„Wenn keiner mehr da ist, wer soll etwas ändern?“

Die Kirchenaustritte nehmen weiter zu. Dass die Stimme der Kirche die Gesellschaft immer weniger prägt, scheinen Konfessionsvertreter und (Noch-)Kirchenmitglieder hinzunehmen. Das meint Welt-Autorin Claudia Becker und fordert beide Gruppen auf, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden.
Von PRO
Leere Kirchenbänke dürfen nicht einfach hingenommen werden, meint Welt-Autorin Claudia Becker
Der römisch-katholischen Kirche gehörten nur noch 30,3 Prozent der Deutschen an, zur Evangelischen Kirche Deutschland zählten nur noch 28,9 Prozent, schreibt Becker in ihrem Artikel „Die Kirchen bluten aus“. Beide Kirchen haben in den vergangenen zwei Jahren mehr als Hunderttausend Mitglieder verloren. Grund für die vielen Austritte sei, dass sich beide Kirchen zu wenig am Zeitgeist und an den Bedürfnissen ihrer Mitglieder orientierten. An der Katholischen Kirche kritisiert Becker die fehlende Gleichberechtigung von Frauen und Männern und eine „Doppelmoral des Sexualkodexes“, der einerseits das Zölibat propagiere, andererseits Kindesmissbrauch in den Kirchen tolerieren. Über die Protestanten schreibt sie: „Aber auch eine evangelische Kirche, die so liberal ist, dass sie schon manchmal belanglos ist und so enspiritualisiert, dass sie sich kaum noch traut, vom Glauben zu sprechen, hat keine Zukunft.“ Schon in den Kindergottesdiensten solle mehr religiöse Erziehung vermittelt werden, anstatt „Bilder von der Arche Noah auszumalen“.

Kirchliche Erziehung statt Arche Noah-Bilder

Wenn in der Kirche Themen wie Bildung, wirtschaftliche Verantwortung oder Sterbehilfe diskutiert würden, sei das Interesse groß, zum Beispiel auf Kirchentagen. Zu Ostern und Weihnachten begeisterten Kantaten und Oratorien sogar Atheisten. „Es gibt sie noch, die Kernkompetenzen der Kirche“, schlussfolgert die Autorin. Die Austrittswilligen sollten sich auch diese „andere Seite der Kirche“ vor Augen führen und sie sollten „wissen, was sie tun, wenn sie sich zum Teil der Austrittswelle machen.“ Wer keine Kirchensteuern mehr zahlen wolle, nähme das Ende einer Institution in Kauf, die unter anderem auch für das deutsche Wohlfahrtssystem verantwortlich sei. So erfreuten sich zum Beispiel kirchliche Kindergärten und Schulen großer Beliebtheit im Land. Ein wichtiges Argument für die Institution Kirche sei aber auch, dass „der Mensch nicht vom Brot allein lebt.“ Tröstende und ermutigende Impulse fänden sich an wenigen Orten außerhalb der Kirchen. Austrittswillige Mitglieder und Kirchenvertreter beider Konfessionen müssten sich deshalb ihrer Verantwortung dafür bewusst werden, dass die Kirche und ihre Impulse nicht aus dem Leben der Menschen und der Gesellschaft verschwänden. Sie seien diejenigen, die den Status quo gemäß dem Zeitgeist verändern könnten, um kirchliche Werte und Traditionen zu bewahren. Denn „wenn keiner mehr da ist, wer soll dann noch etwas ändern“, fragt Becker. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/kirche/detailansicht/aktuell/data-day-kirchenstatistik-2013-88701/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/warum-menschen-in-die-katholische-kirche-eintreten-87105/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/wolfgang-thierse-befuerchtet-tausende-kirchenaustritte-86848/
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