Mit Maïmouna Obot reden sie manchmal in der dritten Person. „Wie heißt die denn?“, fragen manche Kirchgänger nach dem Gottesdienst. „Du kannst mich auch einfach selbst fragen“, sagt Obot dann zur Überraschung der Fragesteller. Was sie dann oft zu hören bekommt: „Du kannst aber gut Deutsch!“ Obot ist Deutsche, schon immer hat sie hier gewohnt. Sie spricht fließend Schwäbisch, auch ihr Kölsch ist recht gut, seit sie drei Jahre in der Domstadt gewohnt hat. Doch immer noch trauen ihr viele nicht zu, dass sie eine auf Deutsch gestellte Frage auch auf Deutsch beantworten kann. Dafür gibt es einen Grund: Ihre Haut ist dunkel. „Kleine Spitzen“ nennt Obot solche Erfahrungen.
Einmal habe ein Gemeindeleiter einer hippen Gemeinde in Süddeutschland sie gefragt, woher sie denn stamme. „Aus Stuttgart.“ „Und woher kommst du genau?“, wollte der Pastor wissen. „Aus Stuttgart-Heslach.“ „Na, schau dich doch mal an! Sowas wie du kommt doch nicht von hier!“ Obot hat so etwas schon häufiger gehört, erzählt sie im Gespräch mit pro. Doch statt die Nachfragen nach der „eigentlichen“ Heimat wegzulächeln oder direkt zu beantworten, erwiderte sie, diese Fragen zeugten von rassistischem Gedankengut. Anstatt die Antwort zu akzeptieren, wollte der Fragesteller nicht lockerlassen, bis sie die Migrationsgeschichte ihrer Eltern erzählt hätte. Das Gespräch war schnell beendet. Wie so oft.
Meist sei die Frage nach der Herkunft nett gemeint, um Interesse an der Lebensgeschichte des Anderen zu signalisieren. Was aber bei vielen Menschen mit dunkler Hautfarbe häufig ankomme, sei: „Du gehörst nicht dazu. Du kannst nicht von hier kommen, weil du nicht so aussiehst.“
Viele Äußerungen sind nett gemeint – kommen aber nicht so an
Rassismus ist ein großes und hässliches Wort. Es lässt erschaudern, gerade in Deutschland mit seiner besonderen Geschichte. Niemand will Rassist sein. Doch über die Frage, wo nett gemeinte Aussagen aufhören und rassistische Denkstrukturen anfangen, herrscht Uneinigkeit.
„Viele Äußerungen sind total harmlos gemeint“, sagt Alexander Hirsch. „Aber sie sind trotzdem unverschämt.“ Hirsch ist Pastor der Anskar-Kirche in Marburg. Seine eigene Familie nennt er „trikulturell“. Seine Frau stammt aus Großbritannien, deren Eltern waren einst aus Ghana eingewandert. Auch er kennt die Nachfragen, wie sie viele Menschen mit dunkler Hautfarbe häufig hören. Hirschs Söhne sind Marburger, nie haben sie woanders gelebt. „Meine eigene Herkunftsfamilie ist lange Zeit zwischen dem Baltikum und der Schweiz hin- und hergezogen“, sagt Hirsch. „Doch es sind meine Söhne, die gefragt werden, wo sie herkommen – nicht ich.“
Die Frage nach der Herkunft und Identität sei eine sehr persönliche. Man frage ja auch keine 45-jährige Frau bei der ersten Begegnung, warum sie Single ist, sagt Hirsch. „Vielleicht antwortet sie: Das hat der Herr mir so aufgetragen und ich bin glücklich damit. Vielleicht läuft sie aber auch weinend davon.“ Ähnlich sei es bei Menschen mit Migrationshintergrund, die manchmal auf eine sehr schmerzliche Familiengeschichte zurückblickten.
Natürlich frage auch er Menschen mitunter, wo sie herkommen, sagt Hirsch. Das funktioniere aber auch mit Wertschätzung. Wenn jemand mit deutlichem Akzent spreche, sei es auch nicht unverschämt, ihn nach seiner Herkunft zu fragen. Man könne auch offene Fragen stellen: „Hast du schon immer in unserer Stadt gewohnt?“ Dann sei es dem Gesprächspartner überlassen, wie viel er von sich preisgeben wolle. Wichtig sei, Anteilnahme zu zeigen. Und vor allem: „Ich frage die Leute nicht aus.“
Offene Gemeinden – ein „Mega-Dünger für Gemeindewachstum“
Auch in die Mosaikkirche Nordwest in Frankfurt gehen viele Menschen aus unterschiedlichen ethnischen Herkünften. Jason Lim leitet als einer der Pastoren die Gemeinde. Für Lim zählt vor allem der gemeinsame Glaube. „Wir dürfen nicht vergessen, woher das Wort ‚Christ‘ kommt“, sagt er. Die Nachfolger Jesu seien laut Apostelgeschichte zum ersten Mal in Antiochia als Christen bezeichnet worden. Das sei keine Überraschung: „Es war eine so multikulturelle Gruppe aus den unterschiedlichsten Schichten der Gesellschaft, dass man irgendeinen gemeinsamen Nenner finden musste, der diese Menschen beschreibt.“ Ihre tiefe Einheit im Lob und der Verkündigung Christi sei das Bindeglied und Grundlage ihrer Gemeinschaft gewesen. „Wir sind zuallererst Christen, bevor wir Deutsche, Türken, Mongolen, Eritreer, Iraner oder Dänen sind. Ich bin in Christus, wie die Kirche in Antiochia deutlich macht, bin also einem Menschen, der eine andere Kultur hat, trotzdem näher als einem Nichtchristen aus meiner eigenen Kultur.“ Nichts stärke Christen in ihrer Identität in Christus so sehr wie die Gemeinschaft mit Menschen, „mit denen man sonst nichts gemeinsam hat außer eben dieser Identität in Christus.“
Das sieht auch Maïmouna Obot so. „Was uns vereint, ist Christus, nicht unsere Hautfarbe“, sagt sie. Sie wünscht sich, dass Gemeinden für nicht-weiße Menschen ein „sicherer Ort“ werden, „frei von Rassismus“. „Wenn Gemeinden ein solcher Ort sind, ist das ein Mega-Dünger für Gemeindewachstum.“ Doch bislang begegnet Obot ständig Zuschreibungen aufgrund ihrer Hautfarbe. Wenn Schwarze neu in einer Gemeinde seien, bekämen sie oft empfohlen, doch im Chor mitzusingen – als ob Schwarze automatisch musikalisch seien, berichtet Obot. Oder sie könnten sich doch in der internationalen Arbeit der Gemeinde einsetzen.
Selten kämen Menschen mit dunkler Hautfarbe auch in Führungspositionen in Gemeinden. Die Weißen könnten werden, was sie wollen, die Schwarzen nicht. Obot gab sich damit nicht zufrieden. Sie engagierte sich in der Tübinger SMD (Studentenmission Deutschland). Später leitete sie die gesamte Arbeit mit 140 Ehrenamtlichen.
„Wie auf der Mitgliederversammlung der Volksbank“
Niemand würde seine Gemeinde bewusst nur Weißen vorbehalten, sagt Alexander Hirsch. In den allermeisten Kirchen herrsche ein großes Wohlwollen gegenüber Menschen, die nicht weiß sind. Unzählige evangelikale Christen hätten sich in der Flüchtlingskrise engagiert. Aber: „Die meisten Gemeinden sind unreflektiert monokulturell. In manchen hat man sonntags den Eindruck, man befinde sich auf der Mitgliederversammlung der Volksbank.“ Gemeinden sollten sich kommunikativ öffnen. Um kulturelle, sprachliche und milieubedingte Grenzen zu überwinden, brauche es extra Mühe.
Eine Frau, die aus einem anderen Land nach Deutschland gekommen war, sagte bei ihrer Aufnahme in die Anskar-Kirche, ihr gefalle in der Gemeinde, dass sie sich an niemanden anpassen müsse, berichtet Hirsch. Es gebe in der Gemeinde schlicht keine prägende, homogene Mehrheitskultur. Das hat ihn gefreut. „Es reicht nicht, wenn wir als Gemeinden sagen: Wir sind ja im Prinzip offen, aber es kommt eben kein Migrant.“ Stattdessen sollten sich Verantwortliche fragen, warum keine Migranten kämen – und dann entsprechende Schritte daraus ableiten. Viel davon habe damit zu tun, ernst zu nehmen, was Betroffene erzählen, auch wenn sich das Erlebte für Deutsche ohne Migrationshintergrund weit weg anhöre.
Wenn schwarz-weiße Beziehungen für Sünde gehalten werden
Neben den Erfahrungen, die manche als „Alltagsrassismus“ bezeichnen, berichtet Obot auch von schockierenden Erlebnissen. Neulich hat ihr eine schwarze Freundin von einer Lehre berichtet, nach der Gott zwar alle Völker und Nationen schätze. Aber er wolle, dass die Völker unter sich blieben. „Die Kinder von Schwarzen und Weißen wären dann also Sünde“, sagt Obot. Solche Sonderlehren finden sich wohl nur an den extremen Rändern des Christentums, aber offenbar existieren sie. Als Begründung dieser rassistischen Lehre muss Apostelgeschichte 17 herhalten. Paulus spricht dort auf dem Areopag in Athen davon, Gott habe alle Menschen gemacht und „festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen“. Ergo: Wer die Grenzen zu anderen Ethnien überschreite, sündige.
Pastor Hirsch fällt für solchen pseudotheologisch begründeten Rassismus nur ein Wort ein: „Gotteslästerung“. Nationen und Ethnien seien historisch gewachsene Zuschreibungen. „Wer sieht, wie sich Europas Grenzen in den vergangenen 1.000 Jahren beständig verschoben haben, kann nicht ernsthaft auf den Gedanken kommen, Gott habe sich irgendwann nach dem Turmbau zu Babel ausgedacht, wo nun die Belgier und wo die Württemberger leben sollen.“
In einem humorvollen YouTube-Video argumentiert Obot im breitesten Kölsch gegen solche befremdlichen Lehren mit einer biblischen Geschichte aus dem 4. Buch Mose, Kapitel 12. Dort nimmt sich Mose eine „Kuschiterin“ zur Frau. Viele Ausleger vermuten dahinter eine Frau, deren Haut deutlich dunkler war als die des Mose. Luther übersetzte sie mit „Mohrin“. Mirjam und Aaron wehren sich gegen die Entscheidung ihres Bruders – weil die Kuschiterin dunkelhäutig war? Das lege jedenfalls der weitere Verlauf der Geschichte nahe, sagt Obot: Gott schlägt Mirjam mit Aussatz, sodass ihre Haut weiß wird „wie Schnee“. Weil Mirjam so abwertend auf eine dunklere Hautfarbe geschaut habe, strafe Gott sie mit einer umso helleren „Hautfarbe“, die in Wahrheit eine Krankheit sei.
Maïmouna Obot wünscht sich, nicht in erster Linie mit ihrer Hautfarbe identifiziert zu werden. Sondern schlicht als Mensch, den viel mehr ausmache als seine Migrationsgeschichte, die anderen oft sofort ins Gedächtnis kommt. Dabei geht es Obot nicht darum, andere anzugreifen. „Ich sag dir das, weil du mein Bruder bist und ich deine Schwester bin“, versucht sie, ihren Gesprächspartnern zu vermitteln.
Von: Nicolai Franz