Die Vereinigten Staaten gelten als eher religiös, Europa als weltlich, konstatiert der Wissenschaftler. Dennoch habe die Religion bei den letzten amerikanischen Präsidentschaftswahlen kaum eine Rolle gespielt, während in Europa große Kontroversen über Religion ausgebrochen seien. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy etwa habe 2007 in Rom die christlichen Wurzeln seiner Heimat gewürdigt und in Saudi-Arabien den Islam gelobt. Nun wolle er Glaubensorganisationen staatlich fördern.
Das Dilemma der konservativen Parteien
In Spanien seien die Katholiken 2008 stark in den Wahlkampf verwickelt gewesen, etwa als die Kirche die Konservativen gegen Ministerpräsident Zapatero unterstützte, der die Homo-Ehe, lockere Scheidungsgesetze und die Streichung des Religionsunterrichts vom Lehrplan befürwortet hatte. „In Italien führte Ministerpräsident Silvio Berlusconi eine Verfassungskrise herbei, als er versuchte, ein Notgesetz zu erlassen, mit dem verhindert werden sollte, die lebenserhaltenden Geräte einer Komapatientin abzuschalten“, erinnert der Princetoner Professor an die Tragödie um Eluana Englaro und glaubt, in der Betonung religiöser Themen ein Muster zu erkennen: „Doch bedeutet es nicht, dass die Menschen in Europa religiöser würden.“
Was diese neuen öffentlichen Kontroversen zum Thema Religion wirklich erkläre, sei „das Dilemma, in dem die Rechts- und Mitte-rechts-Parteien in Europa stecken“. Angesichts der Finanzkrise habe die Religion an Bedeutung gewonnen. Regierungschefs wie Sarkozy oder auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hätten die Religion etwa als Ursprung der „Moralisierung des Kapitalismus“ bezeichnet.
Um die Idee des katholischen Sozialgedankens aber umzusetzen, so Müller, wären „erheblich größere Veränderungen des Kapitalismus erforderlich, als selbst bekennende Christdemokraten erwägen, zum Beispiel eine größere Verteilung des Besitzes sowie Mechanismen, um Arbeiter ins Management einzubeziehen“. Die europäischen Konservativen seien derzeit versucht, ihre Zukunft durch eine selektive Berufung auf die Religion zu finden und abzuwarten, ob sich dies als Wahlstrategie bewähre. Resümierend fragt Müller: „Es ist vielleicht möglich, religiöse Leidenschaften eine Zeit lang zu instrumentalisieren, doch wohin führt dies?“ (PRO)