„Verschwörungstheorien sind eine humane Konstante“

Der Theologe Kai Funkschmidt beschäftigt sich beruflich mit dem Entstehen und der Wirkung von Verschwörungstheorien. Sie helfen manchen dabei, Ordnung in eine unübersichtliche Lage zu bringen, erklärt er im Gespräch mit pro.
Von PRO
Dass Verschwörungstheorien entstehen, sei nicht ungewöhnlich und Krisen seien dafür ein guter Nährboden, sagt Theologe Kai Funkschmidt

pro: Herr Funkschmidt, was ist per Definition eine Verschwörungstheorie?

Kai Funkschmidt: Ich würde eine Verschwörungstheorie definieren als eine Annahme, dass ein bestimmtes Ereignis oder bestimmte Entwicklungen zurückzuführen sind auf das verborgene, zielgerichtete und mit negativen Absichten versehene Handeln von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen von Verschwörern. Wenn bei einem Menschen im Grunde die ganze Weltsicht darin besteht, dass er überall Verschwörungen wittert, spricht man von Verschwörungsmythen oder -ideologien. Das beobachten wir momentan im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Im Grunde sehen manche Menschen nur noch eine Realität, die Fassade zu sein scheint, hinter der sich in Wirklichkeit etwas völlig anderes verbirgt.

Warum greifen in Krisensituationen – wie jetzt mit dem Coronavirus – Verschwörungstheorien besonders stark um sich?

Verschwörungstheorien sind im Grunde eine humane Konstante. Daher ist das jetzt gar nicht ungewöhnlich. Krisen sind ein guter Nährboden dafür, denn eine Neigung zu verschwörungsideologischem Denken wird durch Verunsicherung von Menschen erleichtert. Das haben psychologische Versuche nachgewiesen. Menschen, die das Gefühl haben, sie verstehen die Welt nicht mehr, viele Dinge geraten plötzlich auf unerklärliche Weise außer Kontrolle, versuchen, Ordnung ins Chaos zu bringen. Alle Menschen sind darauf angelegt, Ordnung zu suchen. Wenn sie besonders verunsichert sind, kann das dazu führen, dass sie eine Ordnung finden, die gar nicht vorhanden ist – eine Verschwörungstheorie. Es gibt eine große Epidemie, die trifft überwiegend Alte, manchmal Junge, ein Land mehr als ein anderes. Wir wissen nicht, woher sie kommt – das kann doch alles gar nicht unerklärlich sein! Ich möchte eine Erklärung haben für meine Unsicherheit. Und dann kommt eine Idee: Ja, dahinter stecken Menschen, die haben das ausgelöst. Das ist die Erklärung. Das gibt Sicherheit.

Wie empfänglich sind Christen für Verschwörungsmythen?

Es gibt keine Untersuchungen, die zeigen, dass Christen weniger anfällig wären für so etwas. Die Intuition würde mir sagen, dass ein Christ sich nicht so verunsichern lässt, dass er nach jedem Strohhalm einer Erklärung greift, auch wenn es ein völlig absurder wie eine Verschwörungsideologie ist. Ein Christ sollte mit der Unverfügbarkeit des Daseins umgehen können und wissen, dass Gottes Wege nicht immer erforschlich sind. Ein Christ weiß, dass sogar dem Gerechten, wie es im Buch Hiob steht, großes Unheil widerfahren kann. Er müsste dafür nicht Verschwörungen von Bill Gates bis zu den Freimaurern oder den Juden verantwortlich machen.

Hängen Christen nicht ohnehin Verschwörungsmythen an? Wer an die Auferstehung der Toten glaubt, das ewige Leben oder gar an die Jungfrauen­geburt, der ist im 21. Jahrhundert nicht mehr im Zentrum des wissenschaftlichen Mainstreams.

Der Glaube sieht keine Verschwörung in dem Sinne, dass ich geheime Motive hinter weltlichen Dingen vermute. Er ist eher das Gegenteil von Verschwörungsdenken. Denn dieses beruht auf Misstrauen. Christlicher Glaube beruht auf Vertrauen zu Gott. Ja, Glaubensinhalte wie die Auferstehung oder auch der Wunderglaube, überhaupt der Gottesglaube als solcher, sind im Grunde nicht mit der rationalen Vernunft der Aufklärung begründbar. Der Glaube tritt aus sich heraus. Aber Gläubige behaupten nicht, dass wir eine geheime Erklärung für die Dinge haben. Es gibt Christen, die sagen, das, was jetzt passiert, ist eine Heimsuchung Gottes. Als Glaubensaussage kann man das auch akzeptieren, wenn nicht derjenige, der diesen Glauben hat, das mit der Haltung äußert: „Da habt ihr es. Ich habe es ja gesagt, ihr seid selber schuld.“ Wer so eine Theologie vertritt, ist zumindest gut beraten, sich in das Schuldbekenntnis selbst mit hineinzunehmen.

Kai Funkschmidt, Jahrgang 1963, ist theologischer Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen für die Bereiche Esoterik, Okkultismus, Mormonen und Apostolische Gemeinschaften im europäischen Kontext Foto: Volker Lubinetzki
Kai Funkschmidt, Jahrgang 1963, ist theologischer Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen für die Bereiche Esoterik, Okkultismus, Mormonen und Apostolische Gemeinschaften im europäischen Kontext

Was würden Sie Verfechtern einer Verschwörungstheorie entgegenhalten?

Ich würde zum Beispiel fragen: Angenommen, ich habe recht – gibt es irgendeinen Beweis, den du gelten lassen würdest, um dir zu zeigen, dass du Unrecht hast? Denn: Es ist eines der Grundmerkmale von Verschwörungstheorien, dass man sie nicht widerlegen kann; alle Gegenargumente taugen nur zur Unterstützung der Theorie, weil sie die besondere Perfidie und Geschicklichkeit der angeblichen Verschwörer bestätigen.

Dann könnte man einwenden: Wenn das Ganze so geheim ist, wieso weißt du das? Komische Verschwörungstheorie, wenn jeder Wichtel im Internet darüber schreiben kann. Da hat die Verschwörung offensichtlich nicht geklappt. Oder wenn die Sache so mächtig ist, wie du dir das vorstellst, wenn das Weltjudentum da im Regiment sitzt und alle Strippen zieht, warum erlauben es dir die Verschwörer, davon zu erzählen?

Haben Sie in der Corona-Krise Äußerungen bemerkt, bei denen Sie innerlich zusammengezuckt sind im Sinne von: Oh, damit werden jetzt die Verschwörungstheoretiker auf den Plan gerufen?

So ein knalliges Zitat nicht. Ich habe aber in der Tat den Eindruck, dass das politische Handeln die Sache teils eher befeuert oder ihr jedenfalls nicht gerade entgegengewirkt hat. Verschwörungstheorien entstehen dann, wenn Menschen misstrauisch sind und das Gefühl haben, es wird nicht wirklich alles ausgesprochen. In jeder Situation der Demokratie gibt es Leute, die sind anderer Meinung. Wenn allerdings jemand versucht, eine Diskussion mit Begriffen wie „alternativlose Politik“ oder „Öffnungsdiskussionsorgien“ zu unterbinden, versucht er, Meinungen zu delegitimieren. Es ist eigentlich nie etwas alternativlos, ganze Länder haben in dieser Krise Alternativen gezeigt. So zu reden, ist undemokratisch, und das fördert das Gefühl der Menschen: Meine Stimme kommt gar nicht vor, ich habe keine Kontrolle, ich werde entmündigt, und dann werde ich auch noch zum Idioten erklärt.

Wie nehmen Sie das Thema derzeit in den Medien wahr?

Auch in der medialen Rezeption ist manches wirklich abgedreht. Die Verschwörungstheoretiker sind ja nicht die einzigen, die demonstrieren. Das waren auch nicht die ersten. Am Anfang waren es politische Anliegen, die Demonstranten vortrugen und sagten: „Wir denken, dass die Maßnahmen, die jetzt getroffen werden, schlimmer sind, als die Krankheit sein könnte.“ Verschwörungstheorien sind keinem politischen Lager zuzuordnen. Das wissen wir aus wissenschaftlichen Untersuchungen zuhauf. Dass manche Medien das so beschreiben, als würde eine Querfront von Verschwörungstheoretikern von links bis rechts, und in der Mitte die Impfgegner, entstehen und die stünden kurz vor der Machtübernahme, macht dieses Phänomen größer, als es ist. Die Berichterstattung klingt manchmal selbst ein bisschen verschwörungstheoretisch.

Was vermissen Sie in der Berichterstattung?

Mir fehlt etwas Besonnenheit, das einzuordnen. Nicht jeder, der eine verrückte Theorie mal erwägt oder vielleicht auch vertritt, ist deswegen gleich durch und durch verschwörungsideologisch unterwegs. Ich erlebe, dass Menschen selbstverständlich auch mit für mich nicht nachvollziehbaren oder nicht naturwissenschaftlichen Theorien ein normales Leben führen können.

Abraham Lincoln hat geglaubt, es gebe eine Verschwörung der südlichen Sklavenhalter, die Sklaverei in den ganzen USA einzuführen. Die hat es nachweislich nie gegeben. Deswegen war er trotzdem funktionsfähig und ein guter Präsident. Man muss sich davor hüten, einen Verschwörungstheoretiker als eine grundsätzlich andere Art Mensch zu betrachten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Was würden Sie Verfechtern einer Verschwörungstheorie entgegenhalten?

Ich würde zum Beispiel fragen: Angenommen, ich habe recht – gibt es irgendeinen Beweis, den du gelten lassen würdest, um dir zu zeigen, dass du Unrecht hast? Denn: Es ist eines der Grundmerkmale von Verschwörungstheorien, dass man sie nicht widerlegen kann; alle Gegenargumente taugen nur zur Unterstützung der Theorie, weil sie die besondere Perfidie und Geschicklichkeit der angeblichen Verschwörer bestätigen.

Dann könnte man einwenden: Wenn das Ganze so geheim ist, wieso weißt du das? Komische Verschwörungstheorie, wenn jeder Wichtel im Internet darüber schreiben kann. Da hat die Verschwörung offensichtlich nicht geklappt. Oder wenn die Sache so mächtig ist, wie du dir das vorstellst, wenn das Weltjudentum da im Regiment sitzt und alle Strippen zieht, warum erlauben es dir die Verschwörer, davon zu erzählen?

Haben Sie in der Corona-Krise Äußerungen bemerkt, bei denen Sie innerlich zusammengezuckt sind im Sinne von: Oh, damit werden jetzt die Verschwörungstheoretiker auf den Plan gerufen?

So ein knalliges Zitat nicht. Ich habe aber in der Tat den Eindruck, dass das politische Handeln die Sache teils eher befeuert oder ihr jedenfalls nicht gerade entgegengewirkt hat. Verschwörungstheorien entstehen dann, wenn Menschen misstrauisch sind und das Gefühl haben, es wird nicht wirklich alles ausgesprochen. In jeder Situation der Demokratie gibt es Leute, die sind anderer Meinung. Wenn allerdings jemand versucht, eine Diskussion mit Begriffen wie „alternativlose Politik“ oder „Öffnungsdiskussionsorgien“ zu unterbinden, versucht er, Meinungen zu delegitimieren. Es ist eigentlich nie etwas alternativlos, ganze Länder haben in dieser Krise Alternativen gezeigt. So zu reden, ist undemokratisch, und das fördert das Gefühl der Menschen: Meine Stimme kommt gar nicht vor, ich habe keine Kontrolle, ich werde entmündigt, und dann werde ich auch noch zum Idioten erklärt.

Wie nehmen Sie das Thema derzeit in den Medien wahr?

Auch in der medialen Rezeption ist manches wirklich abgedreht. Die Verschwörungstheoretiker sind ja nicht die einzigen, die demonstrieren. Das waren auch nicht die ersten. Am Anfang waren es politische Anliegen, die Demonstranten vortrugen und sagten: „Wir denken, dass die Maßnahmen, die jetzt getroffen werden, schlimmer sind, als die Krankheit sein könnte.“ Verschwörungstheorien sind keinem politischen Lager zuzuordnen. Das wissen wir aus wissenschaftlichen Untersuchungen zuhauf. Dass manche Medien das so beschreiben, als würde eine Querfront von Verschwörungstheoretikern von links bis rechts, und in der Mitte die Impfgegner, entstehen und die stünden kurz vor der Machtübernahme, macht dieses Phänomen größer, als es ist. Die Berichterstattung klingt manchmal selbst ein bisschen verschwörungstheoretisch.

Was vermissen Sie in der Berichterstattung?

Mir fehlt etwas Besonnenheit, das einzuordnen. Nicht jeder, der eine verrückte Theorie mal erwägt oder vielleicht auch vertritt, ist deswegen gleich durch und durch verschwörungsideologisch unterwegs. Ich erlebe, dass Menschen selbstverständlich auch mit für mich nicht nachvollziehbaren oder nicht naturwissenschaftlichen Theorien ein normales Leben führen können.

Abraham Lincoln hat geglaubt, es gebe eine Verschwörung der südlichen Sklavenhalter, die Sklaverei in den ganzen USA einzuführen. Die hat es nachweislich nie gegeben. Deswegen war er trotzdem funktionsfähig und ein guter Präsident. Man muss sich davor hüten, einen Verschwörungstheoretiker als eine grundsätzlich andere Art Mensch zu betrachten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Norbert Schäfer

Dieser Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 3/2020 des Christlichen Medienmagazins pro, das sie hier bestellen können.

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