Vom Laufsteg auf die Kanzel

Bei „Germany‘s next Topmodel“ erreichte Jacqueline Thießen 2013 die Top 10. In der Show bekam die damals 16-Jährige das Label „Kirchenmaus“. Auch während ihres Studiums ist das Modeln weiterhin ihre Leidenschaft. Inspiriert durch einen engagierten Pastor ihrer Kirche möchte sie später selbst auf die Kanzel werden.
Von PRO
Jacqueline Thießen liebt es, bei Shootings in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen: „Bei professionellen Fotos sehe ich mich nicht selbst darauf.“
Grau ist der Himmel an dem Mittwochmittag Ende Januar in Hamburg. Ganz leichter Regenschauer rieselt herab. Eingemummelt in eine petrolfarbene Winterjacke kommt Jacqueline Thießen über den Campus der Uni Hamburg gerade von der Vorlesung Kostenrechnung. Derzeit studiert die 20-Jährige Sozialökonomie im dritten Semester. Auf dem Rücken trägt sie einen beige-braunen Rucksack mit rosa Blütenprint. Jacquelines knallroter Lippenstift und der grasgrüne, akkurat aufgetragene Nagellack fallen sofort auf. Ihre langen braunen Haare haben sich durch den Regen etwas gekräuselt. Drei Jahre vorher: Los Angeles. Sonnenschein. Fotoshootings unter dem Motto „Sei sexy!“. Die damals 16-, später 17-Jährige kämpft um das Weiterkommen in Heidi Klums Show „Germany‘s next Topmodel“ (GNTM). Jacqueline erreicht in dem Modelwettbewerb die Top 10, setzt sich gegen Tausende Mädchen durch. Als Eintrittskarte in die nächste Wettbewerbsrunde dient ein Foto des vergangenen Shootings. In L.A. hoffen die letzten zehn Mädchen auf das Weiterkommen. Acht haben bereits ein Foto bekommen. Schließlich sind Jacqueline und eine weitere Kandidatin an der Reihe: Moderatorin Heidi Klum, genannt „Model-Mama“, sagt, sie habe leider kein Foto für „Jacky“, wie deren Spitzname lautet. Das bedeutet für sie das Aus in der Sendung. Jacqueline war besonders in der Show: besonders jung, nicht besonders an Mode und Styling interessiert, besonders christlich. Während der GNTM-Zeit erlebte sie immer wieder Anfeindungen von ihren Konkurrentinnen. Sie hörte in Interviews anderer, „dass Mädchen sich wünschten, ich möge endlich gehen, weil ich nicht hierher gehörte und nichts auf die Reihe bekäme“, beschreibt sie rückblickend in ihrem Buch „Life Edition. Mein Modeltagebuch“. Das habe sie damals verletzt. „Jesus sagt ja sogar, wir sollen unsere Feinde lieben. Das ist nicht immer einfach!“ Heute, mit mehr Abstand, spricht sie positiver von der Verbindung zu den anderen Teilnehmerinnen. Sie sei mit „fast allen in Kontakt“ und durch die Sendungen seien „Freundschaften fürs Leben“ entstanden.

Kirche macht Spaß

Durch ein Sozialpraktikum in der Kirche während der Schulzeit wird Jacqueline klar: Pastorin zu sein, vereint alles, was sie gerne macht: „mit Menschen zusammenarbeiten, Hausbesuche machen, sich beim Kirchencafé mit Menschen über ihr Leben unterhalten, singen, sprechen, das Schreiben der Predigten, die Lesungen während des Gottesdienstes“. Die Inspiration kommt nicht von irgendwoher: In ihrem früheren Wohnort Sülfeld in Schleswig-Holstein geht sie mit ihrer Familie in eine Kirche mit einem „jungen Pastor, der wahnsinnig viel Freude und ganz viel Elan hatte, der alles lebendig gestaltet hat, dass es richtig Spaß gemacht hat, in die Kirche zu gehen“. So habe sie von Anfang an gelernt: „Kirche macht Spaß!“ Der Pastor habe „mehr geleistet, als erwartet wurde, die Predigttexte auf sein eigenes Leben bezogen“. Das begeistert sie. Die 20-Jährige ist heute in ihrer Hamburger Gemeinde im Kirchenvorstand, hält Lesungen im Gottesdienst, ist Teamerin in der Konfirmandenarbeit, arbeitet bei der Kinderkirche mit und bringt den Jungen und Mädchen biblische Geschichten näher, bastelt, backt mit ihnen. Jacqueline erlebt lebendiges Zusammenarbeiten in der Kirche. Das sei nicht in allen Gemeinden der Fall. Aktuell treten Hunderttausende Menschen aus der Evangelischen und der Katholischen Kirche aus. Dem möchte Jacqueline später als Pastorin Einladendes entgegensetzen: Die Kirche sollte „ein bisschen mehr mit der Zeit gehen“, die Predigttexte auf das Hier und Jetzt beziehen, Abendgottesdienste – nicht zwangsläufig an einem Sonntag – anbieten, Jugendliche mehr einbinden, ein Jugend- oder Clubhaus starten, wie das in ihrem Kirchenkreis geschehen ist. Dorthin brächten die Konfirmanden auch ihre Freunde mit. „Im Kindergarten und in der Grundschule gibt es noch Interaktionen mit der Kirche. Sobald die Jugendlichen auf die weiterführende Schule kommen, bietet die Kirche fast nichts mehr an. Wenn die Jugendlichen oder ihre Eltern noch nie etwas damit zu tun hatten, dann ist es schwierig, überhaupt mit Leuten Kontakt zu bekommen.“ Nach ihrem Wirtschaftsstudium will Jacqueline entweder ins Berufsleben einsteigen oder das Theologiestudium anhängen. Ihr Pastor hatte ihr empfohlen, erst einmal einen anderen Beruf zu lernen, damit sie später praktischer predigen kann. Und wie die junge Kirchenvorständlerin bemerkte: Der Pastor ist in der Gemeinde auch für wirtschaftliche und finanzielle Fragen verantwortlich. Das passe gut zu ihrem Wirtschaftsstudium.

Gemeinde als Ruhepol

Im Anschluss an die GNTM-Zeit veröffentlichte Jacqueline „Life Edition. Mein Modeltagebuch“ – ein Ermutigungsbuch, wie sie es nennt. Das Buch speist sich unter anderem aus Jacquelines Tagebucheinträgen, die sie während der Fernsehshow geschrieben hat. Jedes Kapitel beginnt mit mindestens einem Bibelvers. Sie nimmt den Leser hinein in den Casting-Alltag von GNTM. Mit dem Buch möchte sie vor allem jungen Leserinnen erklären, wie es im Modelgewerbe abläuft, ihnen aber auch Mut für herausfordernde Lebenslagen zusprechen. Sie beschreibt zudem, was sie an Kirche mag: „Für mich hat besonders Bedeutung, dass man dort nicht nach seinem Aussehen oder Können bewertet wird, jeder darf helfen, so viel und so gut er eben kann – es ist ein starker Gegensatz zum Modelbusiness, aber gerade deshalb ist mir mein Glaube und das Gemeindeleben wichtig – als Ruhepol und Möglichkeit, einfach ganz locker und entspannt ich zu sein.“ Sie gibt den Lesern den Rat: „Geht in die Kirche eurer Gemeinde und versucht, euch einzubringen. Engagiert euch für Neues, helft, wo ihr könnt.“ Ihr Glaube sei „im Hintergrund immer mit dabei. Der Glaube ist mein Leben“, sagt sie im Gespräch mit pro. Sie bete nicht vor jedem Essen und auch nicht jeden Abend. „Aber ich habe die Gewissheit, dass jemand da ist, der auf mich aufpasst, der mir nie mehr zumutet, als ich schaffen kann, und dass ich mich jederzeit an ihn wenden kann.“ Bei GNTM galt sie als „Staffel-Streberin“, weil sie alles perfekt machen wollte; und als „Kirchenmaus“, denn sie erzählte schon damals, dass sie vorhabe, Pastorin zu werden. Sie passte nicht so recht ins Mode-Raster. Das passt aber wiederum zu ihrem Lebensmotto: „Why fit in when I was born to stand out?“ – „Warum reinpassen, wenn ich geboren wurde, um herauszustechen?“. Jacqueline will sich nicht verbiegen. Wenn sie gute Noten schreibt oder Latein mag, sei das nichts Schlimmes. „Ich muss nicht überall perfekt integriert sein. Ich kann auch Ecken und Kanten haben, an denen sich einige stoßen, andere finden die vielleicht besonders toll.“

„Man muss nicht immer hübsch sein“

Mit dieser Einstellung steht sie auch dem von den Medien verbreiteten Schönheitsideal kritisch gegenüber. Das „Ich muss immer schön sein“-Bild findet sie „teilweise einfach falsch, weil man nicht immer perfekt sein kann. Und man muss auch nicht immer hübsch sein“. Sie findet es „krass, dass Kinder ab der fünften Klasse sich inzwischen schminken müssen, um anerkannt zu werden, um sich hübsch zu fühlen. Die sagen, ich kann ungeschminkt nicht aus dem Haus gehen, weil ich mich da nicht wohl, nicht hübsch fühle. Ungeschminkt ist man genauso schön wie geschminkt.“ Jacqueline plädiert für ein natürliches Schönheitsideal in den Medien. „Aber es ist wahnsinnig schwierig, weil das so in den Köpfen verankert ist.“ Eine Agentur, bei der sich Jacqueline bewarb, wollte, dass sie zehn Kilo abnimmt. Wäre sie dem Wunsch nachgekommen, hätte sie bei 1,78 Meter nur noch 44 Kilogramm gewogen. Das seien die Voraussetzungen für den internationalen Markt, hieß es von der Agentur. Das lehnte das junge Model ab, weil sie dann untergewichtig gewesen wäre. Dass in Frankreich mittlerweile Magermodels verboten sind, begrüßt Jacqueline. Nun ist sie bei einer Hamburger Agentur unter Vertrag, die nicht von ihr verlangt habe, abzunehmen. Sie modelt hin und wieder auf dem Laufsteg, macht aber vor allem Mode-Shootings.

Nacktbilder sind tabu, Bikini ist okay

Als Topmodel-Kandidatin hatte Jacqueline mit den anderen Mädchen die Aufgabe, mit fünf Männern zu tanzen, deren Oberkörper nackt war. Danach sollten sie mit jeweils einem von ihnen sexy für Bilder posieren. Das war für Jacqueline eine ungewohnte Situation: Mit ihren 16 Jahren hatte sie privat noch keine Erfahrung „als Herzensbrecherin“. „Als Model war das etwas anderes – auf einmal sollte ich das auf Knopfdruck können.“ Da ihr Shooting-Partner freundlich war, machte es Jacqueline trotzdem „richtig Spaß“. Aktuell ist sie Single. Ihren Körper zur Schau stellen, ist für sie „einfach ein Job. Mein Körper und mein Äußeres sind in dem Fall mein Kapital, genauso wie es bei anderen die Intelligenz, die Fähigkeit, mit dem PC umzugehen oder ähnliches ist“. Nacktbilder kommen für sie nicht in Frage, aber sie habe „kein Problem damit, den BH auszuziehen, wenn die Brust bedeckt ist, solange es seriös aussieht“. Sie schließt jedoch nicht aus, dass sie irgendwann einmal ihre Brüste unbedeckt zeigt. Mit ihrem Pastor hat Jacqueline über Bikini-Shootings gesprochen. Er sehe da „kein Problem“. Sie sieht das ebenfalls locker: „Auch als Pastorin kann man ins Schwimmbad gehen und einen Bikini tragen.“ Als bei GNTM ein Fotoshooting mitten auf der Luxus-Shopping-Straße Rodeo Drive geplant ist, überraschte Heidi Klum die Topmodel-Anwärterin mit einer Einkaufs-Tour. Grund: Ihre Kleider schienen nicht so modern wie die der anderen Mädchen. Die lachten Jacqueline deswegen sogar aus, was sie wiederum verletzte und zum Weinen brachte. „Sie lachten – alle!“ Diese Szene war für sie „wirklich der schlimmste Moment in meiner Zeit bei GNTM“. Damals fühlte sie sich „unheimlich alleine und so gedemütigt und vorgeführt“. Diese Folge sieht sie noch heute nicht gerne an. Die negativen und die positiven Erfahrungen haben sie aber weitergebracht, sagt sie. Die Zeit bei „Germany‘s next Topmodel“ hat Jacqueline auch den Grundstein für einen professionellen Umgang mit den Medien und der Kamera gelegt. Plaudert sie auf dem Weg zum Uni-Café gerade noch entspannt wie die nette Kommilitonin, weiß sie, wie sie sich zu geben hat, sobald das Band läuft. In ihren Antworten greift sie die gestellte Frage auf, spricht durchdacht, formuliert klar und fast druckreif – ein echter Medienprofi. Durch GNTM sei sie offener und selbstbewusster geworden und habe gelernt, Leute anzusprechen und ihren Körper ganz neu wahrzunehmen, sagt Jacqueline. Absagen bei Castings und von Agenturen machten ihr nichts aus und sie nehme sie sich nicht zu Herzen, sagt sie, und hebt ihren Kopf ein wenig. Trotzdem beschreibt sie sich selbst als schüchtern. Zielstrebig und ehrgeizig sei sie, eine Perfektionistin. Mit ihren großen blauen Augen wirkt Jacqueline mädchenhaft. Von der engen und liebevollen Verbindung in ihrer Familie zehrt sie: „Bei GNTM hat mir auf jeden Fall geholfen, dass ich von zu Hause einen sehr starken Rückhalt habe und hatte.“ Jacqueline ist ein Familienmensch, genießt die Zeit mit ihren Eltern, von denen sie noch Taschengeld bekommt, mit ihrer Schwester und dem jüngeren Bruder. Sie möchte „so lange wie möglich zu Hause wohnen bleiben“. Das liegt weniger daran, dass es schwierig wäre, von der Modelgage Wohnung, Studium und Lebensunterhalt zu bezahlen. Sie möchte den Familienkontakt nicht missen. Mit ihrer 15-jährigen Schwester schaut sie auch die neue Staffel von „Germany‘s next Topmodel“. Und sie stellen sich vor, sie wären unter den Kandidatinnen. (pro) Dieser Artikel ist der Ausgabe 1/2016 des Christlichen Medienmagazins pro entnommen. Bestellen Sie pro kostenlos und unverbindlich unter Telefon 06441 915 151 oder online.
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/interview-thiessen-94893/
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