Ein wenig Herzklopfen habe ich schon, als ich mich dem Raum nähere, in dem die kleine Riesen-Sensation stehen soll. In einem Video des British Museum hielt Irving Finkel, Kurator für Funde aus dem Mittleren Osten, im vergangenen Oktober einen Stein in die Kamera. „Das“, sagte der bekannte Archäologe, der mit seinen langen grauen Haaren und seinem Rauschebart selbst ein bisschen aussieht wie eine Figur aus der Bibel, „das ist die älteste Weltkarte der Welt.“ Und ich werde sie in wenigen Augenblicken selbst ansehen können!
In Raum 55, Abteilung für Mesopotamien im zweiten Stock des großen Gebäudes des British Museum, soll sie in einer Vitrine stehen. Ich erwarte zwar keine große Menschentraube wie etwa vor der Mona Lisa im Louvre, aber doch zumindest größeres Interesse. Immerhin zeigt diese kleine Tafel nichts Geringeres als den Ort, wo man die Arche finden konnte (oder immer noch kann?)!
Es ist noch früh am Tag, die ersten Besucher stecken bestimmt noch größtenteils vor dem Stein von Rosetta oder vor dem riesigen Steinkopf des „Moai“ von der Osterinsel im unteren Stockwerk fest, den beiden Stars des Museums. Noch ist Raum 55 so gut wie leer. Also habe ich genug Muße, mir dieses 2.600 Jahre alte Objekt in der Glasvitrine genau anzusehen. Kaum 12 Zentimeter hoch und etwas dicker als ein Finger, die Farbe: hellbraun. „Auf den ersten Blick kommt man vielleicht nicht darauf“, sagt der Audioguide des Museums, „aber auf auf diesem Objekt ist die älteste uns bekannte Weltkarte abgebildet.“
Wegbeschreibung zur Arche
Irving Finkel ist selbst so etwas wie ein Urgestein der Archäologie. Seine Spezialität sind Keilschrift-Tafeln aus dem Mittleren Osten. Er gehört zu den wenigen Menschen auf der Welt, die diese Tausende Jahre Schrift lesen können. Im Video auf dem Youtubekanal des Museums, das zu den Top 10 der am häufigsten besuchten Museen der Welt gehört, erklärte Finkel: Als die Karte vor 2.6000 in der Stadt Sippar südlich von Babylon angefertigt wurde, sollten sich die Nutzer orientieren können: In der Mitte liegt die Stadt Babylon, rund herum sind die bekannten Flüsse verzeichnet, der Euphrat und Tigris, ebenso bekannte Städte und Volksstämme. Ein Text in Keilschrift darüber erklärt, was eingezeichnet ist.
Was der Kurator für den Mittleren Osten im British Museum da zeigte, war eine Sensation. Die Karte zeigt einen „Wasserring“ um die Stadt, die für die Babylonier im 6. Jahrhundert v. Chr. so etwas wie die Grenze ihrer Welt war. Susa, die Hauptstadt von Elam, ist im Süden eingezeichnet, Urartu im Nordosten. Am äußeren Rand der Karte sind Dreiecke verzeichnet. Dabei handelt es sich um bekannte Berge. Im winzig kleinen mit einem Stock eingravierten Text geht es um die Erschaffung der Welt und wie die Tiere ins Meer und in andere Teile des Universums kamen – eine Art Zusammenfassung der Schöpfung, ganz unabhängig von der Karte.

Der Text besagt weiter: „Du musst sieben Meilen über den bitteren Fluss rudern, bevor du am Fuße des Berges anlegen kannst. Die Große Mauer ist 840 Ellen hoch, ihre Bäume bis zu 120 Ellen.“ Finkel fügt hinzu: „Es handelt sich um die Beschreibung der Arche, die um 1800 v. Chr. von der babylonischen Version Noahs gebaut wurde. In diesem Bericht werden die Einzelheiten angegeben und Gott sagt: ‚Du musst dies, dies und dies tun‘, und dann sagt der babylonische Noah: ‚Ich habe dies, dies und dies getan. Und ich habe diese Strukturen als dickes Parsiktu-Gefäß gebaut.‘“ Dieses „Parsiktu“ ist Archäologen gut bekannt – als Arche.
„Stellen wir uns also vor, wir könnten uns eine Zeitmaschine ausleihen und ins alte Mesopotamien zurückkehren“, sagt Finkel. „Man konnte nach einer langen Wanderung in die Berge die Rippen der Arche sehen – ein Parsiktu-Schiff, so wie in der Bibel.“ Es kommt noch besser: Noah strandete laut der Bibel mit seiner Arche auf dem Berg Ararat. „Der Name ist das hebräische Äquivalent zum assyrischen ‚Urartu’“, sagt Finkel. Und tatsächlich findet sich dieser Ortsbegriff auch auf der antiken Tafel. Aus babylonischer Sicht sei die Arche „eine ganz normale Tatsache“ gewesen, fasst Finkel zusammen.
Original des berühmten Gilgamesch-Epos
Inzwischen füllt sich der Raum doch ein wenig. Und kleine Grüppchen, angeführt von Guides, die irgendeinen Gegenstand als Erkennungszeichen in die Höhe halten, stoppen vor der kleinen Vitrine. Offenbar hat sich die atemberaubende Bedeutung dieses kleinen Stückes doch immer mehr herumgesprochen.
Schon der bekannte Gilgamesch-Epos, für spätere Generationen ebenfalls auf Tontafeln festgehalten, berichtet von einer Sintflut. Der Gott Ea brachte demzufolge eine Flut über die Menschheit, und der Held Utnapischtim sollte entsprechend eine Arche bauen, um sich und einige Menschen und Tiere zu retten. Auch von Vögeln ist dort die Rede, die vor der Landung in Nord-Assyrien freigelassen wurden. Man braucht im British Museum nur einen Schritt zur Seite machen, um auch diese weltberühmte Tontafel im Original ansehen zu können – denn sie steht gleich neben der Babylonischen Weltkarte, quasi mit ihr Rücken an Rücken.
Erneut geht der Puls ein wenig hoch. Nur wenige Zentimeter vor mir ist Jahrtausende alter Text, der von einer Sintflut berichtet. Wie in der Bibel. In dem Moment, als der britische Forscher George Smith 1872 verstand, was er da in den Händen hielt, soll er vor Glück aufgesprungen und im Raum hin und her getanzt sein, besagt die Infotafel. Manche berichten, der Achräologe habe sich sogar vor Aufregung seine Kleider zerrissen. Auch das alles fand übrigens hier in diesem Museum statt.
Dass man die biblische und die babylonische Flutgeschichten gleichsetzen könne, da sind die meisten Forscher skeptisch. Die babylonische Version sei viel älter als die im Alten Testament, heißt es. Die Schreiber der Mose-Bücher könnten in ihrer babylonischen Gefangenschaft im 6. Jahrhundert v. Chr, die mesopotamischen Sintflutgeschichte kennengelernt und sie über 1.000 Jahre nach deren Entstehung niedergeschrieben haben. Aber dass es die Arche gegeben hat, dafür spricht vieles. Der Geschichtsschreiber Josephus, der im ersten Jahrhundert nach Christus lebte, weist in seinen Schriften sogar mehrfach darauf hin, dass zu seiner Zeit noch Überreste der Arche zu besichtigen waren. Finkel will herausgefunden haben, dass die Arche kreisrund war. Mit dem ZDF drehte er 2020 eine Dokumentation darüber, in der er die Arche mit Helfern nachbaut und anschließend sogar ins Wasser lässt.
Haushaltsgegenstände der ersten Israeliten
Der Besuch im British Museum hat sich schon allein wegen dieser beiden Tontafeln gelohnt. In derselben Abteilung finden sich noch viele weiter Gegenstände, die direkt aus der Zeit der Bibel stammen. Da gibt es Wasserkrüge und Teekannen aus dem israelitischen Ort Lachisch aus dem 10. Jahrhundert v. Chr. – mit anderen Worten: es ist möglich, dass irgendeine biblische Figur des frühen Reiches Israel daraus Wasser oder Wein geschöpft hat! Pfeilspitzen und Helme aus Bronze und Eisen sind zu sehen, wie sie zu jener Zeit in der Region von Assyrern verwendet wurden; gut möglich, dass David diese oder ähnliche Waffen persönlich im Kampf zu Gesicht bekam.
Ein Grabstein aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. aus Silwan nahe Jerusalem ist hier ausgestellt. Offenbar gehörte er Schebna, einem Assistenten König Hiskia von Israel. Tatsächlich berichtet die Bibel in Jesaja 22, 15 von diesem Grab. Ebenso lässt eine Harfe in einer Vitrine die Fantasie schweifen: Auch wenn dieses Instrument zwar noch etwas älter ist (nämlich von etwa 2.500 v. Chr.), könnte David auf einem ähnlichen Modell gespielt haben.
Haushaltsgegenstände aus Uruk, der ältesten Stadt der Welt, finden sich im British Museum ebenso wie Hinweise auf den Turm von Babel. Ja, sogar Steine, die für derlei Türme damals verwendet wurden. Der babylonische König Nebukadnezar II, ließ einen Turm bauen, um dem Gott Marduk näher zu sein, informiert eine Texttafel im Museum unter der Überschrift „Der Turmbau zu Babel”. Es ist bis heute schriftlich überliefert, dass dieser Turm sieben Etagen hatte. Viele Steine wurden mit dem Namen des Königs versehen. Ein Arbeiter hat frecherweise seinen eigenen Namen („Zabina“) in den Stein geritzt, und der ist heute noch zu lesen. Übrigens: Jede Stadt hatte damals einen eigenen Gott. Und der Gott von Babylon war Marduk, das Zeichen für ihn war ausgerechnet eine Schlange. Deutlich zu sehen in Form einer Bronze-Statuette. In einer Vitrine liegt sogar eine Tontafel mit einer alten Karte, die Babylon wiedergibt.
In einer Vitrine finden sich Tontafeln nebeneinander aufgereiht wie in einem Bücherregal. „Die älteste Bibliothek der Menschheit”, heißt es daneben. Der assyrische König Assurbanipal hat sie angelegt, er wird identifiziert mit „Asnappar“, der in der Bibel erwähnt wird (Esra 4,10). Auf einer schwarzen Stele hat der assyrische König Schalmaneser bildlich festgehalten, welche Völker sich ihm unterworfen haben. Darunter wird auch aufgelistet: „Jehu, König von Israel“, mitsamt einem Bildnis von einem König und seinem Gefolge, das niederkniet. Ob es nun die Stadtmauern von Ninive und Babylon sind, an denen theoretisch auch so mancher Israelit vorbeigegangen sein könnte, oder Halsschmuck, oder eine kleine Nuckelflasche aus Ton für Babys aus israelitischen Dörfern, oder aber die älteste Karte der Menschheit mit dem Verweis auf die Arche – viele Museumsstücke im British Museum, an denen man vielleicht achtlos vorbeigeht, vermitteln einen Sinn dafür: auch streng wissenschaftlich betrachtet sind die Berichte der Bibel offenbar nicht allesamt Unsinn.
Der Artikel ist erstmals in der Ausgabe 1/2025 des Christlichen Medienmagazins PRO erschienen. Das Heft können Sie hier kostenlos bestellen.