Der Berliner Kirchenkreis Stadtmitte hat Filmregisseur Rosa von Praunheim eingeladen, um in der Kirche St. Marien zu sprechen. Fazit eines anwesenden Theologiestudenten: „Man predigt Christus und nicht sich selbst.“
Von PRO
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Zum Lied „Selbstmitleid – Das ist die schönste Jahreszeit“ schunkelt Rosa von Praunheim (Mitte) händchenhaltend mit seinen beiden „Engeln“
Seine beiden „Engel“ hat Filmregisseur Rosa von Praunheim mitgebracht in die Marienkirche am Berliner Alexanderplatz. Ein junger Mann schreitet im weiten, weißen Gewand und mit hochtoupierter gepuderter Perücke durch den Mittelgang, der andere in roter Robe mit plüschigen Flügeln am Rücken. Rosa von Praunheim selbst gibt sich betont leger: Das karierte Hemd über der schwarzen Baumwollhose, eine offene Sweatshirt-Jacke und auf dem Kopf der obligatorische Hut – diesmal hellgrün mit kleinen, bunt blinkenden Glühbirnen rundherum.
Undenkbar bei Katholiken: von Praunheims Auftritt in der Kirche
Es ist einer der monatlichen Vorabendgottesdienste in St. Marien, Konzept ist ein liturgisch reicher Gottesdienst mit dem Beitrag eines Nicht-Theologen. Nach einer halben Stunde Liturgie, die der Filmemacher mitverfolgt, aber nicht mitspricht oder mitsingt, ist von Praunheim an der Reihe. Mit einem Lied vom Band geht es los, darin singt Christian Steiffen von Jesus als seinem besten Freund. Gleich im Anschluss stellt von Praunheim sich selbst eine Frage, die er sofort beantwortet: „Glaube ich an Gott? Klare Antwort: Nein.“ Aber er sei „allesgläubig“, so der 72-Jährige, „alles kann sein hier auf Erden und anderswo“. Und er legt noch nach: Er glaube nicht an die Wahrheit der Bibel, schon gar nicht an das Alte Testament, da sei ihm zu viel Zorn Gottes und zu wenig Liebe und Eros.
Damit sind die Fronten klar. Auch an die rund 70 Gottesdienstbesucher hat Rosa von Praunheim ein paar Fragen, so will er wissen, wer an ein Leben nach dem Tod glaube, und wer an Sex nach dem Tod. „Nur so wenige? Schade, Sex ist etwas Wunderschönes.“ Überrascht scheint die Galionsfigur der deutschen Schwulenszene selbst darüber zu sein, in einer Kirche zu predigen. „Wer hätte gedacht, dass ich als offen schwuler Mann in einer protestantischen Kirche predigen dürfte? In einer katholischen Kirche wäre das nicht möglich.“
Liebe und Versöhnung
Sein Thema ist die Nächstenliebe, daran glaube er, bekennt von Praunheim, so hätten ihn seine „christlichen Nazieltern“ erzogen. Aber, so fragt er, sei man wirklich fähig, seinen Nächsten zu lieben? Wie sähe es zum Beispiel mit den Migranten aus? Konkret spricht er Berlins Schwule an. Viele von ihnen hätten mehr Geld als andere Bevölkerungsgruppen, aber was täten sie damit für die, die es nicht so gut getroffen hätten in der Gesellschaft? Viele hätten ihre aidskranken Freunde gepflegt und seien somit fähig zur Nächstenliebe. Nach rund zehn Minuten kommt der prominente Redner zum Schluss. Liebe sei das Schönste auf der Welt, betont er. Sein Appell an die Gottesdienstbesucher: „Versöhnt euch morgen mit eurem ärgsten Feind und nehmt den Nachbarn in die Arme“.
„Man predigt Christus und nicht sich selbst“
Von Praunheims Fazit: Es sei nicht wichtig, an was oder wen man glaube, vielmehr müsse man an sich selbst und an die Kraft der Liebe in sich glauben. „Dankeschön, dass ihr einer alten Tunte zugehört habt!“, ruft der 72-Jährige zum Schluss in die Kirche. Zu den Klängen von Christian Steiffens Lied „Selbstmitleid – Das ist die schönste Jahreszeit“ schunkelt er vorne händchenhaltend mit seinen „Engeln“. Kontrastreich dazu die orgelbegleiteten adventlichen Lieder wie „Die Nacht ist vorgedrungen“ oder „Wie soll ich dich empfangen“ – hier singt der Filmemacher allerdings nicht mit. Am anschließenden Abendmahl nimmt er dagegen teil.
Es sei mutig, so einen predigen zu lassen, meint eine Gottesdienstbesucherin im Anschluss. Sie gehört zur Gemeinde in St. Marien, ebenso wie ihr Begleiter, der es schön findet, dass die Kirche offen für so etwas sei. Die beiden besuchen diese Gottesdienste regelmäßig, andere sind Rosa von Praunheims wegen gekommen, wieder andere haben zufällig in die Kirche hereingeschaut und sind geblieben. Einem jungen Mann gefällt das Konzept der Vorabendgottesdienste, inhaltlich sehe er das aber etwas konservativer als Rosa von Praunheim. Er sei selbst Theologiestudent und habe es eher so gelernt: „Man predigt Christus und nicht sich selbst.“
Theologische Ergänzung nicht nötig?
Die Gottesdienstreihe unter dem Motto „Rausch der Sinne“ gibt es seit Januar 2011 in der Marienkirche, enden soll sie im kommenden Januar. Laut Initiator Bertold Höcker, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Berlin Stadtmitte, werden vor allem Leute eingeladen, die eine gesellschaftliche Deutung vortragen können. Dazu gehöre auch Rosa von Praunheim als in Berlin lebender, international bekannter Filmemacher. Wenn nötig, gebe es nach der Predigt eine theologische Ergänzung des Liturgen, an diesem Abend Höcker selbst. Doch das habe man Rosa von Praunheim allein zugetraut, so der Superintendent. Er habe sich schließlich intensiv mit Theologie beschäftigt. Wenn er auch seine Verletzungsgeschichte mit der Religion habe, sei er doch immer konstruktiv im Dialog.
Von Praunheim habe sich nicht vom Glauben, sondern von der Institution Katholische Kirche abgesetzt, betont auch Kirchenkreis-Pressesprecherin Christiane Bertelsmann. So sei es kein Thema gewesen, ihn für den Abend zu gewinnen. Der Filmregisseur selbst hatte im Vorfeld des Gottesdienstes gesagt, katholisch aufgewachsen habe er sich im Zusammenhang mit seiner Homosexualität von der Kirche getrennt.
Etliche Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport haben bereits in der Marienkirche gepredigt, das Thema steht ihnen frei. Unter ihnen sind neben Rosa von Praunheim weitere bekennende Homosexuelle zu finden, so der innen- und religionspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, oder Ex-Fußballprofi Marcus Urban. Der Kirchenkreis Stadtmitte sei ein Kirchenkreis der Vielfalt, betont Superintendent Höcker, diese Vielfalt solle der Gottesdienst abbilden: „Dazu gehören auch Schwule, Lesben und transidentische Persönlichkeiten.“ (pro)
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