Wer Ohren hat, zu hören – der wird verblüfft sein

Er hat das Musik-Format MP3 erfunden, damit das Internet verändert und Firmen wie Apple viel Geld eingebracht. Heute will es der gläubige Christ Karlheinz Brandenburg mit einer neuen Erfindung und einer eigenen Firma noch einmal wissen.
Von Jörn Schumacher
Der MP3-Erfinder Karlheinz Brandenburg

Noch bevor er dem Besucher seine neue Erfindung persönlich vorführt, huscht ihm im Gespräch immer wieder ein zufriedenes Lächeln über sein Gesicht. „Schon viele Forscher haben es versucht“, sagt der Ingenieur Karlheinz Brandenburg in den Büroräumen seiner neuen Firma im thüringischen Ilmenau. „Schon vor mehr als 50 Jahren hat man mit Kunstkopfstereofonie experimentiert. Andere haben über 50 Mikrofone in einem Raum verteilt und versucht, die künstliche Wiedergabe auf Kopfhörerlautsprechern entsprechend anzupassen.“

Das Ziel: einem Kopfhörer denselben guten Klang zu entlocken wie einer guten Stereo-Anlage, einschließlich der Wiedergabe des Raumklangs. Brandenburg und seinem Team ist es gelungen. „Und wenn Sie es selbst ausprobieren, werden Sie genau so verblüfft sein wie alle.“

Ich probiere es aus. In den Büroräumen seiner „Brandenburg Labs GmbH“ im Zentrum von Ilmenau haben der Ingenieur und sein Team einen Vorführraum eingerichtet. Viel ist darin nicht enthalten: zwei Lautsprecher auf Stativen, in Kopfhöhe montiert, und ein Tisch mit einem Computer. Eine Mitarbeiterin spielt über die Raum-Lautsprecher Stimmaufnahmen und dann Musik ab. Ich soll ein paar Schritte im Raum machen, sagt mir die Dame, der Raumklang hört sich für mich erwartungsgemäß unterschiedlich an, je nachdem wie weit ich mich von den Lautsprechern entferne.

Vor Verblüffung erstarrt

Dann setzt mir die Mitarbeiterin einen Kopfhörer auf, der sich von einem gewöhnlichen Kopfhörer lediglich durch einen Kunststoff-Aufsatz unterscheidet, der die Ortung des Kopfhörers im Raum ermöglicht. Die Musik höre ich weiterhin über die Lautsprecher. Nach einer Weile fragt mich Brandenburg, während ich weiter durch den Raum schreite: „Was meinen Sie, woher kommt der Klang nun? Aus den Lautsprechern oder aus dem Kopfhörer?“ Ich antworte wahrheitsgemäß: „Aus den Lautsprechern natürlich!“

Brandenburg deutet mir, ich solle die Kopfhörer absetzen, das tue ich. Es ist komplett still im Raum. Ich erstarre kurz vor Verblüffung. Aus den Lautsprechern kommt wider Erwarten kein Mucks. Die Kopfhörer wieder aufgesetzt, und die Illusion ist perfekt: Ein Klang als käme er aus dem Zimmer. Brandenburg kennt die Reaktion der Versuchspersonen. Den meisten klappt die Kinnlade herunter. Auch mir entfährt ein „Das ist ja irre!“. Der Ingenieur war bereits bei Apple in Kalifornien, hat mit den großen Hifi-Herstellern wie Sennheiser gesprochen und seine Erfindung schon auf Technik-Messen wie jüngst auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas vorgestellt.

Millionen-Investitionen gesucht

Begriffe wie 3D-Audio oder „Spatial Audio“ machen seit Jahrzehnten immer wieder mal wieder die Runden durch die Hifi-Gemeinde. Meistens bleibt die Realität aber weit hinter den immer wieder groß gemachten Versprechungen der Hersteller. Bei Surround-Systemen wie 5.1 oder 7.1 kann die Anzahl der Boxen im Wohnzimmer quasi bis ins Unermessliche gesteigert werden. „Dolby Atmos Music“ verspricht seit kurzer Zeit eine neue räumliche Klangwiedergabe. Man braucht dazu aber im besten Fall ebenfalls mehrere im Raum verteilte Lautsprecher.

Auch über Kopfhörer soll man ein beeindruckendes neues Klangerlebnis haben. Verglichen so aber einmal Stereo das massiv gehypte „Dolby Atmos Music“ ist der Unterschied von lediglich mehr Lautstärke kaum zu unterscheiden. Apple schafft es in seinen neueren Modellen der Kopfhörer, die Bewegung des Kopfes mittels Bewegungssensoren zu tracken – Bewegt man seinen Kopf, rotiert das Klangfeld entsprechend. Mehr aber auch nicht. Was das Kopfhörer-Erlebnis angeht, ist man eigentlich nie wirklich über Kunstkopf-Stereophonie hinaus gekommen.

In den 90er Jahren entwickelte der Ingenieur das weltbekannte Musik-Format MP3 mit. Auf einmal nahm Musik in CD-Qualität nur noch einen Bruchteil des Speicherplatzes ein und konnte in Sekunden um die Welt geschickt werden. Das Dateiformat MP3 wurde zum globalen Standard und machte Firmen wie Apple mit MP3-Playern wie dem iPod reich.

Damals war Brandenburg Professor am „Institut für Medientechnik“ an der Technischen Universität in Ilmenau. Um den „Mister MP3“ herum wurde ein ganzes Fraunhofer-Institut mit rund 150 Mitarbeitern errichtet, er bekam zahlreiche Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland sowie den „Deutschen Zukunftspreis“. Dieses Mal will der 69-Jährige seine neues‌‌te Innovation im Audio-Bereich selbst vermarkten.

2019 gründete er die Firma „Brandenburg Labs“. Und weiterhin ist Brandenburg Senior Professor im „Department of Electrical Engineering and Information Technology“ an der TU Ilmenau, wo er für viele Studenten Doktorvater ist. In seiner GmbH sind bislang 17 Mitarbeiter beschäftigt, CEO Brandenburg ist derzeit auf der Suche nach Kapitalgebern.

Etwa drei Millionen Euro an Investitionskapital hat er bereits zusammen. Fördergelder des Freistaates Thüringen und des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung gehören dazu, ebenso eigenes Kapital. Für die nächste Stufe brauche er fünf bis zehn Millionen Euro von Investoren, sagt Brandenburg. Was noch fehlt, ist ein griffiger Name für das neue Produkt. Doch daran arbeite bereits eine Agentur.

Interessant ist die neue Technik nicht nur für Musik-Freaks und Kino-Liebhaber. Sie ermöglicht bei Videokonferenzen, dass man die Sprecher exakt von dem Ort hört, wo sie zu sitzen scheinen. Als mögliche Anwendung sieht Brandenburg auch Audio-Führungen in Museen. Dort könnte man „die Exponate sprechen lassen“. In zwei Musikstudios werde sein Audio-System schon eingesetzt.

Gemeinsam mit zwei Instituten der TU Ilmenau hat Brandenburg zudem ein Forschungsprojekt gestartet, dessen Ziel die Unterstützung von Tinnitus-Therapien ist. Dabei bekommt der Patient typische Tinnitus-Geräusche per Raumklang exakt so in die Ohren platziert, wie er sie real hört. Werden die Geräusche dann ausgeschaltet, könnte das Gehirn lernen, dass es die Geräusche nicht mehr wahrnehmen muss. Es besteht sogar die Möglichkeit, sich einen ganzen Konzertsaal mitsamt Orchester in die eigenen vier Wände zu holen. Der Nachbar wird nicht einmal gestört. Auch in Sachen Virtual Reality und Computerspiele eröffnen sich neue Möglichkeiten.

„Eine AfD-Beteiligung an einer Landesregierung darf auf keinen Fall passieren.“

Er habe mit seinem Team viel Forschungsarbeit darauf verwenden müssen um herauszubekommen, was alles dafür nötig ist, damit den Ohren über Kopfhörer der selbe Klang präsentiert wird, der im Raum vorherrscht. „Unser Gehirn nimmt Schall im Raum wahr, indem es die Signale beider Ohren gemeinsam verarbeitet“, sagt Brandenburg. Der direkte Schall von der Schallquelle sei nur ein Teil der Information, erklärt Brandenburg weiter. „Es kommen noch viele andere, leicht verzögerte Reflexionen hinzu, die zusammen das Raumerlebnis erzeugen. Es reicht, wenn ich jetzt hier im Raum die Tür öffne – das Gehirn merkt anhand der Raumakustik, dass sich etwas geändert hat.“

Brandenburg fügt schmunzeln hinzu: „Wir sind viel mehr Fledermäuse, als wir denken.“ Streng genommen müssten sogar die Formen der jeweiligen Ohrmuscheln in das Klangerlebnis einberechnet werden. Doch bei der Synthese scheint das Gehirn hier gnädig zu sein. „All diese Erkenntnisse sind bei der Kopfhörerwiedergabe bisher nie richtig genutzt worden“, fasst Brandenburg zusammen.

Der Mann, der eine der bekanntesten Erfindungen der Medienwelt gemacht hat, bekennt sich offen zu seinem christlichen Glauben. Brandenburg war in den 80ern lange Jahre Vorsitzender des evangelischen Landesjugendkonvents in Bayern. „Ich habe bei den christlichen Pfadfindern angefangen und mich später in der evangelischen Jugendarbeit in Bayern engagiert, da war ich Gruppenleiter.“ Noch heute habe er Kontakt zu den Pfadfindern. „Damals waren die Themen Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung enorm wichtig. Ich war auch beeinflusst durch Taizé. Uns war es wichtig, Spiritualität mit konkretem Engagement zusammenzubringen“, sagt Brandenburg.

Sinn und Ziel seiner damaligen Arbeit umschreibt er mit einem Zitat: „Evangelische Jugendarbeit bedeutet, das Evangelium von Jesus Christus den Jugendlichen in ihrer Lebenswirklichkeit zu bezeugen.“ Noch heute sei ihm besonders der Zusammenhang zwischen Glauben und Leben wichtig. Seit vielen Jahren ist Brandenburg zudem Mitglied im Kuratorium der Evangelischen Akademie Thüringen in Neudietendorf und seit einiger Zeit dort auch Vorsitzender.

Er wurde vor drei Jahren von der Landessynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) in den Landeskirchenrat, also das Leitungsgremium, gewählt. Ist er regelmäßiger Kirchgänger? „Jein“, antwortet Brandenburg. „Wenn ich über die Jahrzehnte zurückschaue, habe ich wahrscheinlich sehr viel mehr Andachten und Gottesdienste selber mit organisiert, als dass ich Besucher gewesen wäre.“

Den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen sieht er mit Sorge entgegen. Denn ein rechter Populismus stehe seiner Meinung nach nicht nur konträr zu einer christlichen Weltsicht, sondern bedrohe auch sein junges Unternehmen. „Die Hälfte unserer Belegschaft stammt gebürtig nicht aus Deutschland, sondern aus Brasilien, Äthiopien, Spanien, Albanien und Indien“, sagt der Firmenchef. „Wir können es uns nicht leisten, dass diese Leute hier Angst haben, auf die Straße zu gehen.“ Eine AfD-Beteiligung an einer Landesregierung „darf auf keinen Fall passieren“. Nach der Wahl stehe für die Firma die Frage im Raum: Bleibt man in Ilmenau, oder steht ein Wegzug ins Ausland an?

Seine GmbH ebenso wie die Landeskirche gehören zum neu gegründeten Bündnis „Weltoffenes Thüringen“. Die EKM hat eine Stellungnahme zur Wahl abgegeben. „Was bei Wahlen eher ungewöhnlich ist“, betont Brandenburg, der im Redaktionskreis des Landeskirchenrates saß. „Die klare Botschaft lautet: Was die AfD verbreitet, ist mit christlichen Grundsätzen nicht vereinbar.“

Dass seine neue Erfindung zündet, hofft Brandenburg, und das könne gerne auch in Deutschland geschehen. Viel Forschungsarbeit hat er mit seinem Team darauf verwendet. Wenn er auf mögliche Investoren zugehe, gebe es häufig ein Problem, berichtet Brandenburg. „Sagt man ihnen, was man erfunden hat, winken viele ab und sagen: ‚Von so etwas habe ich schon gehört, das können andere auch.‘ Aber nicht alle gönnen sich einen Test mit unserem System. Jeder, der mit eigenen Ohren hört, wie wir dem Gehirn die perfekte Audio-Illusion vorspielen, ist völlig begeistert. Man muss es eben selbst gehört haben.“

Dieser Artikel erschien zuerst in PRO – Das christliche Medienmagazin, Ausgabe 2/2024. Sie können die Ausgabe hier bestellen.

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