Wolodymyr Selenskyj: Vom jüdischen Komiker zu Putins ärgstem Feind

Volksnaher Millionär, Komiker, Fernsehstar, Mini-Trump: Bezeichnungen für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gibt es viele. Am passendsten ist aber wohl: Kriegsheld.
Von Martin Schlorke
Wolodymyr Selenskyj

Seit nunmehr einer Woche herrscht in der Ukraine Krieg. In den frühen Morgenstunden des 24. Februar fielen russische Truppen in die Ukraine ein. Seitdem herrscht an mehreren Fronten ein erbitterter Kampf. Bereits zu Beginn des russischen Angriffskrieges machten Experten Kiew als das Hauptziel der russischen Truppen aus. Denn dort sitzt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj – im wahrsten Sinne des Wortes.

Denn trotz des massiven russischen Truppenaufgebots vor der ukrainischen Hauptstadt hält sich Selenskyj weiterhin im hart umkämpften Kiew auf. Ein Evakuierungsangebot der USA tat der frühere Komiker mit einem beißenden Witz ab: Er brauche keine Mitfahrgelegenheit, sondern Waffen.

Dabei ist dem 44-Jährigen der Ernst der Lage mehr als bewusst. Bereits vergangene Woche sagte er in einem Telefonat mit dem österreichischen Kanzler Karl Nehammer, dass er nicht wisse, wie lange er noch am Leben sei.

Am Mittwochmorgen meldeten internationale Medien, dass ein Attentatsversuch tschetschenischer Elitekämpfer auf Selenskyj vereitelt werden konnte. Es wird nicht das letzte bleiben.

Wie die britische Zeitung Times berichtet, seien neben tschetschenischen Soldaten hunderte Kämpfer der russischen Söldnergruppe „Wagner“ auf die ukrainische Regierung angesetzt.

Durch Filmkarriere zum Präsidenten

Laut russischer Staatspropaganda müsse die ukrainische Regierung gestürzt werden, weil sie aus Neonazis und Drogenabhängigen bestünde. Ein haltloser Vorwurf, gegen den Selenskyj sogar in einer TV-Ansprache kurz vor Kriegsausbruch ans russische Volk – auf Russisch – vorging:

„Man sagt Ihnen, wir seien Nazis. Aber kann ein Volk, das mehr als acht Millionen Menschen im Kampf gegen den Nationalsozialismus verloren hat, den Nationalsozialismus unterstützen?“

Später sprach er im Video über seinen Großvater, der im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Roten Armee gegen Nazi-Deutschland kämpfte.

Selenskyj selbst ist Jude. Er wurde 1978 als Sohn jüdischer Akademiker in der Industriestadt Kryvyi Rih im Südosten der damals noch sowjetischen Ukraine geboren. Obwohl er später Jura studierte, machte er mit Komik Karriere.

Bereits als Schüler nahm Selenskyj an Satirewettbewerben teil. Später gründete die Kabarettgruppe „Kwartal 95“ („95. Wohnblock“) und tourte mehrere Jahre durch die russischsprachige Ex-Sowjetunion. In der Ukraine wurde er schließlich zum gefeierten Fernsehstar. Bis heute ist er aber auch in Russland sehr bekannt.

Seine Schauspielkarriere ermöglichte Selenskyj schließlich auch die politische Karriere. In der Serie „Diener des Volkes“ spielte er einen Geschichtslehrer, der von korrupten ukrainischen Politikern angewidert ist und mit Hilfe eines YouTube-Videos und einer Crowd-Funding-Kampagne schließlich selbst Präsident wird.

Seit der Serie hielten sich hartnäckig die Gerüchte, dass Selenskyj selbst nach diesem Amt strebt. Diese bewahrheiteten sich schließlich, als der Komiker am Silvesterabend 2018 seine Kandidatur bekannt gab. Im Mai 2019 wurde er dann schließlich zum sechsten Präsidenten der Ukraine gewählt. Selenskyj ist heute das einzige jüdische Staatsoberhaupt außerhalb Israels.  

Putin will „Entnazifizierung“ der Ukraine

Dass der russische Präsident Waldimir Putin die Ukraine mit ihrem jüdischen Präsidenten durch den Krieg entnazifizieren will, klingt, wenn die Lage nicht so ernst wäre, wie ein schlechter Witz.

Bei dem Versuch, den Fernsehturm in Kiew nahe der Holocaust-Gedenkstätte Babyn Jar zu beschießen, wurde ein Gebäude beschädigt, das Teil der Gedenkstätte werden sollte. Selenskyj verurteilte den Beschuss: „Sie wissen nichts über unsere Hauptstadt. Über unsere Geschichte.“

Vielmehr hat Putin neben einem fragwürdigen Geschichtsverständnis und einer demokratischen Ukraine, ein Problem mit Selenskyj.

Denn dieser steht beispielhaft für den Widerstandswillen der Ukraine. Bereits nach der Besetzung der Krim durch Russland und dem Krieg in der Ostukraine 2014 kritisierte Selenskyj Putin scharf. Kurz vor seiner Wahl nannte er Putin „selbstverständlich“ einen „Feind“.

Babyn Jar Foto: Gemeinfrei

Babyn Jar

Am 29. und 30. September 1941 ermordeten deutsche Einsatzgruppen nach dem Einmarsch in Kiew in Babyn Jar 33.771 jüdische Kinder, Frauen und Männer. Dies gilt als größte einzelne Mordaktion an Juden im Zweiten Weltkrieg. Bis November 1943 erschossen die Nazis dort zwischen 70.000 und 100.000 Juden, sowjetische Kriegsgefangene, Partisanen und Roma.

Zudem verkörpert Selenskyj nicht nur den unbedingten Willen der Ukrainer, selbstbestimmt und in Freiheit zu leben, sondern steht gewissermaßen für die Idee der Demokratie in ganz Europa. Er hält im Namen Europas die Demokratie gegen den Autokraten Putin hoch.

Die Konsequenz: Die demokratische Welt unterstützt mit enormen Anstrengungen den Kampf des David gegen den Goliath. Das heißt Sanktionen und Waffenlieferungen.

Während Putins Blitzkrieg lahmt, die ukrainische Bevölkerung eng gegen Moskau zusammensteht, wird Selenskyj mehr und mehr zum Kriegshelden. Seine Selfie-Videos, die er mittlerweile täglich aus dem Regierungsviertel Kiews veröffentlicht, schreien regelrecht: „Ich bin hier und ihr nicht.“

Keine Hochglanzvideos in Anzug, sondern einfache Handyvideos in militärischem Look. Selenskyj weiß sich zu inszenieren.

Das kommt an – weltweit. Der Schauspieler, der im Wahlkampf fälschlicherweise von manchen als Mini-Trump gesehen wurde, schafft etwas, das das Original nicht schaffte: Mithilfe der sozialen Medien das Land zu einen.

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Eine Antwort

  1. Seiner Standhaftigkeit an der Seite der Schwachen, der Ukrainer, die nicht fliehen können, macht ihn zum Hirten seines Volkes, wo es doch so viele Mietlinge gibt. Und so komisch es klingt, als Realpolitiker weiß er auch, dass dies sein Leben kosten kann – wie es Jesus auch als eine Konsequenz verdeutlicht (Johannes 10). Das ist es, was die Weltbevölkerung für die Ukraine solidarisiert und was den Krieg Putins gegen die Ukraine schon entschieden hat. Sämtliche Kriegsziele Putins haben sich ins Gegenteil gekehrt: Freundlicher Empfang der Russen in der Ukraine, Verhinderung, dass die Nato näher an Russland rückt, Export „seiner „Demokratie““, die der „dekadenten Demokratie“ des Westens überlegen sei …

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