Führt Anbetungsmusik in die Anbetung? Mein letzter Beitrag zum Willow-Creek-Kongress in Dortmund hat viel Zustimmung erfahren, hier und da Fragen aufgeworfen und in einem Fall freundlichen Widerstand provoziert. Und der war so gut, dass ich dieses Thema noch einmal aufgreife.
Ich war und bin immer noch begeistert von der erstklassigen und mitreißenden Musik der Kongressband. Die zieht nach oben und entfesselt mein Gemüt von der Angst um meine gesundheitliche Zukunft. Dieses Gotteslob befeuert das Lob meines Lebens, es befriedet die Verzweiflung, es bändigt die Sorgen und entfacht Jubel und Jauchzen und lässt mich tanzen, trotz zunehmender Bewegungsstörungen. Und die Bibel ist ein einziges Dokument dieser Musik zur Ehre Gottes. Saitenspiel, Blasmusik in Holz und Blech, Percussion, dass die Wände (Jerichos) wackeln. So soll es abgehen in unseren Gemeinden. Psalm 81 gibt reichlich Anleitung.
Mir geht es aber um etwas anderes.
„Vor Ihrer Predigt kommt noch ein Lobpreisblock!“, informiert mich der Lobpreisleiter einer Gemeinde, in der ich demnächst predigen soll. Wie bitte, ein Lobpreisblock? „Na, ja, wir machen Wörschipp!“ Natürlich weiß ich, was Worship ist: eine Instrumental- und Vokalformation animiert die Gemeinde mit mehr oder weniger singbaren Anbetungsliedern zum gemeinsamen Gotteslob. Früher nannte man das Liturgie.
In dem Maße, wie Gitarren- und Flötenchöre, Männer- und gemischte Chöre allmählich verschwanden, kamen „Ansinggruppen“ und Worship-Teams in Mode. So mancher Kantor und Organist fühlte sich von dieser Verenglischung der Liturgie überfordert und spielte mit dem Gedanken frühzeitiger Berentung. Statt Choräle sollten jetzt Anbetungslieder gesungen werden, was aber auf das gleiche Genre hinaus läuft. E-Gitarren, Schlagzeug und Keyboards lösten das gute alte „Hormonium“ ab.
Diese epochale Wende in der Kirchenmusik wurde in den 70er-Jahren von der Abschaffung der Gesangbücher und der Einführung von sogenannten Liedfolien, die über den Kopf – auch als Overhead bezeichnet – an die Wand geworfen wurden, flankiert. Und es musste Englisch sein. Wenn auch nur die Hälfte des Auditoriums anglophil war, es wurde in Englisch „gewörschippt“ und gebeamt.
Anbetungslieder wieder als Teil der Liturgie verstehen
Mit dieser Innovation kam auch ein ganz neues liturgisches Vokabular in den Gottesdienst. Was sich früher in Halleluja und Kyrie eleison zum Lobe Gottes erhob, konnte nun in einem Lobpreisbaukasten vielfältig variiert werden. Die Grundzutaten sind: Vater, König, Herrscher, Priester, Lamm, Preis und Lob, Schwert und Waffen. Und immer wieder „preisen“ und „erheben“. Alles biblisch, aber wer übersetzt das? Verkäuferinnen zum Beispiel „preisen“ die Waren aus, indem sie mit einer Art Pistole Etiketten auf die Packungen schießen. Fahrende Jahrmarkthändler preisen (meist billige) Ware an. Und für das „erheben“ (von Steuern) war das Finanzamt zuständig.
Ich liebe moderne Kirchenmusik. Es ist an der Zeit, Anbetungslieder wieder als Teil der Liturgie zu verstehen und sie auch so zu nennen. Allein das Aneinanderhängen von englischen Liedern macht noch keine Liturgie. Liturgie heißt eigentlich „öffentlicher Dienst“. Gemeint ist alles, was zum öffentlichen Gottesdienst gehört: Lieder, Instrumentalmusik, Stille, Abendmahl, Gebet, Lesungen und Predigt. Das alles spielend miteinander zu verbinden und die Gemeinde in die Stille zu führen und hörfähig zu machen, das ist die Aufgabe der Liturgie.
Und vergesst nicht die zeitlosen Texte von Paul Gerhardt (+ 1676), sie sind seit 300 Jahren modern und haben schon manche Eintagsfliege aus dem Lobpreisblock überlebt.
Ein dreifaches „Jubilate“ allen Organisten, Kantoren, Musikanten, Lobpreisern und Wörschippern. Ich bin einer von euch. Aber als Erben Luthers haben wir auch Verantwortung für unsere Sprachkultur. Gern wieder mehr in Deutsch. Und mitten im Tanz des Lobes sehne ich mich nach Stille, um Gott zu suchen, ohne Lichteffekte in sein Licht zu kommen, ohne grelle Performance der zu sein, der ich bin. So verstanden brauchen wir beides: piano und fortissimo! Halleluja und Kyrie eleison!
Von: Jürgen Mette