Kolumne

Victoria – meine Nähmaschine ist mein (neuer) Ehemann

Victoria aus dem Südsudan ist jung und Mutter von acht Kindern. Ihr Ehemann warf sie aus dem Haus. Eine Nähmaschine wird ihre Rettung. Uwe Heimowski hat Victoria getroffen.
Von PRO
Schneiderin Victoria aus dem Südsudan

Victoria begrüßt uns am Eingang der Kirche. Aus ihrem tiefschwarzen Gesicht strahlen die fröhlichen Augen und die blendend weißen Zähne. Die große Zahnlücke zwischen den oberen Schneidezähnen gilt in ihrem Stamm als Schönheitsideal. So wie die feinen Narben auf der Stirn, mit den typischen Mustern, die den kleinen Kindern in die Haut geritzt werden.

„I greet you in the name of Jesus Christ.“

Die „Christ Church of Southsudan“, in der uns Victoria willkommen heißt, hat ihr Gebäude mitten in einer Flüchtlingssiedlung in Juba, der Hauptstadt des Landes. Löchrige Zelte und wild zusammengezimmerte Blechhütten stehen neben Steinhäusern. Viele Menschen sind vor Jahren aus den ländlichen Gebieten geflohen, wo marodierende Nomaden mit ihren Viehherden die Farmen der Bauern zerstören – und bei Widerstand zur Waffe greifen. Etwa zwei Millionen IDPs (Internal Displaced Persons – Binnenflüchtlinge) gibt es im Südsudan, das ist jeder siebte Einwohner. Noch einmal so viele Menschen sind nach Uganda, Kenia oder in den Kongo geflohen. Seinerseits hat das Land etwa eine Million Geflüchtete aus dem Sudan aufgenommen, seit dort der Bürgerkrieg entfacht ist. Auch diese leben nun hier.

Im Sudan herrschte seit vielen Jahren Bürgerkrieg, nur während acht der letzten 40 Jahre gab es einen brüchigen Frieden. Jahrzehntelang bekämpften sich der weitgehend islamische Norden und der mehrheitlich christliche Süden. 2011 erlangte der Südsudan durch ein Referendum seine Unabhängigkeit und wurde zum 191ten und bis heute jüngsten Staat der Erde. Die Hoffnungen auf Frieden und einen wirtschaftlichen Aufschwung waren groß. Doch die Ruhe währte nicht lange, bereits 2013 entbrannte ein Bürgerkrieg im Südsudan, verschiedene politische Akteure rangen um die Macht.

Offiziell endetet der Krieg 2018, doch bis heute gibt es keine stabile Regierung, der Südsudan gilt als eines der korruptesten Länder der Erde. Viele Regionen werden von Rebellen beherrscht, ohne dass der Staat die Kraft hat, einzugreifen. Mitunter sind es unterbezahlte Militärs, die Dörfer oder Einrichtungen angreifen und die Menschen berauben. 2018 etwa wurde das „Emanuel Christian College“ in Yei, eine staatlich anerkannt, etablierte Hochschule, von Regierungstruppen angegriffen. Zehn Menschen wurden ermordet. Bis heute ringt die Verwaltung des Colleges um eine rechtliche Aufarbeitung.

Schneiderin Victoria aus dem Südsudan Foto: Uwe Heimowski
Victoria (unten rechts) konnte nach neun Monaten ihren Abschluss zur Schneiderin feiern

Mutter von acht Kindern und allein auf der Straße

Doch zurück zu Victoria. Auch sie ist ein Flüchtling. Doch waren es nicht die Rebellen oder Soldaten, die sie aus ihrer Heimat vertrieben haben, sondern ihr Ehemann. In ihrem Stamm darf ein Mann zwei Frauen haben. Victorias Ehemann suchte eine andere Zweitfrau – und warf sie aus dem Haus. Victoria wirkt jung, fast jugendlich, doch sie ist Mutter von acht Kindern. Mittellos, ohne Schulbildung und entrechtet, fand sie sich auf der Straße wieder. Sie verließ ihr Heimatdorf und zog in die Hauptstadt.

Mir ballt sich die Faust in der Tasche, als sie erzählt, was ihr Mann ihr angetan hat. Was sind wir Männer doch manchmal für furchtbare Menschen. Übrigens zeigt sich hier, was der Begriff „Gender-Mainstreaming“, der in Europa mitunter bis in unsere Sprechweise skurrile Blüten treibt, eigentlich bedeutet: Frauen ins Zentrum der Politik stellen, sie stark machen und ihre Rechte schützen.

Doch wie gesagt, Victoria, die jeden Grund hätte wütend zu sein, strahlt uns an. „Now my machine is my husband“, erklärt sie. „Nun ist meine Nähmaschine mein Ehemann.“ Victoria zeigt auf eine handbetriebene Singer-Nähmaschine. Früher war ihr Mann der Versorger der Familie gewesen, aber sie hatte sich nie auf ihn verlassen können, oft hatte er sein Gehalt schon vertrunken, bevor er nach Hause kam. Heute kann sie mithilfe der Maschine ihre Familie selbst versorgen.

Ausbildung zur Schneiderin

Für Victoria ist das nicht weniger als ein Wunder. Sie gehörte in ihrem Dorf zu einer traditionellen Religion. Als sie mit den Kindern nach Juba kam, lud eine Nachbarin Victoria in die „Christ Church“ ein. Besonders der Pastor kümmerte sich sehr um die Familie – ja, solche Männer gibt es auch. Victoria fand zum Glauben und ließ sich taufen. Sie besucht die Gottesdienste, ihre Kinder die Sonntagsschule.

In der Kirche hörte sie vom „women empowerment program“, das in den Gemeinderäumen stattfindet. In diesen Schulungen, die von internationalen Hilfswerken finanziert werden, werden Frauen in einem neunmonatigen Kurs zu Schneiderinnen ausgebildet. Die meisten von ihnen, auch Victoria, sind Analphabetinnen. Sie lernen die Funktionen der Nähmaschine kennen, und auch den Gebrauch von Zahlen und Buchstaben. Sie erfahren, wie man Maße nimmt und Schnittmuster entwirft und lernen einfache Grundzüge des Rechenwesens, also vor allem wie man mehr Geld einnimmt als ausgibt und Rücklagen bildet.

Ganz groß wird nach neun Monaten der Abschluss gefeiert: Mit einer Modenschau, deren Erlöse den Frauen zugutekommen, um eine Grundausstattung an Garnen und Stoffen zu erwerben. Ihre Singer Nähmaschine bekommen sie geschenkt und können sich nach dem Kurs mit ihrem Können selbstständig machen. Victoria näht vor allem Schuluniformen oder auch Gewänder für die Chöre und Geistlichen in den Gemeinden. Ich bin beeindruckt. Eine schöne, starke Frau.

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen