Warum der Kirchentag ein gelungenes Christentreffen war

Nach vier Jahren Corona-Pause ist er zurück: Der Kirchentag in Nürnberg war ein Mix aus Partei-übergreifendem Parteitag, Werbeveranstaltung zur Unterstützung der Ukraine – und er ließ sich auch von einem Unwetter biblischen Ausmaßes nicht aufhalten.
Von PRO
Kirchentag-2023

Als die Macher des Kirchentages sich für das Kirchentagsmotto „Jetzt ist die Zeit“ entschieden haben, war der Krieg in der Ukraine noch weit entfernt. Vielmehr hatten sie die Klimakrise im Blick. Doch der Spruch aus dem Markus-Evangelium passt auch zum Krieg wie die Faust aufs Auge. Und um diese beiden Themen drehte sich schließlich auch der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT).

Mit wenigen Ausnahmen gab es dabei auch große Einigkeit. Bereits im Eröffnungsgottesdienst rief der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm alle Christen auf, beim Kampf gegen den Klimawandel mitzumachen. Auf verschiedenen Podien sprachen Mitglieder der „Letzten Generation“ oder von „Fridays für Future“.

Und sogar CDU-Chef Friedrich Merz sagte in seiner Bibelarbeit, dass das Klima besser geschützt und der menschliche Eingriff in die Schöpfung „korrigiert“ werden müsse. In seiner „Interpretation“ von Lukas 17,20 machte sich Merz auch für eine anhaltende Unterstützung der Ukraine stark.

Klima, Ukraine und Würstchen

Bereits im Eröffnungsprogramm muss sich manch langjähriger Kirchentagsgänger beim Eröffnungsgottesdienst auf dem Hauptmarkt der Stadt die Augen gerieben haben, als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Unterstützung der Ukraine mittels Waffenlieferungen verteidigte. Waffenlieferungen befürworten? Auf dem Eröffnungsgottesdienst eines evangelischen Kirchentags?

Einzig der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Friedrich Kramer, argumentierte auf den Hauptbühnen gegen Waffenlieferungen aus Deutschland. Unterstützt wurde er nur von einigen wenigen Kirchentagsbesuchern, die regelmäßig bei Veranstaltungen Steinmeier, Olaf Scholz und Co. mit Zwischenrufen zu einem Stopp der Lieferungen aufriefen.

Doch diese Stimmen gingen im Applaus der Unterstützer schnell unter. Kramer hätte in der Debatte über das Für und Wider der deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine die Hilfe der ehemaligen Bischöfin Margot Käßmann gut gebrauchen können. Die war in Nürnberg allerdings nicht dabei.

Dennoch, vom ewigen Vorwurf, ein links-grüner Parteitag zu sein, war der Kirchentag entfernt – jedenfalls deutlich mehr, als so manche herbeireden. Aufgrund der vielen politischen Themen wäre die Beschreibung „parteiübergreifender Parteitag“ angebrachter. Oder sehen Sie etwa Friedrich Merz, Markus Söder, Volker Kauder und Co. auf einer Parteiveranstaltung der Grünen? Wohl kaum. Und Söder ließ es sich auch nicht nehmen, den DEKT wegen zu viel vegetarischem Essen zu kritisieren – obwohl es die landestypischen „3 im Weggla“ auch gab. Aber geschenkt.

Scholz mit ehrlichem Moment

Äußerst gewinnbringend oder mindestens interessant waren die morgendlichen Bibelarbeiten. Gewinnbringend, weil Ausleger wie der Astrophysiker Heino Falcke ein ehrliches Glaubenszeugnis ablegten. Und interessant, weil bei einigen der Sprung von einem Bibeltext hin zu aktuellen politischen Debatten doch sehr an den Haaren herbeigezogen daherkam. Oder denken Sie bei der Hochzeit zu Kana direkt an die AfD und schwindendes Vertrauen in die Demokratie?

Den ehrlichsten Moment auf dem Kirchentag hatte aber wohl Kanzler Scholz. Auf die Frage, ob er sich zu seinem persönlichen Glauben äußern wolle, antwortete der Kanzler: „Eigentlich nicht.“ Das ist auch ein Statement – wenn auch von der Interviewerin anders erwartet. Er verweigerte die Antwort nach eigener Aussage auch, weil er Kanzler aller Deutschen ist. Da seien seine eigenen Überzeugungen egal.

Merkwürdiger Schlussgottesdienst

Dabei ging es in der Frage an Scholz nicht darum, welche Religion die richtige oder wahr ist. Den Wahrheitsbegriff beackerte vielmehr der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider in einer Podiumsdiskussion. „Wir verfügen nicht über Wahrheit. Wir können uns Wahrheit immer nur annähern“, erklärte Schneider – ohne sich einen Seitenhieb auf solche Kirchen verkneifen zu können, die dies für sich beanspruchten.

Viele Kirchentagsbesucher mussten noch diese Worte im Ohr haben, als keine 24 Stunden später Pastor Quinton Ceasar im Brustton der Überzeugung, und ohne Widerspruch bei frenetischem Beifall der Gottesdienstbesucher erklärte: „Gott ist queer.“ Keine Erklärung, nur diese endgültige Aussage. Wahrheit ist offenkundig nur solange ein Näherungswert, wie sie von jenseits der evangelischen Kirche stammt. Die Latte für andere hoch hängen, um dann selbst darunter durchzuschlüpfen. Ein Podiumsgespräch mit Ceasar und Schneider hätte dem Kirchentag noch gutgetan.

Lebensschützer fehlen

Ansonsten ließ das Programm des Kirchentags kaum Wünsche offen. Wichtig ist zu erwähnen, dass der Kirchentag – und in dem Punkt täuschen sich eben viele Fromme – keine Glaubens- oder Bibelkonferenz sein will, sondern, wie mehrfach betont wurde, „Räume für Debatten“ öffnen. Das erklärte Kirchentagspräsident Thomas de Maizière bereits im Vorfeld gegenüber PRO. Und dennoch: Zu einem offenen Debattenraum gehört eben auch, dass unliebsame Stimmen zu Wort kommen. In der Frage der Waffenlieferung ist das gelungen. In Fragen des Lebensschutzes jedoch nicht.

Immerhin, den Anwälten des Publikums ist es dennoch gelungen, aus der Fülle der Publikumsfragen solche zu kondensieren, die dem Gros der Zuhörerschaft unter den Nägeln brannte.

Ehrenamtler trotzen „Strafe Gottes“

Ob künftige Kirchentage ein ähnlich uferloses Überangebot auf die Beine stellen werden, ist fraglich. Hinweise von de Maizière über eine anstehende Kirchentags-Reform deuten auf das Gegenteil hin. Eine Straffung des Programms und Fokussierung auf weniger Themen würden der Veranstaltung guttun – und auch den Veranstalter selbst entlasten.

Die Organisation der Veranstaltung war vorbildlich und ohne Zweifel ein enormer Kraftakt. Kaum eine andere Veranstaltung, die fast ausschließlich mit Ehrenamtlichen arbeitet, läuft so reibungslos wie ein Kirchentag. Dass der DEKT 2023 – trotz deutlich weniger Teilnehmern als zuletzt in Dortmund – ein Erfolg war, ist zweifelsohne zu einem Gutteil den zahllosen, stets freundlichen Helfern geschuldet – deren Frohmut auf die gesamte Stadt abfärbte.

Und auch als es brenzlig wurde und ein Unwetter über Nürnberg hereinbrach – das so mancher Twitter-Nutzer als Strafe Gottes sehen wollte – hat die Organisation tadellos funktioniert.

Von: Norbert Schäfer und Martin Schlorke

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