Die Gewaltausbrüche in Flüchtlingsunterkünften haben eine Debatte entfacht: Sollen die Asylbewerber nach Religionen getrennt werden? Politik und Medien geben überwiegend eine Antwort.
Von PRO
Foto: Bwag
Viele Flüchtlinge haben Konflikte aus den Heimatländern „im Gepäck“. Derzeit wird diskutiert, ob eine nach Religion getrennte Unterbringung sinnvoll ist
Nach Massenschlägereien in Flüchtlingsunterkünften fordert etwa die Gewerkschaft der Polizei eine nach Religionen getrennte Unterbringung der Asylsuchenden. Vermehrt seien „weltanschauliche Motive“ Auslöser für Streitigkeiten unter den Flüchtlingen. Mit der steigenden Zahl von Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak werde auch die dort übliche Ausgrenzung von Christen importiert, berichtet die Wochenzeitung Die Zeit .
Der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick sagte gegenüber tagesschau.de, dass in Asylbewerberunterkünften aus einem Streit zwischen zwei Personen schnell einer zwischen zwei Gruppen werde, weil die Personen als Mitglieder ihrer Gruppen wahrgenommen würden. Die alleinige Trennung der Flüchtlinge nach ihrer Religion hält er für falsch. Eher müsse man auf den Schutzbedarf des Einzelnen Rücksicht nehmen. Die aktuellen Konflikte spiegelten häufig die Konflikte im Herkunftsland wieder.
Trennung nach Religion scheitert in der Praxis
Die Trennung nach Religionen oder gar Ethnien hält der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) beim derzeitigen Ansturm für kaum praktikabel. Der stellvertretende SPD-Chef Ralf Stegner sagte der Rheinischen Post , dass eine pauschale religiöse oder ethnische Trennung nicht die Lösung sein könne. Laut dem SPD-Abgeordneten Achim Post ist „das Hauptproblem nicht die Ethnie oder die Religion, sondern die Zustände und die beengten Wohnmöglichkeiten.“
Nach Ausschreitungen im thüringischen Suhl hatte sich Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) für getrennte Flüchtlingsunterkünfte ausgesprochen. Thüringen versucht bislang als einziges Bundesland, Flüchtlinge nach ihrer Herkunft zu trennen. Eine Trennung nach Religion hält Thüringens Integrationsminister Dieter Lauinger (Grüne) allerdings für falsch, da gerade religiöse Muslime lernen müssten, mit Angehörigen anderer Religionen in Frieden zu leben. Ähnlich sieht das der frühere Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD). „Es ist hier angesagt, klare Kante zu zeigen“, sagte er am Dienstag im Fernsehsender N24. „Das ist die erste Lektion, die man lernt, wenn man in die westliche Kultur kommt: Toleranz. Damit leben zu können, dass ein anderer einen anderen Gott hat als man selbst.“ Wer gewalttätig werde, entscheide damit automatisch selbst über seinen Asylantrag, und zwar negativ.
Sorge vor importiertem Antisemitismus
Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) hält den Schritt der Trennung für ein „falsches Signal an diejenigen, die zu uns kommen“. Der Mitteldeutschen Zeitung sagte er, dass er Respekt „vor unserer Verfassung und unseren Werten“ und damit auch Religionsfreiheit erwarte. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sorgt sich um eine mögliche Zunahme von Antisemitismus durch Flüchtlinge aus dem arabischen Raum. „Die hiesigen Konflikte, etwa wie vergangenes Jahr während des Gazakrieges, möchte ich nicht noch einmal erleben. Das macht mir Sorge“, sagte Schuster in einem Interview mit der taz.
Der Parteivorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, plädiert für eine Sensibilisierung von Helfern in den Flüchtlingsunterkünften, um Anzeichen religiöser und politischer Unterdrückung zu erkennen.
Führende Unionspolitiker hatten sich für die Trennung stark gemacht. Hans-Peter Friedrich (CSU) zeigte sich traurig, „dass eine Unterbringung der Flüchtlinge getrennt nach Herkunftsregion offensichtlich nötig ist“. Sein Fraktionschef Volker Kauder erklärte, dass die muslimischen Verbände sich von Übergriffen auf Christen klar distanzieren sollten.
Simon Jacob, Friedensbotschafter des Zentralrates Orientalischer Christen, sprach gegenüber der Tageszeitung Die Welt von einer „Spitze des Eisbergs“, die jetzt durch Medienberichte langsam zum Vorschein komme. Er plädiert für eine getrennte Unterbringung nach Religion, um eine Fortsetzung der religiösen Unterdrückung der Herkunftsländer hier in Deutschland zu verhindern. Langfristig sei es allerdings notwendig, ein Leitbild für Flüchtlinge zu formulieren, welches Grundwerte der Demokratie wie Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, und die Gleichheit von Mann und Frau als verbindlich festlege.
Mobbing-Risiko für Christen: 100 Prozent
Die Polizeigewerkschaft erklärte indes, dass die Polizei aufgrund der gewalttätigen Auseinandersetzungen an der Belastungsgrenze angekommen sei. Deren Vize-Chef Jörg Radek hatte in der Welt am Sonntag erklärt: „Wir müssen alles tun, um weitere Gewaltausbrüche zu verhindern, eine getrennte Unterbringung auch nach den Religionen halte ich für absolut sinnvoll.“ Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) wies darauf hin, dass sich ein nicht geringer Teil der Flüchtlinge auf dem religiösen Niveau der Muslimbrüder befinde. Konflikte aus den Heimatländern würden mitgebracht und in Flüchtlingsunterkünften ausgetragen. Dabei treffe es Christen am Härtesten: Die Mobbingwahrscheinlichkeit gehe für einen christlichen Flüchtling in einer gemischten Unterkunft gegen 100 Prozent.
Nach gemeinsamen Recherchen der Wochenzeitung Die Zeit und des Bayerischen Rundfunks in Flüchtlingsunterkünften handelt es sich bei Übergriffen gegen Christen um ein flächendeckendes Problem. Aus Angst vor Vergeltung würden Täter aber nicht angezeigt. Zudem fürchteten die Opfer, ihre Anerkennungschancen könnten sich durch eine Anzeige verringern. Problematisch seien auch die zögerlichen oder ausbleibenden Reaktionen von Heimleitungen, Justiz und Polizei. Das Bundesinnenministerium und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hätte auf Anfrage gar mitgeteilt, derartige Fälle seien ihnen nicht bekannt. (pro)
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