Vorbild der christlichen Los-Praxis sind die "Herrnhuter Losungen". Nikolaus Graf von Zinsendorf hatte mit der Ziehung der Bibelverse 1728 für jeden Tag begonnen. Daraus ist das bis heute weltweit am meisten verbreitete Andachtsbuch entstanden. Auch der Schweizer Theologe Johann Casper Lavater soll, nach einem Beitrag der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", im 18. Jahrhundert das Los genutzt haben, um wichtige Alltagsentscheidungen zu treffen.
Biblische Worte für den Alltag präsent machen
Fortgeführt hat die Idee des Zuspruchs durch tägliche Bibelverse der Hallenser Pietist Carl Heinrich von Bogatzky. Mit seinem "Güldenen Schatzkästlein" erreichte er alle gesellschaftlichen Schichten. Das Konzept bestand aus biblischen Sprüchen und "erbaulichen Reimen und Anmerkungen" und konnte als Buch oder als Ziehkasten genutzt werden. Bogatzky wollte damit die biblischen Worte im Lebensalltag verankern. Falls jemand "etwas Eitles zu reden anfing", sollte dieser einen Spruch aus dem "Schatzkästchen" ziehen, um zu sehen, "wie es um des Menschen Herz beschaffen war".
Kritik ernteten diese "frommen Spiele" bei Vertretern des traditionellen Luthertums, da die Bibelverse aus dem Kontext gerissen seien. Diese Kritik verstummte erst, als sie mit dem Kalendersystem verquickt wurden. Viele Gläubige nutzten die Zettel und Karteikästen auch als Stamm- oder Tagebuch. Durch eigenhändige Ergänzungen hinterließen sie zum Teil beeindruckende Glaubenszeugnisse.
Während der "fromme Zettelkasten" in Deutschland im Ersten Weltkrieg von der Bildfläche verschwand, bleibt er in den USA bis heute als "Promise Box" in der öffentlichen Wahrnehmung – oder in moderner Ausgestaltung eben als iPhone-Applikation. Der Besuch der Ausstellung im Museum in Halle/Saale, das einen breiten Fundus dieser Glaubenszeugnisse bietet, ist noch bis zum 3. Oktober möglich. (pro)