Maximilian Ledochowski ist Arzt im Ruhestand. Dass Christen so viel in die angeblichen Wundergeschichten der Bibel hineininterpretieren, störte ihn. So hat er ein Buch geschrieben, das zeigen soll: Nichts von den Wundern in der Bibel ist wahr. Alles ist ganz irdisch, medizinisch oder psychologisch erklärbar, alles ist ganz simpel. Dieses Buch ist dadurch streckenweise unfreiwillig komisch.
„Die Kirchen, allen voran die römisch-katholische Kirche, haben in den vergangenen Jahrhunderten eine eigene Wissenschaft aufgebaut, die sich ausschließlich damit beschäftigt, wie die ‚heiligen Schriften‘ auszulegen sind“, stößt Ledochowski unangenehm auf. „Exegese und biblische Hermeneutik werden diese Fächer genannt“, stellt er fest, und: „Die Auslegung der Bibel ist damit zur Wissenschaft geworden.“ Dem müsse man etwas entgegenstellen. Nämlich: eine ganz eigene, völlig freie Interpretation der biblischen Texte. Ledochowski entledigt sich also aller hermeneutischer Methoden und interpretiert fröhlich drauflos, dass Theologen nur blass werden können. Allerdings vor lauter Schreck, nicht vor Neid.
Hieb mit der Lanze in Jesu Seite war lebensrettende Punktion
Ledochowski gibt zunächst einmal selbst zu, dass es nicht ganz leicht ist, 2.000 Jahre nach Ereignissen medizinische Diagnosen zu stellen. Und dann auch noch lediglich gestützt auf ein paar Zeilen aus Augenzeugenberichten. Normalerweise braucht ein Arzt schon den direkten Kontakt zum Patienten, wenigstens aber Laboruntersuchungen. Ledochowski nimmt sich aber die Freiheit, dennoch eine Erklärung für jedes Wunder des Neuen Testaments zu bieten, und zwar ganz ohne göttliches Einwirken.
Fangen wir mit dem offensichtlich folgenschwersten Wunder in der Bibel an. Jesus Christus sei am Kreuz gar nicht gestorben, so Ledochowski. Es war vielmehr so: Durch die Geißelung muss Jesus wohl die eine oder andere Rippe gebrochen worden sein. Das wiederum führte zu einer Verletzung des Rippenfells und der Blutgefäße. Das führte zu einer Einblutung in den Hohlraum zwischen den Rippen und der Lunge. Das Rippenfell entzündete sich, womit die Bildung von Wundwasser einherging. Das erschwerte das Atmen. Jesus starb demnach nicht am Kreuz, er hatte eine CO2-Narkose mit Bewusstlosigkeit, schreibt Ledochowski.
Wenn nun ein römischer Soldat, wie im Johannesevangelium berichtet, Jesus mit der Lanze in die Seite stach und dabei „Blut und Wasser“ herausfloss, „dann ist der Pleuraerguss offenbar erfolgreich punktiert worden“, stellt der 1956 in Salzburg geborene Mediziner fest. Somit hat der am Kreuz hängende Jesus offenbar unabsichtlich eine erfolgreiche „Therapie“ erfahren. Seltsam nur, dass die Bibel so viel Wert auf den Tod Jesu legt und ihr zufolge viele mysteriöse Dinge zu jenem Zeitpunkt geschahen – etwa von der Finsternis im ganzen Land über ein Erdbeben bis hin zum Zerreißen des Vorhangs im Tempel. Also entweder täuschte Gott sich selbst im Tod Jesu, oder aber er wollte alle anderen täuschen. Abgesehen davon: Wie viel Zeit blieb Jesus eigentlich, eine solche Entzündung des Rippenfells zu entwickeln? Und waren nicht Tausende andere Menschen im römischen Reich an eben derselben Hinrichtungsmethode gestorben? Sicher wurden die wenigsten wie Jesus ausgiebig gegeißelt. Hatte Jesus, dieser im ganzen Land bekannte Prediger, der jahrelang vergleichbare Wunder tat und stets vom zukünftigen Himmelsreich predigte, einfach nur unfassbares Glück?
Jesus war immer zur richtigen Zeit da
Wirklich Wunder tat Jesus nicht. Davon ist Ledochowski überzeugt. Bei seinen Erklärungen verlässt er allerdings, anders als versprochen, großzügig immer wieder sein Fachgebiet, die Medizin, und betreibt freie, sehr freie Textexegese. Die Theologen machen es doch auch nicht anders, oder?
Die Verwandlung von Wasser in Wein ist laut dem Mediziner nie passiert, vielmehr sei der Wein mit Wasser vermischt worden, und das habe den Leuten einfach besser geschmeckt! Maria könne nicht jungfräulich schwanger geworden sein, daher muss ein Übersetzungsfehler schuld gewesen sein. Aus der „jungen Frau“ sei irgendwann eine „Jungfrau“ geworden. Die Stillung des Sturms durch Jesus sei in Wirklichkeit reiner Zufall gewesen: Der Sturm hörte exakt in dem Moment auf, als Jesus ihm das befahl.
Die angebliche Heilung des gelähmten Mannes am Teich Bethesda sei ein psychologischer Trick gewesen. Der Gelähmte war ein Mensch mit geringem Selbstvertrauen, mutmaßt Ledochowski. „Genau das ist der Typ Mensch, bei dem man durch Zuwendung und durch suggestive Befehle Erfolg erwarten darf (…) Vermutlich suchte sich (Jesus) ein geeignetes ‚Opfer‘ für seine Wundertätigkeit aus. Einen Menschen, der offenbar allein war.“ Der Mediziner vermutet: „Hätte Jesus alle Kranken heilen wollen, wäre die Wahrscheinlichkeit groß gewesen, Misserfolg zu ernten.“
Die Dämonenaustreibung in der Synagoge von Kafarnaum – bloß ein Wutausbruch, den Jesus besänftigte. Die Heilung eines Aussätzigen sei eher ein rechtlicher Schritt gewesen: Jesus hob den „Rechtsstatus“ des als aussätzig gelten Mannes einfach auf. Die Erweckung des Jünglings von Naïn: „Ein klassischer Fall von Scheintod.“ Wie immer bei Ledochowskis Erklärungen war Jesus auch hier zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um im richtigen Moment ein Gebet zu sprechen. Spricht die Bibel von der Heilung von Blinden, spricht der österreichische Mediziner von einer „psychogenen Erblindung“. Ebenso habe der angeblich Stumme (Lukas 11,14–16; Matthäus 9, 32–34) bei Ledochowski nur an einer psychosomatischen Störung gelitten.
Die Heilung des Besessenen ging bei Ledochowski so: „Der ‚verrückte Mann‘ fürchtete sich vor den Menschen und die Menschen fürchteten sich vor ihm. (…) Jesus begegnete ihm mit Gelassenheit und meisterte die ganze Situation damit, dass er Ruhe bewahrte.“ Problem gelöst. Die Speisung der 5.000? Die Menschenmenge hätte schlichtweg genug Essen mitgebracht.
Die Auferweckung des Lazarus – für Ledochowski keine harte Nuss
Die Methode des Arztes in Sachen Bibelauslegung dürfte klar geworden sein. Jedes Wunder leugnen und eine Alternative suchen. Und ist diese dann auch noch so unwahrscheinlich und unglaubwürdig und widerspricht den Zeugenberichten, ersetzt sie problemlos die biblische Darstellung eines Wunders. Dann ist es auch ein Klacks, Engel-Erscheinungen als Schizophrenie abzutun. Und wieso hatte der Priester Zacharias einen „schizophrenen Schub“, als ein Engel ihm die Geburt eines Sohnes Johannes ankündigte? Natürlich weil er zuvor ein Rauchopfer dargebracht hatte! Rauchopfer gleich psychoaktive Drogen, so die Logik von Ledochowski.
Am schönsten ist vielleicht die (schon längst nicht mehr rein medizinische) Erklärung der Geschichte von Jesus, der auf dem Wasser ging. Plötzliche „thermische Winde“ hätten einen kurzen Sturm hervorgerufen. Dieser sorgte für Angst bei den Jüngern im Boot, und die wiederum zu Halluzinationen. Oder aber die Jünger hätten an einer Fischvergiftung gelitten und sahen deswegen wirre Dinge, zum Beispiel ihren Heiland auf dem Wasser laufen. Ledochowski: „Im Rahmen solcher Wahrnehmungsstörungen kann man sich gut vorstellen, dass z. B. ein im Wasser treibendes Holz plötzlich als ‚rettender Heiland‘ gesehen wird.“ Es müssten also alle anwesenden Jünger eine Fischvergiftung gehabt haben, und zudem die selbe Halluzination.
Der mondsüchtige (besessene) Junge (Matthäus 17,14–21) hatte eine Epilepsie, hervorgerufen durch eine angeborene Stoffwechselstörung, vermutet Ledochowski. „Jesus drohte ihm und der Dämon fuhr von ihm aus“, berichtet die Bibel, doch für den Arzt ist klar: Was dem Jungen half, war nicht Jesus, sondern dass er zuvor gefastet hatte! Wieder kann man nur staunen: Welch ein Zufall, dass Jesus immer im richtigen Augenblick vorbeischaut und seine Worte aufsagen kann, damit es immer wieder so aussieht, als sei er die Ursache.
Die Auferweckung des Lazarus – eine harte Nuss? Nicht für Ledochowski: Lazarus war nicht tot, er hatte vermutlich einen „schweren Infekt“. Als Jesus erschien, verbesserte sich die Sauerstoffsättigung in seiner Lunge (immerhin wurde er ja auch in ein Grab gelegt, da war es viel kühler, das regte Lazarus Kreislauf an.) Ein reiner Zufall also, dass sich sein Kreislauf in jenem Moment stabilisierte, als Jesus zu ihm sagte: „Lazarus, komm heraus!“ Ledochowski räumt noch einmal alle Zweifel aus: „Die ‚Auferstehung eines Toten‘ dürfte eher eine glückliche Spontanheilung eines vorher schwer erkrankten Menschen gewesen sein.“
Jesus, ein Zauberkünstler?
Jesus muss Ledochowski zufolge sehr, sehr viele gute Tricks beherrscht und eine perfekte Menschenkenntnis gehabt haben. Bleibt die Frage nach Jesu Motivation. Warum sollte ein Wanderprediger so viel Aufwand betreiben, um den Menschen Lügen von einem Gottesreich zu erzählen? Es wird nicht berichtet, dass Jesus für seine Heilungen Geld nahm. Ruhm und Ehre gab es auch nicht – Jesus endete als verurteilter Verbrecher, sogar seine engsten Freunde ließen ihn im Stich.
Je mehr Ledochowski von Glücksfällen im Leben Jesu ausgeht, desto unglaubwürdiger macht er sich. Sein Buch ist ein perfektes Beispiel dafür, wie jeder absolut alles in die Bibel hineinlesen kann. Ledochowski rümpft zu Beginn seines Buches noch ein wenig die Nase über Theologen, die meinen, die Bibel auslegen zu können. „Eine eigene Wissenschaft“ hätten sie aufgebaut. Er selbst braucht „diese Fächer Exegese und biblische Hermeneutik“ aber offenbar nicht. Ledochowski kann die Bibel ganz alleine auslegen. Ironischerweise führt sein Unterfangen genau zum Gegenteil von dem, was er vielleicht beabsichtigt. Am Ende erscheint es viel wahrscheinlicher, dass die biblischen Berichte von Jesu Wundern so passierten und eben keine drei Jahre währende Aneinanderreihung von Zufällen, Missverständnissen und Zaubertricks waren.
Maximilian Ledochowski: „Die Wunder der Bibel medizinisch erklärt“, Verlag Springer, erschienen im April 2023, 318 Seiten, 22,99 Euro, ISBN: 978-3662664735