"Gott wäre nicht Mensch geworden, wenn er die Verweltlichung abgelehnt hätte", schreibt Kamann. Schon dass Jesu Geburt zuerst den Hirten und nicht den Priestern mitgeteilt worden sei, verrate, dass Gott die religiöse Sphäre nicht von der weltlichen abtrennen wolle. Aber auch Paulus habe seinen Zwiespalt von apostolischer Sendung und römischem Bürgerrecht nie ganz auflösen können. Derzeit würden diese Wiedersprüche wieder neu angesprochen, insbesondere aus Sicht der Kirche. Dabei bezieht sich Kamann auf die Freiburger Rede, in der Papst Benedikt XVI. im September sagte, die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche könne sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden. Aber auch Gewerkschaften, Mitte-links-Politiker oder Atheisten meinten, das Weltliche gegen Kirchenrechte verteidigen zu müssen, notiert der Autor.
"Seltsame kirchliche Rechte"
Der Journalist geht in seinem Beitrag auf "seltsame kirchliche Rechte" ein, die nicht mehr einzusehen seien. Als ein Beispiel nennt er, dass bayerische Bistümer über die Besetzung einiger weltlicher Lehrstühle an staatlichen Universitäten mitentscheiden dürfen. Er räumt aber auch ein, dass eine Entflechtung von Kirche und Staat bei der christlichen Sozialarbeit von Caritas und Diakonie unmöglich sei. Gleichwohl kritisiert er das kirchliche Arbeitsrecht mit dem so genannten "Dritten Weg". Kaum zu verstehen sei es, "was am sonstigen Arbeitsrecht der sozialen Marktwirtschaft so schäbig sein soll, dass die Kirchen da fernbleiben müssen. Müsste sich die Christlichkeit von Caritas und Diakonie nicht eher in Fürsorglichkeit und gutem Betriebsklima ausdrücken statt in einem Arbeitsrecht, bei dem unterstellt wird, dass einige Tage Streik zu Klassenkämpfen und Altensterben führen?", fragt Kamann. Gut austariert jedoch sei das Verhältnis von Religion und Staat bei der Theologenausbildung sowie beim Religionsunterricht außerhalb von Berlin, die beide Seiten nutzten.
Glaubensfeste evangelikale Protestanten
Obwohl sich mithin zeige, dass eine strikte Trennung von Kirche und Staat schädlich wäre, sei doch klar, dass beide Bereiche auseinanderstrebten. Auch deshalb, weil immer weniger Deutsche einer Kirche angehörten, sich das religiöse Feld ausdifferenziere und die Zahl der Nichtgläubigen zunehme. Am besten seien der Papst, die anderen konservativen Katholiken sowie die evangelikalen Protestanten darauf vorbereitet, behauptet Kamann. "Sie alle, glaubensfest und in Autonomisierung geübt, werden ein Schwinden staatlicher Unterstützung und gesellschaftlichen Rückhalts verschmerzen können und sogar als Ansporn christlichen Engagements auffassen." Schlecht vorbereitet seien wiederum all die Christen, "die auf liberale Weltzugewandtdheit setzen oder aus Gewohnheit anhänglich sind, die trotz Zweifeln dranbleiben oder an den Kirchen die große Kultur lernen". Diese würden ihre Kirchen ohne Staatshilfe nicht als gesellschaftlichen Ganzkörper am Leben erhalten können.
"Nehmt euch endlich eurer Kirchen an!", fordert der Autor. Man müsse das so dramatisch formulieren und könne doch gelassen auf das hinweisen, was laut Weihnachtsgeschichte als Anfang dafür reiche. "Erstens die Bereitschaft zum Erstaunen: ‚Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten.‘ Zweitens Nachdenklichkeit: ‚Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.’" (pro)