Der amerikanische Nachrichtendienst Baptist Press berichtete Ende August von einem Polizisten, der gegen seine Entlassung aus dem Polizeidienst geklagt hatte. Es gehe in der Zivilklage um 300.000 US-Dollar Schadenersatz.
Was war passiert? Der ehrenamtliche verheirate Diakon der Southern Baptists und unbescholtene Wachtmeister im Staatsdienst hatte sich die legendäre „Billy-Graham-Regel“ zu eigen gemacht. Er wollte nie mit einer anderen Frau zusammensein als der eigenen. Er begründete seine strikte Verweigerung, mit einer Kollegin zusammen Streife zu fahren, weil ihm dies die Bibel verbieten würde. Einen konkreten biblischen Verweis brachte er jedoch nicht vor.
Riskanten Situationen mit Frauen aus dem Weg gehen, ist in den USA als „Billy-Graham-Regel“ („to not spend time alone with a woman other than his wife“) bekannt. Dem im vergangenen Jahr im Alter von 99 Jahren verstorbenen Evangelist Billy Graham, neben dem Papst wohl der prominenteste Christ der Welt, konnte nie etwas derartiges bewiesen oder unterstellt werden.
Auch der Vizepräsident macht sich die Regel zu eigen
Was sich wie ein überambitioniertes und rigoroses Missverständnis der Bibel anhört, das erweist sich in Zeiten von „me too“ jedoch als Phänomen, das auch schon manch prominenten Christen in den USA von der Kanzel gefegt hat. Bei der Ausbildung wurde uns im Fach Seelsorge geraten, bei Seelsorge-Gesprächen mit Frauen entweder eine weitere verschwiegene Kollegin mit im Raum zu haben, oder wenigstens einen Tisch zwischen Seelsorger und die Ratsuchenden zu stellen.
Wir fanden den Gedanken ziemlich verrückt, mit einem zusammenklappbaren Tisch unterwegs zu sein. Aber heute lacht keiner mehr darüber. Übrigens hat sich auch der amerikanische Vizepräsident Mike Pence die „Billy-Graham-Regel“ als Standard für Personalgespräche zu eigen gemacht.
Die Regel ist gut. Sie gilt auch für Männer mit Seelsorge-Bedarf. Aber die Regel gilt gar nicht für Männer mit Frauenphobie, die sich angeblich in Gefahr begeben, wenn sie mit einer Frau zusammenarbeiten sollen und am Ende noch 300.000 US-Dollar einstreichen. So jedenfalls verkommt Billy Grahams „The Bible says“ zu einer leeren Floskel. Es ist nicht alles „biblisch“, was fromm klingt.
Von: Jürgen Mette