Zwei „todsichere“ Aussagen
Auf zwei Phrasen können Sie wetten. Eine kommt garantiert vor, die andere nach der Wahl. Dass die auftauchen, ist ungefähr so wahrscheinlich wie dass Bayern München – nach der schweren Kränkung durch Bayer Leverkusen – in diesem Jahr wieder Deutscher Meister in der Fußball-Bundesliga der Männer wird.
Die eine ist, dass die Wahlkämpfer, und zwar nicht einzelne, sondern viele, vorweg erklären: „Wir werden siegen!“ Wohlgemerkt, nicht: „Wir versuchen zu siegen!“, „Wir wollen gewinnen“ oder „Wir geben alles für ein gutes Ergebnis“, sondern die glatte Behauptung: „Wir gewinnen!“ respektive „Wir werden unsere Wahlziele erreichen!“
Und es ist ja längst wieder geschehen! So erklärte Judith Skudelny, FDP, der laufenden Kamera: „Wir werden im nächsten Bundestag vertreten sein.“ – „Ja, klar“, möchte man ironisch antworten, „und Borussia Dortmund, die andere schwarz-gelbe Kraft in Deutschland, wird doch noch Deutscher Meister.“
Dass „wir siegen werden“ und nicht wollen, das hört man also immer wieder auch von Kandidaten und Parteien, deren Erfolgsaussichten eher marginal sind. Was soll das? Jeder weiß doch, dass die Frau das nicht weiß und nicht wissen kann; dass der Einzug der FDP in den 21. Bundestag sogar eher unwahrscheinlich ist. Was sind das für Berater, teure äußere oder billigere „innere Stimmen“, die Politiker zu solch „schröderesken“ Testosteronausbrüchen treiben?
Natürlich, man versteht, dass Zuversicht demonstriert werden soll; Entschlossenheit. Aber das ist der falsche Weg! Denn er kostet genau das, was Politiker sonst als ihr größtes Kapital ansehen: die Glaubwürdigkeit.
Also, liebe Leute, versucht eure Zuversicht den „Menschen draußen im Lande“ mal anders zu zeigen! Zeigt Kampfbereitschaft, zeigt euer Profil, zeigt auch Siegeszuversicht, aber überlasst die allzu dreisten Ansagen dem Mann, der derzeit die USA regiert.
Wenn man nach dem TV-Duell Scholz/Merz beklagt: „Die Ideenlosigkeit zur Sicherung unseres Wohlstands war erschütternd“ (Thomas Sigmund am 10. Februar im „Handelsblatt“), so darf man andererseits doch froh sein, dass es bei uns noch nicht zugeht wie jenseits des „Großen Teichs“. Dem dortigen Präsidenten mangelt es ja nicht an Ideen zur Veränderung: Grönland, Kanada und Panamakanal, Umbau des Gazastreifens zur Riviera del Levante – oder auch Spritzen mit Desinfektionsmittel gegen Corona. Gibt es vielleicht wirklich politische Visionen, bei denen man „zum Arzt gehen sollte“ (Schmidt)?
Übrigens, die Rede von den „Menschen draußen im Lande“ haben sich die Politiker offenbar ziemlich abgewöhnt; das klang denn doch zu abgehoben, zu „jenseitig“, als lebte man selbst im Wolkenkuckucksheim oder einer Berliner Blase, jedenfalls nicht im selben Land.
Und nach der Wahl?
Die andere Floskel, auf die Sie dagegen immer noch sicher wetten können, steht in genauem Zusammenhang mit der ersten.
Auch diese Phrase ist bereits jetzt wieder gefallen: Lars Klingbeil, SPD-Co-Vorsitzender, verwendete sie am Sonntagabend, nach dem TV-Duell Scholz gegen Merz, bei „Caren Miosga“.
Seinen klassischen Platz, Theologen würden sagen, seinen „Sitz im Leben“, hat dieser Halbsatz aber am Wahlabend. Nach den ersten Hochrechnungen werden uns – zum Teil dieselben – Politiker, die vorher Siegesgewissheit verkündeten, in ihre Sätze einbauen: „da brauchen wir nicht drum herumreden“.
Früher beachtete man wenigstens noch, dass es heißen muss: „… drum herumzureden“, aber damit verfahren wir hier wie ein unentschlossener Innenarchitekt und sagen: „Das sei einmal dahingestellt.“
Nach einer der letzten Hessenwahlen war dies ungelogen innerhalb von acht Minuten dreimal zu hören, und zwar fast wortgleich von drei verschiedenen Politikern! (Soll also keiner den Christen vorwerfen, ihre Wortwahl in Gottesdiensten sei zu erwartbar.)
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Zum Autor
Hanno Herzler, Jahrgang 1961, ist freischaffender Journalist, Rhetoriktrainer, Sprecher und Autor – unter anderem von Hörspielen für Kinder und Jugendliche, Büchern und Musicals. Er hat auch zahlreiche Hörbücher produziert, darunter Hörbibeln. Der evangelische Theologe ist auch als Redner für Trauerfeiern und Hochzeiten tätig. Er lebt im Raum Wetzlar.
Ich bin sonst kein Freund davon, wenn die Befrager ihren Interviewten allzu schnell dazwischen grätschen. Aber wenn wieder diese Floskel auftaucht – meist als zweiter Satzteil, nach einer Einleitung der Art: „Das ist nicht das Ergebnis, das wir uns erhofft hatten …“, sollte doch mal ein pfiffig-scharfzüngiger Journalist den Mut aufbringen, zu fragen: „Ist das denn sonst Ihre Gewohnheit?“ – „Wie bitte, was?“ – „Na, dass Sie drum herumreden! Sie betonen gerade, dass Ihnen das jetzt nicht angebracht erscheint, also zu anderen Anlässen doch?“ Unserem großen Interview-Lehrer Wolf Schneider, Ende 2022 im gesegneten Alter von 97 Jahren verstorben, hätte das vermutlich gefallen.
Genau das ist es ja, was diese Phrase suggeriert: „Es wird sonst viel nach Ausflüchten gesucht, es werden für die Niederlage zweifelhafte Erklärungen ins Feld geführt, aber ich will das jetzt mal nicht tun.“ Als wäre das eine löbliche Ausnahme! Ja, „deine Sprache verrät dich!“
„Deine Sprache verrät dich!“
Dies ist im Übrigen ja ein Bibelwort. Könnten Sie auf Anhieb sagen, wo es steht und wer es zu wem gesagt hat?
Richtig – die Menschen im Hof des Hohenpriesters, während nebenan Jesus verurteilt wurde. Sie sagten das zu Petrus, der Jesus verleugnet hatte und eben dabei war, es wieder zu tun: „Da fing er an, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne den Menschen nicht!“ (Matthäus 26).
Gleich das Leben kostete es viele Geflüchtete, dass sie das Wort „Schibboleth“ nicht richtig aussprechen konnten, weil das ihre Herkunft verriet: Man lese Richter 12. Immerhin: Verglichen damit hat das, was unsere Politiker mit ihrer Sprache, Sprechweise, Artikulation und Körpersprache „verraten“, meist harmlose Folgen. Zum Glück!
Von einer weiteren häufig gehörten Formulierung scheinen Politiker allmählich Abstand zu nehmen. Jedenfalls übte sich Markus Söder bei „Caren Miosga“ darin, schlicht „meine Überzeugung“ zu sagen – und nicht, wie man es von vielen gewohnt ist, „meine feste Überzeugung“. Klar, das Adjektiv soll das Gesagte als besonders unbestreitbar charakterisieren, aber man könnte dann doch die Frage aufwerfen, ob es flüssige, schwammige oder weiche Überzeugungen überhaupt gibt. Solche wären möglicherweise nicht besonders aussagekräftig und eben gar keine Überzeugung.
Ganz hübsch übrigens die Schlagfertigkeit des bayerischen Ministerpräsidenten in demselben Gespräch! Melanie Amann vom „Spiegel“ sagte: „Es gibt das verstörende Gerücht, Herr Söder, dass Sie am Kabinettstisch Platz nehmen werden …“ – Und er, nach kurzem, legitimem Zögern: „Ich will‘s net, aber was fänden Sie daran verstörend?“
Zur Ehrenrettung der Floskel
Und jetzt heißt es auch mal, etwas zur Ehrenrettung der Floskel oder Phrase zu unternehmen. Inhaltlich mag sie redundant sein, also von höchst überschaubarem Wert, aber sie hat eine nicht zu unterschätzende Funktion. Man könnte sie mit den Ballaststoffen in unserer Nahrung vergleichen.
Denn sie verschafft dem Redenden Zeit! Zeit zum Nachdenken, Zeit zum Klarkriegen des nächsten Satzes und der nächsten Aussage. Das ist ausgesprochen hilfreich, auch und gerade für Politiker, die sich ja ständig kritischen und zum Teil – wenn der Journalist gut ist – überraschenden Fragen und Anwürfen ausgesetzt sehen.
Man könnte Floskeln mit den Ballaststoffen in unserer Nahrung vergleichen.
Jesus zwar lehrte: „In eurer Rede sei ein Ja ein Ja und ein Nein ein Nein“ (Matthäus 5,37). Politiker indes dürften froh sein, dass er auch gesagt hat: „Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch („und doch ohne Hinterlist“, Gute Nachricht) wie die Tauben“ (Matthäus 10,16).
Floskeln also können einen Interviewten oft für den Moment retten. Es geht ja eher nicht an, auf eine unerwartete oder unangenehme Frage zu reagieren mit: „Ähh …“, mit „Moment, darüber muss ich erst mal nachdenken“ oder gar mit „Genau“.
Eine hilfreiche Floskel, die in solch einem Moment allerdings nicht unbedingt der Wahrheit entspricht, wäre: „Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das ansprechen.“ Schon eher ehrlich darf man zunächst erwidern: „Das ist eine gute/berechtigte Frage.“ Helmut Kohl, der zwar nicht leicht in Verlegenheit zu bringen, aber durchaus in der Lage war, unverhohlen seinen Ärger zu zeigen, sagte gern einmal: „Sie wissen so gut wie ich, dass …“
Raffiniert! Denn damit suggerierte er ja, der Fragesteller sei im Grunde derselben Meinung wie er selbst. Mehr noch: Er hob das Gegenüber auf eine Wissensstufe mit sich selbst, was natürlich ein Entgegenkommen in geradezu fürstlicher Großherzigkeit darstellte (entsprechend verfuhr Kohl so nur, wenn er gut gelaunt war). Dafür war mancher dankbar. Nüchterner analysiert, handelt es sich freilich um eine Art von Manipulation: „Wenn Sie auf dem gleichen Wissensstand sind wie ich, können Sie doch zu keiner anderen Einschätzung der Lage kommen.“
Also: Floskeln, Füll-Sätze und Phrasen haben durchaus ihre Berechtigung. Im Kanzlerduell 2002 verhalfen sie Gerhard Schröder zu deutlich mehr Souveränität als seinem Herausforderer Edmund Stoiber, bei dem man doch gelegentlich den Eindruck gewinnen musste, er stolpere in die Sätze hinein wie einer, der den Ausgang noch nicht kennt.
Resumée
Hier endet unsere kleine Reihe von Texten zur Rhetorik in der Politik. Es gäbe noch so vieles zu sagen, manches Gute und weniger Gute zu erörtern. Banalitäten wie die, dass Christian Lindners Hände gelegentlich das Redepult als Amboss missbrauchen; Wahrnehmungen von der Art, dass Sarah Wagenknecht stets aus tiefster Seele zu sprechen scheint; oder anerkennendes Schmunzeln angesichts der Beobachtung, wie geschickt Gregor Gysi nach wie vor jedes Gegenargument in seine Richtung wendet. Persönlich ziehe ich aus diesem Wahlkampf eine Hoffnung wie auch eine Befürchtung.
Hoffnung macht mir, dass die Kandidaten wirklich zu glauben scheinen, was sie sagen.
Und genau darin besteht auch meine Befürchtung.
Lesen Sie mehr über Rhetorik in der Politik:
» Wort und Wirkung – Teil 1: Das Kanzlerduell