Es war eine Backpfeife für die Geschichtsbücher: Als Will Smith dem Comedian Chris Rock vor den Augen der cineastischen Weltöffentlichkeit eine pfefferte, war das mehr als ein Handausrutscher zwischen Kollegen.
Der Schlag reiht sich ein in die Liste der historischen Momente bei Oscar-Verleihungen, und die Weltpresse wird ihn fortan immer wieder zitieren. Der Fall hinterlässt aber auch deswegen so tiefe Spuren, weil es so schwer ist, eine Antwort auf eine wichtige Frage zu finden:
Wer war hier eigentlich Opfer und wer war Täter?
Oder ist doch alles ganz einfach?
Antworten darauf finden sich schon weit in Will Smiths Vergangenheit.
Zweieinhalb Jahrzehnte zuvor, die TV-Serie „Fresh Prince of Bel Air“: Will Smith, ein junger Mann aus Philadelphia, spielt sich selbst, nämlich „Will Smith“, einen jungen Mann aus Philadelphia. Seine Mutter schickt ihn ins Edelviertel Bel Air, damit Will in der Familie seines Onkels Philip Banks eine ordentliche Ausbildung bekommt. Und vor allem Disziplin lernt.
Der Prinz von Bel Air verabscheute Gewalt
Wer die Serie kennt, weiß, dass es mit der Disziplin nicht so ganz hingehauen hat. Will ist lustig, wortgewandt, hat Spaß, ist beliebt – baut aber immer wieder gehörigen Mist. Sein vorlautes Mundwerk bringt ihn ständig in die Bredouille. Doch nie, wirklich nie meint er es dabei böse, im Gegenteil. Trotzdem schadet er regelmäßig anderen Menschen, oft seinem cholerischen Onkel Phil – trotz bester Absichten.
„Fresh Prince of Bel Air“ ist mehr als eine Blödelserie. Die Produktion schaffte es immer wieder, auch ernste Themen anzupacken, in erster Linie den Rassismus. Oder der Zwang, sich an die weiße Mehrheitsgesellschaft anzupassen, wenn man es nach oben schaffen will. Und die Frage, was eigentlich Schwarzsein bedeutet.
In der wohl ernstesten Episode fängt Will eine Kugel für seinen Cousin Carlton. Im Krankenhaus witzelt Will mit der Familie, er lächelt den tatsächlichen Schmerz einfach weg. Die Familie atmet auf, Carlton schaut aber weiter finster drein. Er hat kein Verständnis für die Witze des angeschossenen Cousins. Will erwidert, man müsse eben lachen, diese Dinge passierten doch ständig.
Wie umgehen mit der Wut?
Am nächsten Tag kehrt Carlton zurück. Den Glauben in den Rechtsstaat hat er verloren. Will spürt eine Pistole in Carltons Jacke. Die habe er sich angeschafft, um das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen. Will redet auf Carlton ein, der übergibt ihm schließlich die Waffe.
Als Carlton das Zimmer verlässt, bricht Will in Tränen aus. Er kennt die Regeln der Straße von zuhause, den Kreislauf der Gewalt, das Klischee von gewalttätigen Schwarzen, gegen das er ankämpft. Ein Kampf, der zermürbt, weil es so schwerfällt, nicht selber gewalttätig zu werden, wenn man seitens der Strafjustiz keine Gerechtigkeit erwarten kann. Und weil man weiß, dass eine Überreaktion zur falschen Zeit verheerende Auswirkungen haben kann.
Nein, der Will Smith auf der Oscar-Verleihung ist nicht derselbe Will Smith in Bel Air. Und doch hat die Watschn auf der Fernsehgala mehr mit dem weinenden Teenager aus der 90er Jahre Serie zu tun, als man meinen könnte.
Wenn Worte zur Waffe werden
Auch der echte Will Smith hat jahrelang unter Angriffen gelitten. Das mag sich aus der privilegierten Sicht eines Hollywood-Millionärs dekadent anhören. Doch es ist so. Es war nicht das erste Mal, dass Chris Rock Smith auf geschmacklose Weise angriff, um ein paar Lacher abzugreifen.
Diesmal hatte er den Bogen aber überspannt – als er sich nämlich über die Krankheit von Smiths Frau lustig machte. Jada Pinkett Smith leidet unter einer Krankheit, wegen der ihr die Haare ausfallen. Um ihre lichten Stellen am Kopf zu kaschieren, trug sie eine Zeitlang einen Turban. Niemand weiß, wie sehr die Schauspielerin darunter zu leiden hatte, wie oft ihr Mann sie getröstet und ihr Mut zugesprochen hat.
Jedenfalls traf sie im Sommer 2021 eine Entscheidung. Und rasierte sich die Haare ganz ab. Seither trug sie ihre Frisur mit Stolz, auch auf der Oscar-Verleihung im schicken Abendkleid.
Wie muss sie sich wohl gefühlt haben, als ihr Chris Rock vor einem globalen Millionenpublikum vorschlug, in einer möglichen Fortsetzung von „G. I. Jane“ (1997) die Rolle der glatzköpfigen Protagonistin zu spielen? Und: Wie hat sich Will Smith dabei gefühlt, der sich als Beschützer der Familie sieht?
Wir leben im Westen in einer Kultur, in der wir von Kinderbeinen auf lernen: Es wird nicht gehauen. Gewalt ist tabu. Nur wer selbst angegriffen wird, darf zurückhauen. Und wir leben in einer Kultur, in der Mobbing an der Tagesordnung ist. Diese Haltung gipfelt in dem Spruch, den britische Kinder in der Schule lernen:
„Sticks and stones may break my bones, but words can never hurt me.“
„Stöcke und Steine mögen meine Knochen brechen, doch Worte können mich niemals verletzen.“
Wahr ist aber auch: Es gibt Worte, die viel stärker schmerzen als Faustschläge. Worte, die Jahrzehnte nachhallen, Traumata auslösen oder alte Traumata triggern.
Will Smith, der sich bis an die Weltspitze der Schauspielerschaft kämpfte, dürfte genau da eine sehr sensible Stelle haben. Was sonst bewegt einen medialen Vollprofi zu Körperverletzung auf offener Bühne, gefolgt von einem doppelten „Lass den Namen meiner Frau aus deinem verdammten („fucking“) Mund“?
Eigentlich verzichtet Smith in aller Regel auf Kraftausdrücke, auch als Rapper „Fresh Prince“ nimmt er das F-Wort nicht in den Mund. Nur in einem einzigen Lied kam es zunächst vor – bis er es streichen ließ. Will Smith ist lustig, ohne fies zu sein.
Chris Rock darf sich hingegen über Menschen auf unflätigste Weise lustig machen, und die Betroffenen dürfen das höchstens mit einem Lachen quittieren. Wenn dann der Angegriffene die Hand zum Schlag erhebt, scheint für Viele klar: Der Geschlagene ist das Opfer, der Schläger ist der Täter.
Natürlich: Es war falsch, dass Will Smith Chris Rock eine verpasst hat. Das hat Smith eingesehen und öffentlich um Entschuldigung gebeten. Es ist auch falsch, wenn Menschen ihn für seinen Gewaltausbruch feiern. In seiner Entschuldigung schrieb er aber auch vollkommen zurecht: „Gewalt in all ihren Formen ist zu verurteilen.“ Natürlich meinte er damit auch die verbale.
Und ja: Mindestens genauso verwerflich wie eine Backpfeife ist es, wenn man das Leid anderer Menschen zu seinem eigenen Vorteil ausnutzt, wie Chris Rock es tat. Ja, piesacken gehört zum Comedy-Business dazu. Ein Mindestmaß an Anstand aber auch. Und deswegen hat Chris Rock allen Grund, sich seinerseits bei Will Smith zu entschuldigen.
Oder anders ausgedrückt: Beide sind Opfer, beide sind Täter.
11 Antworten
Vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel, der mir zu 100 % aus der Seele spricht! Sehr feinfühlig und empathisch. Bravo!
Danke für diesen ausführlichen Kommentar und, natürlich verletzen verbale Entgleisungen. Als Böhmermann den Herrscher der Türkei angriff, hat sich dessen Reaktion ganz sicher auf seine Widesacher im Land ausgewirkt. Und wer von den „Spaßmachern“ im deutschen TV meint, Veräppelung gegen Putin, wirke sich nicht negativ aus auf dessen Handeln, der hat kaum noch Anstand und Verstand. Leiden müssen immer andere.
Das ist ein sehr guter Kommentar. Danke dafür.
Es ist auch festzuhalten, dass auch jemand, der von einem anderen verletzt wird, das unbedingte Recht hat, sich dagegen zu wehren. Genau das wird ihm aber in unserer jetzigen Gesellschaft zu oft verwehr und abgesprochen. Wer sich gegen Mobbing oder verbaler Gewalt wehrt, wird zu gerne als Täter stigmatisiert. Der eigentliche oder Ersttäter kommt dabei immer leicht aus seiner Täterposition raus. Ja, er darf sich dann sogar noch als das eigentliche Opfer feiern lassen. Das ist zu einer echten Unkultur geworden und gehört immer wieder öffentlich diskutiert.
Genauso sehe ich es auch. Es war falsch aber Gewalt ist nicht immer nur körperlich.
Und oft ist das seelische viel gravierender als das körperliche. Wird allerdings weder von den Moralisten noch von den Gesetzgebern entsprechend berücksichtigt.
So falsch Smiths Aktion war, Und so wenig sie mit einer Entschuldigung aus der Welt geräumt ist, immerhin ER hat sich entschuldigt. Und es ist entschieden dass ER die Konsequenzen tragen wird. Aber wie Sie schon schrieben es waren nicht nur beide Opfer, sondern auch beide Täter
Wenn sich beide bei dem Anderen entschuldigen würden, wäre das ein guter Ansatz, aber dann müßten diese Extremkomiker auch aufhören, ständig anderen Menschen mit Worten weh zu tun!
Lieber Herr Franz,
Danke für diesen wirklich einfühlsamen und differenzierten Kommentar.
„Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist (2. Mose 20,13; 21,12):
»Du sollst nicht töten«; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein.
Ich aber sage euch:
Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig;
wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig;
wer aber sagt: Du Narr!,
der ist des höllischen Feuers schuldig.“
(aus der Bergpredigt)
Vielleicht sei an dieser Stelle auch noch mal an die berühmte Ohrfeige von Beate Klarsfeld an die Adresse eines amtierenden Bundeskanzlers mit NS-Vergangenheit erinnert. Damals war die Reaktion noch deutlich anders als heute, auch wenn Frau Klarsfeld damals ähnlich wie heute Will Smith nur von einer Minderheit als Heldin gefeiert wurde. Aber wer heute sich trauen würde, einen Bernd H.* öffentlich zu ohrfeigen, würde vermutlich noch deutlich mehr gefeiert als ein Will Smith. Kommt halt auch darauf an, *wer* der Täter und wer das Opfer ist. Als der Student Karl Ludwig Sand im Jahr 1819 den Schriftsteller August von Kotzebue ermordete, galt er damals sogar recht vielen Menschen als Held, da das Mordopfer bei diesen einen sehr schlechten Ruf hatte.
Name geändert. Wer weiß, wen ich meine, der gehe diskret damit um…
Danke, Nicolai! Genau so sehe ich das auch. Ausgewogen geschrieben.
Die anderen Kommentare beweisen eindeutig, dass Sie, Herr Franz, hier einen Nerv getroffen haben.
Nun warten wir auch noch auf die Entschuldigung von Chris Rock, nicht wahr?
Dann kann die Sache zu den Akten gelegt werden.
Auch die Geschichte mit dem Drachenlord bei uns in Deutschland zeigt Parallelen. Er wurde immer wieder auf das Übelste beschimpft und beleidigt. Erst online, dann vor seinem Haus. Nur würde er verurteilt. Klar ist er auch Täter, weil er handgreiflich würde. Aber wie stark fallen hier die Taten von seinen Provokateure ins Gewicht? Wäre er auch ohne Provokationen übergriffig geworden? Wohl kaum.
Seine überheblichen Widersacher kommen mehrheitlich ohne Strafe davon.
Gebt Raum dem Zorn Gottes. denn es steht geschrieben: „Mein ist die Rache ich werde vergelten, spricht Gott der Herr.“
Extrem schwierig in unserer heutigen Zeit, da viele meinen sie könnten mit den Schwächeren umgehen wie sie es für richtig halten, und nicht nach den Vorgaben Gottes.
Ich kann die Ohrfeige verstehen.