Stellen Sie sich vor, Friedrich Merz überlebt während eines Wahlkampfauftritts im hessischen Allendorf ein Attentat. Wenig später äußern sich der katholische Theologe Johannes Hartl und die EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs dazu und sehen im Scheitern des Attentats göttliches Handeln, weil Merz noch für Großes bestimmt sei. Zeitgleich ruft Kanzler Olaf Scholz öffentlich zum Gebet für den leicht verletzten Merz auf und wird dafür wiederum von anderen Theologen kritisiert. Kirche und Staat müssten getrennt sein und ohnehin sei das Verhalten von Merz unchristlich. Und zu guter Letzt entbrennt in den sozialen Netzwerken eine Diskussion zu einem Video vom CDU-Parteitag, bei dem Merz die Augen geschlossen hat. Betet Merz oder schläft er nur?
Das klingt alles ziemlich verrückt, doch so oder so ähnlich kann man wohl den Wahlkampf der vergangenen Wochen in den USA beschreiben. Nun hat auch noch Präsident Joe Biden angekündigt, doch nicht erneut anzutreten. Hinter dem Rücktritt steckt wohl weniger alttestamentliche Weisheitsliteratur, wie mein Kollege Nicolai Franz kürzlich schrieb, sondern erbarmungslose Politik. Nach seinen Auftritten in den vergangenen Monaten hätte Biden wohl kaum Donald Trump besiegen können. Das haben auch die Demokraten erkannt – und Biden entsprechend unter Druck gesetzt.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Trumps neuer Gegner eine Gegnerin: Vizepräsidentin Kamala Harris. Obwohl sie als Vize hinter Biden relativ blass blieb, sind ihre politischen Positionen ziemlich klar. Die Baptistin hat sich in der Vergangenheit für das Recht auf Abtreibung eingesetzt, befürwortet im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern eine Zweistaatenlösung und möchte sich vor allem für soziale Gerechtigkeit einsetzen. Im Großen und Ganzen ist sie aber in vielen Punkten bei Biden. Ob sie die Wähler damit beeindrucken und zur Gefahr für eine zweite Amtszeit von Trump werden kann, bleibt abzuwarten. Vielleicht reicht aber auch schon die Tatsache, dass sie weder Biden, noch Trump ist.
Und in Deutschland? Der Wahlkampf zur Bundestagswahl in einem Jahr oder auch für die Landtagswahlen im Herbst wird wohl kaum so geführt werden, wie in den USA. Das ist auch gut so. Und dennoch können wir einiges lernen. Nämlich, dass ein Wahlkampf, der mehrheitlich auf den politischen Gegner abzielt und diesen versucht zu diskreditieren, kein guter ist. Und noch etwas lehren uns die aktuellen Geschehnisse aus den USA. Unsere Aufgabe als Christen sollte es nicht sein, Politiker zu von Gott berufenen Erlösergestalten hochzustilisieren, sondern frei nach Timotheus 2,2 für die zu beten, die in Regierung und Staat Verantwortung tragen (wollen).
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