Die Debatten nach einer gesellschaftlichen Krise wie der Coronakrise werden substantieller werden, erwartet der Theologe und Psychiater Manfred Lütz. In der Frankfurter Allgemeinenen Sonntagszeitung sprach er darüber, wie die Menschen mit der aktuellen Situation umgehen können und was jetzt wichtig ist. Zwar werde es nach der Krise auch weiter Spaß und Unterhaltung geben. „Aber der grenzenlose Zynismus dieses ‚Dieter Bohlen, Heidi Klum, Oliver Pocher‘-Kartells wird es wohl dann schwerer haben“, sagte Lütz im Interview.
Auch die derzeit nötige körperliche Distanz mache den Menschen bewusst, dass sie soziale Wesen seien und dass soziale Kontakte wichtig seien. Lütz nannte den Benediktinerorden als Beispiel für einen möglichen Umgang mit dem Thema Quarantäne im Alltag. Schon seit 1.500 Jahren lebten diese Mönche auf engstem Raum zusammen. Der bekannte Benediktiner Anselm Grün habe dazu sogar ein Buch mit dem Titel „Quarantäne – Eine Gebrauchsanweisung“ geschrieben. Der Lebensstil der Benediktiner zeige zum Beispiel, dass man nicht den ganzen Tag miteinander kommunizieren könne, wenn man sich gemeinsam auf engstem Raum befindet. Deshalb gebe es bei dem Orden tagsüber das Schweigegebot. Lütz empfahl auch Familien, die jetzt mehr Zeit als vorher zuhause verbringen, sich daran zu orientieren. Es sei vielleicht gut, wenn man sich nicht den ganzen Tag über immer wieder anspreche, sondern sich auf bestimmte Zeiten einige, in denen alle miteinander reden könnten. Außerdem sei es wichtig, den Tagen Struktur und Rituale zu geben.
Panik ernst nehmen
Der Theologe sprach auch über die Bedeutung des Glaubens in der aktuellen Krise. „In der Corona-Pandemie kommt man mit einem Schönwettergott nicht weiter. Als Christ glaube ich aber an einen mitleidenden Gott, der mir gerade im Leid nahe ist, und ich glaube, dass es über den Tod hinaus ein ewiges Leben gibt und einen Sinn des Ganzen“, sagte er. Wenn man keine Perspektive habe und glaube, dass das Leben letzten Endes sinnlos sei, dann sei die aktuelle Situation „völlig trostlos“. „Denn was interessiert das Weltall schon, wenn irgendwo auf einem peripheren Planeten eine ganze Menschheit an einem Virus verreckt.“ Christen glaubten jedoch, dass alles einen Sinn habe. Der lasse sich zum Beispiel „in der Liebe zu Menschen, in ergreifender Musik und begeisternder Kunst“ ahnen. Wer mit dieser Perspektive die aktuelle Lage betrachte, der könne dem „sinnlosen Virus“ etwas entgegen setzen.
Lütz empfahl außerdem, behutsam miteinander umzugehen und Menschen ernst zu nehmen, bei denen die Corokakrise tatsächlich Angst und Panik auslöse – was vielleicht in Hamsterkäufen mündete. Man müsse ihnen erklärten, warum es keinen Grund zur Panik gebe und verständnisvoll reagieren. „Wir sollten ohnehin mit unseren Aggressionen in der nächsten Zeit behutsam umgehen“, sagte der Psychiater.
Von: Swanhild Zacharias