"Fundamentalismus: Wenn Religion zur Gefahr wird" heißt das Buch von Thomas Schirrmacher, das der Verlag SCM Hänssler herausgegeben hat. "In nur zwei Stunden wissen Sie Bescheid" – mit diesem Anspruch bewirbt der Verlag das in der Reihe "Hänssler kurz und bündig" erschienene Buch.
Als "Fundamentalisten" würden seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in der Öffentlichkeit meist radikale, gewaltbereite, religiös motivierte Extremisten oder einfach religiöse Terroristen verstanden, so Schirrmacher, der Rektor des Martin Bucer Seminars (Bonn, Zürich, Innsbruck, Prag, Istanbul) ist, wo er auch Ethik lehrt. Er ist zudem Professor für Religionssoziologie an der Staatlichen Universität Timişoara, Rumänien, Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit der Weltweiten Evangelischen Allianz und Sprecher für Menschenrechte dieses weltweiten Zusammenschlusses.
Medien sehen in Andersdenkenden schnell Fundamentalisten
Schirrmacher ist überzeugt: "Wahrheitsanspruch gepaart mit Gewalt wird zum Fundamentalismus. Den gibt es in allen Religionen und Weltanschauungen. Doch Kritik ist berechtigt: Der Fachbegriff wird oft zu Unrecht als Polemik gegen Andersdenkende eingesetzt." Daher fordert er eine breite Diskussion über den Fundamentalismusbegriff. "Man sollte nämlich nur von Fundamentalismus sprechen, wenn Gewalt im Spiel ist oder eine echte Gefahr für die innere Sicherheit besteht. Würde man einfach alle Menschen als Fundamentalisten bezeichnen, die glaubten, die Wahrheit zu kennen, gäbe es auf dieser Welt mehr Fundamentalisten als andere." Es ginge nicht an, dass insbesondere die Medien recht wahllos Andersdenkende als Fundamentalisten beschimpften und nie über ihre Definition Rechenschaft ablegen müssten.
Eine Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft, die die Religionsfreiheit vertrete, könne nicht als fundamentalistisch bezeichnet werden, so Schirrmacher. "Und umgekehrt, sollte die Ablehnung der Religionsfreiheit ein klarer Indikator Richtung Fundamentalismus sein, wenn auch nicht der einzige." Zudem fordert der Religionssoziologe, dass entweder der Fundamentalismusbegriff näher an den alltäglichen Sprachgebrauch herangeführt werden müsse, oder aber seine Verwendung auf allerlei Bewegungen ausgeweitet werden müsse – "dann muss der Begriff dringend entemotionalisiert werden", so der Autor.
Tipps gegen Fundamentalismus
Schirrmacher warnt: "Fundamentalismus kann aber auch vom Staat ausgehen, wenn dieser unter Kontrolle fundamentalistischer Kräfte gerät. So sehe ich Fundamentalismus in islamischen Staaten überall dort, wo der Abfall vom Islam weiterhin mit dem Tod, mit staatlichen Strafen, mit schweren bürgerlichen Konsequenzen oder mit Ausschluss aus der Familie bedroht wird." Der Theologe gibt dem Leser Tipps mit auf den Weg, wie er sich vor Fundamentalismus schützen kann. Da heißt es etwa: "Verneine jede Art von Hörigkeit anderen Menschen gegenüber. Verneine blinden Gehorsam. Stehe autoritären Führern kritisch gegenüber." Weiter: "Hinterfrage, wenn andere Befehle Gottes für dich bekommen. (…) Beschäftige dich viel und intensiv mit verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten heiliger Texte."
Schirrmacher mahnt vor allem Selbstkritik an: "Höre Andersdenkenden immer erst einmal zu. Werde ein erfreulicher Gesprächspartner. Selbstkritik ist der Beginn jeder Religiosität." Zudem schreibt er: "Vermeide die Verquickung von Religion und Nationalismus. Verwerfe und bekämpfe jede Art von Rassismus." Ein Christ sollte seinen Glauben und seine Sicht der Dinge mit guten Argumenten weitergeben, doch gelte: "Vermeide aber jeden Zwang, Druck, Drohung, geschweige denn Gewalt. Setze dich, wo immer möglich, für Religionsfreiheit ein."
EKD-Buch über "Evangelikale Bewegungen"
Ebenfalls soeben erschienen ist das Buch "Evangelikale Bewegungen. Beiträge zur Resonanz des konservativen Protestantismus" von Reinhard Hempelmann. Herausgegeben hat es die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW). Hempelmann ist evangelischer Pfarrer, der acht Jahre theologischer Dozent an der CVJM-Sekretärschule in Kassel war, und dann Referent an der EZW, die er seit 1999 leitet.
Auf 44 Seiten behandelt der Autor Themen wie "Evangelikalismus und nordamerikanische Erweckungsfrömmigkeit", "Pfingstlich-charismatisches Christentum und seine weltweite Resonanz", "Neue Freikirchen als Phänomen innerchristlicher Pluralisierung" und bespricht die Unterscheidung von Evangelikalismus und Fundamentalismus.
"Die augenfälligsten Formen engagierter Christlichkeit" seien heute im "konservativ geprägten Protestantismus" zu beobachten, schreibt Hempelmann. Die "erwecklich geprägten Strömungen" würden sich sichtbar "überaus schnell und wirksam" ausbreiten. Hempelmann zeigt die unterschiedlichen Facetten des Begriffs "Evangelikalismus" auf und geht dabei gesondert auf "pfingstlich-charismatische Frömmigkeitsformen" ein, "deren Verbreitung das Bild des globalen Christentums maßgeblich mitbestimmt".
In einem eigenen Kapitel geht der Autor auf den protestantischen Fundamentalismus "als Bewegung innerhalb des konservativen Protestantismus" ein. "Der konservative Protestantismus ist durchweg aufklärungskritisch ausgerichtet. Er hält den Kirchen und der Theologie vor, sich einem säkularen Humanismus viel zu sehr angepasst zu haben." Der Autor reduziert seine Betrachtung – anders als Schirrmacher – auf den Protestantismus, merkt jedoch an: "Die Konfessionen – und Religionen – wachsen gegenwärtig in ihren konservativen und fundamentalistischen Ausprägungen."
Der Theologe ist überzeugt: "Der Abbruch bzw. das Nachlassen religiöser Bindungen, die Relativierung von Wahrheits- und Sinnfragen, die durch weltanschauliche und religiöse Vielfalt hervorgerufenen Konflikte sind das Erfahrungsfeld, auf das die skizzierten Bewegungen reagieren. Es wäre falsch, ihnen mit Gleichgültigkeit oder pauschaler Abwehr zu begegnen."
Schirrmacher, der das Buch seines Kollegen Hempelmann gelesen hat, lobt das EZW-Buch als "fundiert, informiert, differenziert und fair gegenüber Evangelikalen, ohne Besorgniserregendes und Kritisches zu verschweigen". Er rät: "Evangelikale wie Nichtevangelikale in den Kirchen sollten diese Studie lesen und als Grundlage für intensivere Gespräche nutzen." Er selbst habe in seinem Buch allerdings einen anderen Fundamentalismusbegriff vorgeschlagen, denn Hempelmann verwende den Begriff eher "innerchristlich" und halte die Frage des Schriftverständnisses für die Definition von Fundamentalismus für zentral. Schirrmacher hingegen hält die Schriftfrage für zweitrangig, und er geht beim Begriff Fundamentalismus von einem "milianten Wahrheitsanspruch" aus, der in allen Religionen und Weltanschauungen vorkommen könne. Bei anderen Religionen gebe es gewalttätigen Fundamentalismus ohne Rückbezug auf irgendwelche Schriften. (pro)
Thomas Schirrmacher
"Fundamentalismus: Wenn Religion zur Gefahr wird"
SCM Hänssler
ISBN: 978-3-7751-5203-7
128 Seiten
Reinhard Hempelmann
"Evangelikale Bewegungen. Beiträge zur Resonanz des konservativen Protestantismus"
44 Seiten
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
EZW-Texte 206