Wer zieht in den Élysée-Palast?

Die Bürger Frankreichs wählen im April ihren Präsidenten. Gibt es einen Machtwechsel im Nachbarland? Emmanuel Macron will jedenfalls weitermachen, hat er jetzt angekündigt.
Von PRO
Emmanuel Macron

Am 10. April steht in Frankreich die erste Runde der Direktwahlen zum neuen Präsidenten an und laut Umfragen gilt der amtierende Präsident Emmanuel Macron als aussichtsreichster Kandidat für eine Wiederwahl. Macron hatte sich 2017 mit seiner Bewegung „La République en Marche“, kurz „En Marche“, im zweiten Wahlgang gegen die rechtsnationale Marine Le Pen vom Front National durchgesetzt.

Nach fünf Jahren unter François Hollande von der Parti Socialiste (PS), die als Jahre des Stillstandes galten, füllte er damals mit seiner ganz neuartigen „Bewegung“ das politische Vakuum, das aus der Zerstrittenheit innerhalb der großen Parteien entstanden war. „En marche“ sammelt bewusst Menschen aller politischer Prägungen und auch Kompetenzträger ohne politische Erfahrung unter Macrons Präsidentschaft.

Als zentrale Figur der französischen Verfassung besitzt dieser im Gegensatz zu Präsidenten anderer parlamentarischer Demokratien, etwa Deutschland, eine Fülle eigenständiger Kompetenzen, die keiner Gegenzeichnung seitens des Regierungschefs oder eines Ministers bedürfen.

So ernennt er etwa den Premierminister, führt den Vorsitz im Ministerrat, kann ein Referendum erlassen, die Nationalversammlung auflösen, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und hat damit die Entscheidungsvollmacht über den Einsatz der Atomwaffen sowie das Recht, Verhandlungen über internationale Verträge zu führen und diese zu ratifizieren.

Foto: U.S. Department of State | CC0 1.0 Universal
Wird auch in den nächsten fünf Jahren Emmanuel Macrons Amts- und Wohnsitz im Elysée-Palast sein? Darüber entscheiden die französischen Bürger im April.

Macron stammt aus einer laizistischen Arztfamilie und ließ sich mit zwölf Jahren beim Eintritt in eine Jesuitenschule auf eigenen Wunsch katholisch taufen. Er studierte Politologie und Philosophie und absolvierte die Elite-Verwaltungsschule ENA in Strasbourg.

Mit Erfahrung im Finanzministerium und im Invest­mentbanking wurde Macron mit gerade mal 36 Jahren Minister für Wirtschaft, Industrie und Digitales unter Präsident Hollande und mit 39 Jahren jüngster Staatspräsident Frankreichs. In seine nun auslaufende Amtszeit fiel die „Gelbwesten“-Bewegung (Les Gilets Jaunes) als Folge einer angekündigten drastischen Erhöhung der Treibstoffabgaben. Bilder von Gewalt und Anarchie gingen um die Welt, die Bewegung war von radikalen gewaltbereiten Gruppierungen aus dem In- und Ausland unterwandert worden.

Die Stimmung ist angespannt

Nach den islamistischen Anschlägen in Paris 2015 und Nizza 2016 während Hollandes Amtszeit gab es auch in der von Macron islamistisch geprägte Einzeltaten, wie den Amoklauf auf dem Weihnachtsmarkt in Strasbourg, die brutale Ermordung dreier Kirchgänger in Nizza oder die Enthauptung eines Lehrers durch einen 18-jährigen Schüler in der Nähe von Paris. Macron hat islamistischer Gewalt „den Krieg erklärt“, geht aber anders als extreme Laizismus-Lobbyisten in den Dialog mit den Religionen.

Trotz eines leichten wirtschaftlichen Aufschwungs unter seiner Präsidentschaft leidet Frankreich immer noch unter einer Arbeitslosigkeit von rund acht Prozent (5,7 Prozent in Deutschland). Die Staatsverschuldung liegt bei 115 Prozent des Bruttosozialproduktes (Deutschland: 69 Prozent). Die Stimmung im Land war bereits vor der Corona-Krise angespannt, der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt, die Frage nach dem „Identitären“ bewegt die „Grande Nation“ in immer extremerem Ausmaß.

Harte Lockdowns im Pandemie-Jahr 2020 und eine von vielen als sehr autoritär empfundene Umsetzung der Corona-Maßnahmen sowie der im Sommer 2021 mit knapper Mehrheit beschlossene Pass Sanitaire, der Gesundheitspass, sorgten für weitere Stimmungstiefs.

Am 16. Januar 2022 wurde der Pass Sanitaire durch einen reinen Pass Vaccinale, also digitalen Impfpass, ersetzt, der Ungeimpften die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben weiter erschwert. Erst Anfang März kündigte Macron seine erneute Kandidatur an, was als politisches Kalkül gilt: Frankreich hat seit Dezember 2021 für sechs Monate den EU-Ratsvorsitz inne. Macron, der sich für ein „starkes souveränes Europa“ engagiert, gibt vor, sich zunächst auf sein europäisches Mandat konzentrieren zu wollen.

Zwischen Hassparolen und Hologrammen

Der Wahlkampf wird sich, so sind sich die Experten einig, im rechten politischen Lager abspielen, es sei denn, die politische Linke einigt sich noch auf einen gemeinsamen starken Kandidaten. Als eine der aussichtsreichsten Gegenkandidatinnen gilt nach wie vor Marine Le Pen, vom Rassemblement National (RN), wie sich die Partei nun mit einem europafreundlicheren und islamtoleranteren Profil nennt.

Unter Druck gerät ihre Partei durch den rechtsradikalen medienerfahrenen Populisten Eric Zemmour, der „die Rückeroberung des schönsten Landes der Welt“ verspricht. Hassparolen und gewaltsame Konfrontationen gehören zu seinen Auftritten.

Frankreich

Einwohner:
67,8 Millionen

Fläche:
632.733 km² (mit Überseegebieten)

Staatsform:
Semipräsidentielle Demokratie

Hauptstadt:
Paris

Nationalfeiertag:
14. Juli. An diesem Tag im Jahr 1789 stürmten Bürger die Festung „Bastille“ in Paris, ein Staatsgefängnis. Das Ereignis gilt als Auftakt der Französischen Revolution.

Aus dem gemäßigt bürgerlich-konservativen Lager tritt erstmals eine Frau für die Partei Les Républicains in den französischen Wahlkampf. Valérie Pécresse ist Regionalpräsidentin der Region Ile de France rund um Paris. Ihre Themen sind Sicherheit, eine konservative Haltung zu illegaler Migration und ein wirtschaftlich starkes Europa mit eigener kultureller Identität. Die Mutter von zwei Kindern bekennt sich zur römisch-katholischen Kirche.

Die politische Linke gilt als zerstritten, Umfragen geben den Kandidaten kaum Chancen, in den zweiten Wahlgang zu kommen. Die Sozialistin Anne Hidalgo ist Bürgermeisterin von Paris und besetzt sozial-ökologische Themen. Die historische Pariser Innenstadt wird unter ihrer Regierung ab 2022 autofrei, eine Klimasteuer gegen hohe CO2-Belastung und „würdige Löhne“ insbesondere für Lehrer stehen in ihrem Wahlprogramm.

Damit besetzt sie Themenbereiche von Yannick Jadot, der für die Grünen, „Europe Ecologie – Les Verts“, antritt. Der vormalige Sozialist Jean-Luc Mélenchon, jetzt Anführer der Bewegung „Unbeugsames Frankreich“ (La France insoumise), gilt nach staatskritischen Parolen als linkspopulistisch. Wie schon 2017 setzt er auch in diesem Wahlkampf auf mediale Effekte und Auftritte per Hologramm an mehreren Orten gleichzeitig.

Wissen um religiöse Inhalte schwindet

Die großen Themen Sicherheit, soziale Gerechtigkeit, Energie-, Umwelt- und Wirtschaftsfragen werden im Wahlkampf gespielt. Aber auch der Umgang mit Zuwanderung, Integration und den sogenannten Minderheiten unter dem ideellen Grundsatz von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

In dem von dem Aufklärer und Philosophen Jean Jacques Rousseau stark geprägten katholischen Frankreich herrscht seit 1905 das Gesetz der Laizität, also eine strikte Trennung von Kirche und Staat bei gleichzeitiger Glaubensfreiheit.

Es gibt keinen Religionsunterricht in den Schulen, ausgenommen Elsass und Lothringen, die 1905 noch zu Deutschland gehörten. Im Land großer aufklärerischer Denker wie Voltaire, Montesquieu, Rousseau aber auch des Mathematikers und christlichen Philosophen Blaise Pascale fehlt es zum Bedauern der Philosophielehrer und Religionsvertreter zunehmend an Wissen um religiöse Inhalte, insbesondere einem Wissen um die Bibeltexte, die doch maßgeblich die französische und europäische Kultur mit geprägt haben.

Religionen in Frankreich

  • keine Religionszugehörigkeit: 50,5 %
  • Katholiken: 40 %
  • Muslime: 5,1 %
  • Protestanten: 1,7 %
  • andere christliche Gruppen: 0,8 %
  • Juden: 0,3 %
  • Sonstige: 1,3 %

(Anteil an der Bevölkerung)

Zuletzt wurde im Juli 2021 ein neues Gesetz zur Laizität verabschiedet, mit Regelungen, die eine verschärfte Kontrolle religiöser Vereine aller Konfessionen ermöglichen. Durch das Gesetz zur „Stärkung der Prinzipien der Republik“ sollen Moscheen oder religiöse Vereine noch schneller geschlossen werden können, wenn in ihnen Hass und Gewalt gepredigt wird.

Der 66-jährige Muslim Mustafa Selmane aus Strasbourg sieht die Ignoranz vieler Menschen gegenüber den Religionen als ein großes Problem. Der Vater von drei Töchtern und Großvater von sieben Enkelkindern kam im Jahr 2000 nach Frankreich, nachdem die damals 13-jährige Tochter beinahe Opfer einer Entführung durch Islamisten wurde. Er stammt aus Algerien, zu dem Frankreich durch seine Kolonialgeschichte bis heute eine enge Verbindung hat.

„Die jungen Menschen wissen nichts mehr über die Inhalte ihrer Religion, weil auch die Generation davor nichts mehr weiß. Sie beziehen ihr Wissen über radikale Prediger im Internet.“ In der Folge von islamistisch motivierter Gewalt konstatiert er einen Rassismus, der sich nicht mehr auf „die Araber“ bezieht, sondern ganz generell auf „die Muslime“. Statt also zum gesellschaftlichen Frieden beizutragen, sorgen die strengeren Laizismus-Gesetze seiner Meinung nach für mehr Spannungen.

Auch das neue Bioethik-Gesetz, das die Nationalversammlung im Juni 2021 verabschiedet hat, sieht er sehr kritisch. Laut Gesetz können sich nun auch Single-Frauen und lesbische Paare ihren Kinderwunsch durch künstliche Befruchtung auf Kosten der Krankenkasse erfüllen.

Darüber hinaus wird auch die Embryonen- und Stammzellforschung liberalisiert, genetische Zwillinge und Hybridwesen aus Mensch und Tier sind möglich, müssen aber nach zwei Wochen vernichtet werden.

Das Gesetz gehört noch zu Macrons Wahlversprechen von 2017. Selmane, Sohn eines Lehrers und aus einer Großfamilie stammend, sieht hier eine weitere Auflösung der Verbindlichkeit von Familie. „Die Liebe eines Vaters ist nicht gleich wie die Liebe einer Mutter, ein Kind braucht beides.“

Damit ist er auf einer Linie mit Vertretern der Katholischen Kirche, die vom „Triumph einer Ideologie“ sprechen, welche die „Würde des Menschen“ von „veränderbaren Variablen“ abhängig mache. Es gibt also genug Themen im Wahlkampf 2022, der an Fahrt aufnimmt und von Bedeutung für ganz Europa ist.

Von: Carola Bruhier

Dieser Text erschien in der Ausgabe 1/2022 des Christlichen Medienmagazins PRO. Sie können PRO kostenlos online bestellen oder telefonisch unter 0 64 41/5 66 77 00.

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