„Die Kirchen haben mit ihrer Wirtschaftsethik bei Ökonomen, Praktikern und wirtschaftsnahen Politikern Gehör gefunden“, schreibt Matthias Kamann im Artikel „Wirtschaftsfaktor Glaube“. Es sind besonders zwei Ereignisse der vergangenen Wochen, die seine Ansicht untermauern: Die EKD veröffentlichte ihr „Wort zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise“ und der Papst stellte seine Sozialenzyklika vor, in der es vorrangig um Globalisierung, Arbeitslosigkeit und moralische Werte in der Wirtschaft geht. Letztere, so schreibt Kamann, fand sogar auf dem derzeit in L’Aquila stattfindenden G8-Gipfel Beachtung.
Den Grund für die zunehmende Berücksichtigung der Kirchen in Wirtschaftsfragen sieht der Autor in der „Wechselwirkung zwischen der Verunsicherung der Wirtschaft infolge der Krise und der Beharrlichkeit, mit der die Kirchen auf Fehlentwicklungen hinwiesen.“ „Die Welt“ interviewt auch EKD-Ratsmitglied Marlen Thieme. Sie findet: „Nach Jahren, in denen der Dialog wegen gegenseitigen Misstrauens und Nicht-Verstehens sehr schwierig war, funktioniert er mittlerweile wieder sehr gut.“ Viele Menschen in der Wirtschaft sähen gerade jetzt, dass neue Herangehensweisen erforderlich seien und kämen mit Fragen und Gesprächsangeboten auf die Kirchen zu.
„Kirche tut sich schwer mit unteren Schichten“
Kamann stellt fest, dass die Kirche „manchen antikapitalistischen Furor aufgegeben hat“, umgekehrt aber „unternehmerisches Denken manche Vorgabe im innerkirchlichen Reformprozess beeinflusst“. Kirche und Wirtschaft beeinflussen sich also gegenseitig. Dennoch wäre seiner Meinung nach die „Empörung groß“, wenn Kirche zu offensiv in Wirtschaft und Politik eingreife. Aufgabe der Christen sei es vielmehr, ein Fundament für ethisches wirtschaftliches Handeln zu legen, findet Marlen Thieme: „Was für den demokratischen Verfassungsstaat gilt, dass er von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht schaffen kann, das gilt auch für die Wirtschaft.“
Kritik übt Kamann an dem Umgang der Kirchen mit den Arbeitnehmern. Der Dialog mit den Unternehmern sei weit ausgeprägter, als der Dialog mit den Gewerkschaften. „Das liegt an ‚linken‘ Gewerkschaftsvorbehalten gegenüber dem Christentum, ebenso am Auftreten der Kirchen als Arbeitgeber gegenüber Ver.di“, heißt es in dem Artikel. Die Kirchen täten sich schwer mit der Arbeiterschaft und unteren Schichten: „Sie führen eher elitebezogene Debatten über Verantwortung, als solche über Formen und Reformen gemeinschaftlicher Selbstorganisation an der Basis der Wirtschaft.“ (PRO)