …“ Dafür empfand ich Friedrich Merz des Öfteren als ziemlich „von oben herab“ – nicht körperlich, sondern im Sinne von schulmeisterlich-belehrend.

Insgesamt aber reden beide gut – was man daran merkt, dass man inhaltlich folgen konnte und nicht durch irgendwelche Marotten abgelenkt wurde. Und die beiden Journalistinnen haben sie auch ordentlich gelenkt. Bei Rednern wie bei Interviewerinnen gilt ähnlich einem Fußballspiel: Wenn man vom „Schiedsrichter“ wenig merkt und man dem Spielfluss folgen kann, war er gut.

Besondere Momente

  • Merz reagierte auf das erwartbare „Brandmauer“-Thema, indem er einen Zettel mit einem wörtlichen Zitat von Olaf Scholz hervorzog: Der hatte nämlich seinen Parteigenossen selbst schon empfohlen, die Zustimmung der AfD hinzunehmen, allerdings auf kommunaler Ebene. Hier hätten die Interviewerinnen Illner und Maischberger nachhaken müssen, inwiefern dieser Unterschied von Bedeutung sei! Eine vergebene Chance.
  • Merz brachte Leben in die Lage, indem er durch den sogenannten skandierten Duktus hervorhob: „Sie – leben – nicht – in – dieser – Welt; was Sie hier erzählen, ist ein Märchenschloss! Das hat mit dem, was in der Realität der Städte und Gemeinden in Deutschland stattfindet, kaum noch etwas zu tun.“
  • Scholz wiederum konterte die Kritik an den zeitweilig dramatischen Energiepreisen mit dem Hinweis: „Eine Bemerkung möchte ich mir doch erlauben: Ich habe die Ukraine nicht überfallen.“ Das hatte Witz!
  • In einer Kurzfragerunde sollte Merz den Satz vollenden: „Ein Bundestag ohne FDP wäre …“ – „ärmer, aber funktionsfähig“, ergänzte er. Darauf Scholz: „Ich kann es nicht besser formulieren.“ Weniger Harmonie stiftete er an anderer Stelle mit dem Satzanfang: „Wenn Sie Ihre Sprechblase losgeworden sind …“, (dürfe er wieder auf die Fakten zurückgreifen).
  • Auch auf die inklusive Sprache kam die Rede. Da lobte Scholz eine Frau, die ihm gesagt habe: „In bin Maurer!“
  • Eine schön bildhafte Redensart stand am Schluss des Merz-Satzes: „Man hätte den Krieg wahrscheinlich schon beenden können, aber das ist vergossene Milch.“ Sieht man da nicht förmlich die Rindviecher an den Hängen des Hochsauerlands grasen?
  • Richtiggehenden Unwillen erntete Maybrit Illner von Merz auf ihre Behauptung, er habe seine Position beim Thema „Taurus“ an die Ukraine mehrfach gewechselt. Dazu durfte er nur begrenzt Stellung nehmen. Da ließ Olaf Scholz spüren, dass sich seine Zurückhaltung gegenüber der Taurus-Lieferung aus der glaubwürdigen Sorge speist, der Russland-Krieg könnte sich ausweiten und gegen die Nato richten.
  • Donald Trump, so Merz, sei „berechenbar unberechenbar“. Beide wollen auf seine Androhung erheblicher Zölle mit einem starken Europa antworten. Der CDU-Kandidat bringt ein Beispiel von 2018, als der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das Thema mit Trump „innerhalb von sechs Wochen“ komplett entschärft habe, indem er dem US-Präsidenten Zölle auf Whisky, Jeans und Harley-Davidson „versprach“.
  • Gegen Ende, beim Thema „Zwei Prozent des BIP für die Bundeswehr“, wurde es unbeherrscht: Beleg für das Nachlassen der geistigen und körperlichen Spannkraft. Wer oft an langen Sitzungen teilnehmen muss, weiß, dass mit der Zeit gute Ergebnisse durch mangelnde Durchblutung des Gehirns, wachsenden Frust und Unwillen unwahrscheinlicher werden. Andererseits war die Ausführlichkeit des Sendeformats gut, so gab es genug Zeit für Rede und Gegenrede. Und eins darf man Sandra Maischberger und Maybrit Illner attestieren: Um billigen Krawall ging es ihnen nicht.

Und die Interviewerinnen?

Die beiden Damen haben das gut gemacht: Sie wirkten klar, konzentriert und sachlich (vergleichen Sie das mal mit Marietta Slomka! Der spüren Sie sofort ab, wenn sie nichts von ihrem Gegenüber hält).

Nur selten gingen die Journalistinnen unerwünscht dazwischen. Es nervt ja, wenn ich als Zuhörer weiter hören möchte, was der Interviewte sagen will, der Interviewer ihn aber unterbricht (Markus Lanz ist darin geübt, einem so den Nerv zu töten). Wer andere befragt, muss stets präsent haben, dass seine oberste Loyalität nicht dem Sendeleiter gilt, nicht den vorbereiteten Fragen, nicht dem pünktlichen Sendeschluss und nicht einmal seiner persönlichen „Haltung“, sondern – dem Zuschauer. Zu erspüren, ob der genug vom Thema hat oder weiter zuhören möchte, ist die hohe Kunst des Interviews. „Anwalt des Hörers“ oder Zuschauers müssen wir sein! Natürlich in den Grenzen der Sendezeit und anderer Parameter.

Fehlende Perspektiven

In den „Tagesthemen“ kommentierte anschließend Marc Feuser vom SWR und wies auf einen essenziellen Mangel des Kandidatenduells hin: Ihm fehlten Zukunftsperspektiven! Besonders als junger Mensch hätte er gern gehört, inwiefern Deutschland in vier Jahren, also am Ende der Legislaturperiode, anders dastehen soll als jetzt. Recht hat er!

Wer hat den Mut, eine Zukunftsvision zu eröffnen? Und zwar keine von der Art, mit der man laut Helmut Schmidt „zum Arzt gehen sollte“. Nein, aber Gott ist ein Freund umsichtiger und guter Planung, wie uns manches Gleichnis Jesu lehrt.

Hanno Herzler, Sprecher, Rhetoriktrainer Foto: Petra Herzler-Grossmann

Zum Autor

Hanno Herzler, Jahrgang 1961, ist freischaffender Journalist, Rhetoriktrainer, Sprecher und Autor – unter anderem von Hörspielen für Kinder und Jugendliche, Büchern und Musicals. Er hat auch zahlreiche Hörbücher produziert, darunter Hörbibeln. Der evangelische Theologe ist auch als Redner für Trauerfeiern und Hochzeiten tätig. Er lebt im Raum Wetzlar.

Die Verantwortung dafür, dass wir am Sonntagabend von Merz wie von Scholz zu wenig darüber gehört haben, liegt freilich bei den beiden Interviewerinnen. Mehr Nachfrage in Richtung „Deutschland 2030“ hätte notgetan.

Richten Politiker ihr Augenmerk zu viel auf kurzfristige Themen? Akute Brände zu löschen ist ja wichtig. Und sicher wird unsere Regierung auch in der bevorstehenden Legislaturperiode wieder durch Überraschungen gefordert sein: 9/11, Bankenkrise, Fukushima, Flüchtlingswelle, Corona und Ukrainekrieg lassen grüßen.

Viel von seiner wahren Kompetenz zeigt ein Politiker im Umgang mit solchen unerwarteten Ereignissen. Das könnte wieder spannend werden!

Lesen Sie in der nächsten Folge:
Reaktionen auf unerwartete Ereignisse und besondere Momente – wie haben unsere Politiker in den letzten Jahrzehnten diese gemeistert?

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