Andreas Theurer ist in einem liberalen Elternhaus aufgewachsen. Obwohl der Glaube dort keine allzu große Rolle spielte, faszinierten ihn schon als Kind die Bibel und das frühe Christentum. Mit elf Jahren begann der „Stubenhocker und Bücherwurm“, wie er sich selbst nennt, die Bibel zu studieren. In seiner Jugendzeit zog die Familie von München in die Nähe von Stuttgart. Weil er schon früher in der Kinderkirche mitarbeitete, wollte er auch am neuen Wohnort mitmachen und Gemeinde gestalten. Kurz vor dem Abitur fällte er die Entscheidung, evangelische Theologie zu studieren und zog in das Evangelische Stift in Tübingen ein. „Ich kam aus einem pietistischen Umfeld und traf auf Studenten, die zwar für atomwaffenfreie Zonen kämpften, aber kein gemeinsames Tischgebet wollten“, erzählt Theurer. Die „totale Verdiesseitigung“ war ihm fremd. Nur wenige Studenten tickten so wie er.
Im zweiten Semester herrschte Zimmerknappheit im Stift. Es wurden zwei evangelische Studenten gesucht, die in das katholische Wilhelmsstift umziehen würden. Theurer zog um und stellte fest: „Diese Studenten meinten es mit ihrem Glauben ernst.“ Schon früh rieb sich der Theologe an Sachfragen: „Ich habe zum Beispiel als Vikar keine ordentliche Beauftragung meiner Kirche erhalten, dass ich das Abendmahl feiern darf. Die offizielle Beauftragung gab es nur schriftlich. Es genügte der Kirchenleitung wohl, dass man das Abendmahl feiern will, und nicht, dass man es darf oder kann. Die Vereidigung bei der Post als Ferienjobber war feierlicher.“
Seine erste Pfarrstelle nahm er in der Nähe von Freudenstadt im Schwarzwald an. Bald kamen ihm Zweifel an der protestantischen Lehre, die er seinen Gemeindemitgliedern verkünden sollte. Er gelangte zu der Ansicht, dass die reformatorische Erkenntnis „Allein die Schrift“ ein „falsches, mittelalterliches Prinzip und der Kernschaden des Protestantismus“ sei. Die Bibel könne, so glaubt er, nicht als „dogmatisches Lehrbuch“ herhalten, weil es eine Tradition gebe, die detaillierter, differenzierter und älter als die Bibel sei. „Deswegen kann diese auch kein Dogmatik-Lehrbuch sein.“
In der Bibel stehe zum Beispiel nicht viel zur Ausgestaltung von Abendmahl und Taufe, weil es für die damalige Situation nicht nötig gewesen sei, da es damals über diese Fragen keinen Streit gegeben habe. Daraus zu schließen, dass die Details darüber in der Urkirche nicht wichtig gewesen seien, sei daher völlig falsch. Für Protestanten hört sich das nach starkem Tobak an. Wenn diese ihr „Sola scriptura“-Prinzip nicht aufgeben, sehe Theurer keine Chance für ein weiteres ökumenisches Zusammenwachsen. Die katholischen Standpunkte seien im Gegensatz zu den evangelischen mit der Heiligen Schrift vereinbar, schießt er scharfe und diskussionswürdige Pfeile in Richtung seines ehemaligen Arbeitgebers. Dem landeskirchlichen Protestantismus wirft er vor, selbstverliebt sein eigenes Profil zu pflegen und sich dabei von seinen ursprünglichen Grundlagen zu entfernen.
Konfessionswechsel aus dem Amt heraus
Theurer stellte nach und nach fest, dass die Katholische Kirche die richtige für ihn sei. Irgendwann wollte er die Konsequenzen ziehen. Doch das war gar nicht so einfach. Der letzte Konfessionswechsel aus dem Amt heraus geschah in Württemberg im 19. Jahrhundert. „Ich wusste nicht, wie es geht, und habe mich nicht getraut zu fragen.“ Im Rückblick ist der Wechsel nicht gut gelaufen. Ein von ihm veröffentlichtes Buch, „Warum werden wir nicht katholisch?“ führte zu Theurers Suspendierung. Seine Kirche wertete es als Affront. Er wurde drei Monate beurlaubt. Mit seiner Konversion verlor er alle Rechte in der Evangelischen Kirche. Seine Frau Gudrun, die bis dahin Synodale der Landeskirche war und sich in der Hospizbewegung engagierte, ging den Schritt mit. Für Theurer ist damit ein langer Entfremdungsprozess zu Ende. Die arbeitsrechtlichen Aufnahmebedingungen in die Katholische Kirche seien großzügig gewesen. Seit der Konversion kann er als katholischer Theologe arbeiten und darf sich auf die Priesterweihe vorbereiten.
Über die Konflikte im Zusammenhang mit dem Wechsel sagt er: „Die erste Zeit war schmerzvoll. Ich war damals sicher nicht der Richtige, um die Ökumene zu sichern“, blickt er fünf Jahre später zurück. Das Verständnis der Eucharistie und die Glaubensgemeinschaft, die viele Evangelikale an den Tag legten, sind für ihn eben nicht der Gipfelpunkt, sondern das Fundament der Diskussion. Bei Pfarrkollegen im evangelischen Umfeld habe an diesen Fragen wenig Interesse bestanden. Theurer zieht klare Linien: „Was nicht zur aufrichtigen Christusbeziehung führt, führt in die Irre.“
Egal, ob katholisch oder evangelisch: Kirche solle auf keinen Fall „dem Zeitgeist hinterher hecheln“. Katholiken könnten überall da von Protestanten lernen, wo diese Christus in den Mittelpunkt stellten. Er bedauere es, wenn Gläubige ihren katholischen Standpunkt nicht darstellen könnten. Gerade bei der Mission an Muslimen und beim Thema Evangelisierung wünsche er sich bei den Katholiken die Leidenschaft und Professionalität, die manche Protestanten an den Tag legten. „Die innige Liebe zur Heiligen Schrift ist in der Breite schwach ausgeprägt.“
Geboren ist Ansgar Hörsting in Hamburg. Seine Eltern stammen aus dem katholischen Münsterland. Zu dem „eher progressiven Katholizismus“, wie seine Eltern ihn praktizierten, gehörten Rituale wie der sonntägliche Besuch der Messe und ein Gebet vor den Mahlzeiten. Auch das Vaterunser lernten die Kinder: „Unser Alltag war aber nicht ständig vom Glauben durchdrungen.“ Mit 14 Jahren ließ sich Hörsting firmen: „Ich wollte den Heiligen Geist empfangen“, sagt der heutige Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden (BFeG).
Er rang um wichtige Glaubensfragen. „Ich war gläubig, woran und wie auch immer“, erklärt er. Am Gymnasium in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Haan, in die die Familie zog, lernte er Schüler kennen, die Schulgottesdienste organisierten. Er war überrascht, wie locker und unverkrampft sie über ihren Glauben sprachen. Das kannte er bis dahin nicht. Hörsting besuchte mit seinen Mitschülern die Jugendangebote der Freien evangelischen Gemeinde. Ihn beeindruckte das moderne Liedgut und die Art, wie sie dort ihren Glauben lebten: „Ich kannte bis dahin nur vorformulierte Gebete und hatte einen richtigen ‚Flash‘, als ich die anderen so beten hörte und wie sie sonst sprachen. Da tobte das Leben. Die Jugendlichen hatten eine echte Beziehung zu Gott, die mich anzog.“ Drei Jahre später war dieses gute Gefühl wieder weg: Dann wurde ihm die Religiosität zuviel und er versuchte auszubrechen. „Ich wollte nach Gottes Willen leben, habe aber festgestellt, dass ich grundlegende Dinge nicht verstanden hatte.“
Er begab sich auf die Suche, hatte esoterische und nihilistische Phasen, in denen er nichts Verbindliches akzeptierte. Mit 20 Jahren „belaberte“ ihn sein Freund mit seinen Glaubensansichten. Hörsting hinterfragte ein zweites Mal, ob an der Sache mit Jesus etwas dran sein könnte: „Dann begriff ich, dass es alleine auf Jesus ankommt. Er bringt den Frieden, nach dem ich mich sehne und den ich brauche.“ Seine Eltern „haben mich ziehen lassen. Sie haben wohl gesehen, dass ich mit dem Herzen glaube und trotzdem mit beiden Füßen mitten im Leben stehe.“
Austritt mit guten Argumenten
Hörsting wollte nicht länger römisch-katholisch sein, weil vieles, was er erlebt hatte, „zu viel von der Hauptsache, Jesus“, ablenke. Er sprach auf Empfehlung seines Vaters vorher mit einem Priester, damit die Entscheidung zu konvertieren nicht aus einer Laune heraus fiele: „Für diesen war Rom nicht nur geographisch, sondern auch theologisch weit weg. Er war natürlich enttäuscht, hat mir aber nicht damit gedroht, dass ich den ‚Heilskörper Kirche‘ verlasse.“
Ein Knackpunkt, der ihn zum Konfessionswechsel bewog, war für ihn die Frage, was denn Kirche sei. Für ihn ist wichtig, die Taufe immer durch eine eigene Glaubensentscheidung zu begleiten. Wenn Kirche als die Gemeinschaft der Glaubenden definiert wird, ist Hörsting Feuer und Flamme. Wenn dagegen von der Gemeinschaft der Getauften als entscheidender Definition die Rede ist, hält der Theologe das bei der Taufpraxis in den großen Kirchen für bedenklich. Taufe ist für Hörsting immer durch eine eigene Glaubensentscheidung zu begleiten. Er wollte ab dann seinen Glauben an Jesus Christus beruflich weitergeben. Der Altenpfleger besuchte die theologische Ausbildungsstätte der Freien evangelischen Gemeinden im mittelhessischen Ewersbach. An seiner ersten Station als Pastor in der „katholischen Diaspora“ Siegen war Ökumene kein großes Thema: In einzelnen Fällen habe es klare Abgrenzungswünsche in evangelikalen Kreisen gegeben. „Ich wollte mich aber nicht über Abgrenzungen definieren, sondern über die Weite, die mir mein Glaube an Jesus Christus schenkt.“
Trotzdem scheut er sich nicht, über das Trennende zu reden. Hörsting reibt sich daran, dass die römisch-katholische Kirche in ihrer Dogmatik einen Exklusivanspruch einnimmt. Er kenne viele Priester, die auch keine Probleme hätten, bei seinem Bund von einer Kirche zu sprechen, das sei aber nicht offizielle Lesart. Dass nur in Anwesenheit des Priesters ein Sakrament vollzogen werden kann, sei die Folge verschiedener Fehlentscheidungen, aus denen die Kirche nur schwer herausfinden könne.
Sympathisch ist Hörsting die Klarheit, mit der der ehemalige Papst Benedikt in seinen letzten Büchern von der zentralen Bedeutung Jesu gesprochen habe: „Das begeistert mich.“ Der aktuelle Papst versuche diese Theologie bemerkenswert ins Leben der Gläubigen hinein zu verlegen. „Auch er muss sich natürlich in der festgelegten Dogmatik bewegen. Das ist fast wie ein Gefängnis.“ Aus diesem Kirchen- und Amtsverständnis leite sich viel Trennendes zwischen den beiden Konfessionen ab. Natürlich nehme er auch die Bewegungen in der katholisch-charismatischen Szene und in der Gebetshaus-Bewegung wahr: „Wenn dies auf die Botschaft von Jesus Christus fokussiert ist, freue ich mich darüber.“
Evangelikal und katholisch
Hörsting selbst bezeichnet sich als evangelikal – und als katholisch. Für ihn ist es selbstverständlich, Teil der allumfassenden Kirche zu sein: „Allumfassend, genau das bedeutet katholisch. Ich beanspruche genauso Teil der Kirche zu sein, wie römisch-katholische Gläubige auch. Ich gehöre Jesus und diesem Jesus gehört seine Gemeinde“, macht er klar.
Andreas Theurer, Jahrgang 1966, ist 2012 zum katholischen Glauben konvertiert: Als Theologe beim Bistum Augsburg arbeitet er im Bereich Neuevangelisierung. Zuvor war er 17 Jahre lang evangelischer Pfarrer in der württembergischen Landeskirche, entfremdete sich aber nach und nach von der protestantischen Theologie.
Ansgar Hörsting, Jahrgang 1965, steht seit 2008 als Präses an der Spitze des Bundes Freier evangelischer Gemeinden. Mit 20 Jahren konvertierte er. Nach seinem Studium am Theologischen Seminar Ewersbach (heute: Theologische Hochschule Ewersbach) war Hörsting von 1993 bis 1997 Pastor der Freien evangelischen Gemeinde Siegen-Geisweid. Ferner leitete er die Allianz-Mission, ist Präsident des Internationalen Bundes Freier Evangelischer Gemeinden (IFFEC) und Kuratoriumsmitglied des überkonfessionellen Vereins ProChrist, der Großevangelisationen veranstaltet.
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Von: Johannes Weil