Wacken: „Manche wollen über Thor, Odin und Gott diskutieren“

Am Wochenende waren 75.000 Heavy-Metal-Fans in Norddeutschland zu Gast. Bei der 29. Auflage des „Wacken Open Airs“ war auch die Landeskirche mit einem Seelsorgerteam im Einsatz. Der Landesjugendpastor der Nordkirche, Tilman Lautzas, berichtet von seinen Erfahrungen vor Ort.
Von PRO
Das Team der Notfallseelsorge bereitet sich auf seine Einsätze in Wacken vor

pro: Herr Lautzas, seit wann ist die Landeskirche beim Festival in Wacken präsent?

Martin Lautzas: Wir haben die Arbeit 2010 mit acht ehrenamtlichen Menschen begonnen. Seitdem ist unser Team auf 20 Berater angewachsen.

Wie sieht die Arbeit vor Ort praktisch aus?

Wir arbeiten in Vier-Stunden-Schichten von 13 Uhr bis 5 Uhr morgens. Außerdem haben wir noch Telefonbereitschaft rund um die Uhr, wenn wir von Einsatzkräften angefordert werden. Es sind vier Leute gleichzeitig im Einsatz, aus allen Alters- und Berufsgruppen, die uns in unserer „Seelsorgepagode“ unterstützen. Diese liegt im Bereich der Einsatzkräfte von DRK, Polizei, Feuerwehr sowie dem Sicherheitsdienst und ist in mehrere Gesprächsabteile aufgeteilt. Zwei Leute begehen den Konzertplatz. Sie tragen immer Westen mit dem Schriftzug Festivalseelsorge. In manchen Schichten sind auch zwei Personen im Backstage-Bereich.

Was ist die größte Herausforderung?

Ganz eindeutig die Rahmenbedingungen und die Gespräche bei lauter Musik. Auch die Wetterbedingungen waren in diesem Jahr schwierig mit der Hitze im Zelt. Zudem gibt es weite Wege auf dem großen Gelände.

Die Kirche gestaltet einen Eröffnungsgottesdienst. Was war dessen Botschaft?

Den Gottesdienst gestaltet die Kirchengemeinde vor Ort, meistens mit Gastpredigern. Die Pastorin in Wacken, Petra Judith Schneider, gehört zum Seelsorgeteam. Neu dabei ist auch Pastor Andreas Lüdtke aus Schönberg in Holstein, der schon mehrfach den Gottesdienst mitgestaltet hat. Thema in diesem Jahr war die Geschichte vom verlorenen Sohn. Die festivaleigene Zeitung „Wacken today“ hat den Gottesdienst so zusammengefasst, dass das Leben nicht unbedingt gerecht ist – aus Sicht des daheimgebliebenen Bruders –, aber es trotzdem allen Grund zu feiern gibt.

Kommen Menschen in Rahmen eines solchen Festivals mit Glaubensthemen zu Ihnen?

Ja, manchmal. Manche wollen gerne über Thor, Odin und Gott mit uns diskutieren. Andere Metalfans haben einen kirchlichen Hintergrund und bitten etwa darum, dass ich eine Kerze anzünde oder für sie bete. Häufig spielen weltanschauliche Fragen eine Rolle. Überwiegend geht es aber um Probleme, die auch sonst im Alltag vorkommen, aber beim Festivalstress aufbrechen: Beziehungen, Trennungen, berufliche Krisen, Gewalterfahrung, Ängste und Überforderung durch das Festival, wieder aufkeimende Probleme wegen psychischer oder psychotischer Vorbelastung.

Was war das bisher interessanteste Gespräch in ihrer „Wacken-Karriere“? 

Das Seelsorgegeheimnis ist unser höchstes Gut. Am Wochenende waren wir mit arte, RTL/ntv, Bild der Frau und dem Katholischen Pressedienst in Teams auf dem Gelände. Am schwierigsten ist es immer, dass wir keinerlei Fälle darstellen und keine Aufnahmen mit Ratsuchenden machen – auch nicht gestellt oder anonymisiert. Mich bewegt immer wieder, dass jedes Jahr Menschen in großer Not kommen. Manche bedanken sich hinterher oder in den Folgejahren. Dabei finde ich besonders spannend, wenn Erwartungen an das Festival (Spaß, Spaß, Spaß) nicht mit der Realität (Beziehungsstress, Verlust wichtiger persönlicher Sachen, Überwältigung durch Probleme oder Nachrichten von zu Hause) übereinstimmen. Die Festivalumgebung macht dann manchmal das Problem noch größer.

Bei welchen anderen Großveranstaltungen sind Sie noch mit einem Seelsorge-Team aktiv?

Unser Konzept sieht mögliche andere Einsatzorte vor. Bisher sind wir aber nur in Wacken aktiv. 2017 hat die Festivalseelsorge der Nordkirche die Beratung beim großen Reformationsevent in Wittenberg gestellt. Es war gleichzeitig der Abschlussgottesdienst des Kirchentags in Berlin. 2016 haben wir den Reformierten Pfarrer Samuel Hug als Gast eingeladen. Er hat das Konzept bereits für das dortige Greenfield-Festival adaptiert.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Johannes Blöcher-Weil.

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