"Die große Frage, wie alles anfing, können Kosmologen nur schwer beantworten. Die Urknalltheorie sagt uns, wie sich das Universum entwickelt hat, aber nicht, was am Anfang knallte." Dies sagte Randall, die als eine der bekanntesten Physikerinnen unserer Zeit gilt, gegenüber der "Zeit".
Der britische Physiker Stephen Hawking habe behauptet, dass die Theorie von einer möglichen Vielzahl der Universen Gott überflüssig mache. Randalls Antwort darauf: "Ach was, dieser Gottesstreit ist doch nur PR. Ich halte wenig davon, Wissenschaft als Ersatzreligion anzupreisen. Dass es andere Universen gibt, ist theoretisch denkbar, und die Idee mag sexy sein. Aber Wissenschaft muss auf Experimenten und überprüfbaren Vorhersagen beruhen."
Auch die Theorien über Paralleluniversen seien "bloße Glaubenssache". Sie habe unlängst mit dem Evolutionsbiologen und medienwirksamen Atheisten Richard Dawkins diskutiert. "Er beschwört das Schöne und Majestätische der Wissenschaft und glaubt, sie könne die Religion ersetzen. Für mich dagegen ist das Großartige an der Wissenschaft gerade ihre Unordnung." Wissenschaftler seien nicht im Besitz einer geoffenbarten Wahrheit, sondern müssten selber herausfinden, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Lisa Randall war früher Professorin an der Princeton University und am "Massachusetts Institute of Technology" (MIT), seit 2001 lehrt sie an der Universität Harvard – als erste Professorin für theoretische Physik in der fast 400-jährigen Geschichte der Universität. Die 49-Jährige stellte eine Theorie auf, wonach das Universum nicht nur drei, sondern vier Raumdimensionen und damit Platz für ein Paralleluniversum hat. Vor kurzem erschien im Fischer-Verlag ihr Buch "Die Vermessung des Universums".
"Glaube als Privatsache kommt mit Wissenschaft nicht in Konflikt"
Angesprochen auf die Aussage des deutschen Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger, die Experimentierhallen des Schweizer Kernforschungszentrums CERN seien die "Kathedralen der Physik", sagte Randall: "Warum nicht. Kathedralen sind für mich zunächst mal imposante Gebäude, Tempel der Kunst und Architektur – aber unabhängig vom Glauben." Das CERN sei mit viel Erfindungsgabe und Schöpferkraft gebaut worden, ebenso wie eine Kathedrale.
Randall, die aus einer jüdischen Familie stammt, aber nicht religiös erzogen wurde, ist nicht der Meinung, dass man der Wissenschaft mehr vertrauen sollte als der Religion. "Wir sollten zuhören, was sie sagen, und dies kritisch hinterfragen." Wissenschaftler stellten sich selbst gegenseitig ständig infrage, betont sie.
In Ihrem neuen Buch "Die Vermessung des Universums" vertritt sie die Meinung, dass die Religion im Konflikt mit der Wissenschaft steht, weil sie nicht nur Aussagen über das Verhältnis des Menschen zur Welt macht, sondern auch über die Welt selbst – in Konkurrenz zur Wissenschaft. Randall: "Solange Religion Privatsache ist, etwas Persönliches, kommt sie nicht mit der Wissenschaft in Konflikt. Wenn sie aber behauptet, dass Gott oder eine übernatürliche Kraft in die Welt eingreift, dann fordert sie die Wissenschaft heraus, weil die Wissenschaft sagt, dass alles in der Welt nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung geschieht. Wenn jemand behauptet, er habe diese oder jene Entscheidung getroffen, weil Gott ihn geleitet habe – dann riskiert er meinen Widerspruch."
Sie hält die Vorstellungen davon, was Wissenschaft leisten könne, oft für übertrieben, etwa wenn es um die Erklärung von Moral, Liebe und Bewusstsein gehe. "Wenn Neurowissenschaftler im Kernspintomografen ein Hirnareal aufleuchten sehen, dann hat das nur sehr begrenzten Informationswert. Wir sollten uns vor Übertreibungen hüten und offen über ungeklärte Fragen reden. Das ist kein Scheitern. Es gehört zur Aufgabe der Wissenschaft, dass sie uns auch das zeigt, was wir noch nicht verstehen."
Randall gibt zu, dass es letztlich Glaubenssache sei, dass Moral auf physikalischen Mechanismen beruht. "Wissenschaftler glauben, dass letztlich alles nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung geschieht. Aber beweisen können sie es nicht immer." (pro)