Sie wollen nicht vergessen werden: Verfolgten Christen im Irak ist es wichtig, dass ihre Geschichten weitererzählt werden. Das hat Andrea Wegener in ihrem Buch „Entkommen aus dem Netz des Jägers“ eindrücklich getan. Eine Rezension von Michael Müller
Kreuze an Rückspiegeln sind an kurdischen Kontrollposten hilfreich
Die Mitarbeiterin der internationalen Hilfsorganisation „Global Aid Network“ (GaiN), die in der mittelhessischen Stadt Gießen ansässig ist, reiste im Jahr 2014 mehrfach als Helferin in den Irak. Es ist die Zeit, als die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) ihren Eroberungsfeldzug im Land führt und bis in den Nordirak vorstoßen kann. Christen, aber auch andere Verfolgte, fliehen vor der drohenden Gefahr in die kurdische Autonomieregion, wenn sie es denn rechtzeitig schaffen. Bei ihrem Hilfseinsatz drängen sich der Autorin Wegener die Geschichten der Verfolgten regelrecht auf.
„Ich hatte eigentlich nicht den Wunsch, ein weiteres Buch zu schreiben“, erzählt Wegener. Ihre Hilfsorganisation unterstützte nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti Betroffene vor Ort. Sie schrieb dann über ihre Erfahrungen das Buch „Ein Quäntchen Trost“. Aber im Irak hörte sie jeden Abend die Geschichten der Verfolgten. Es seien alles frische Eindrücke gewesen. Es habe auch unter den Irakern keine Angst gegeben, zu erzählen. Der Tenor sei eher gewesen: Endlich dürfen wir darüber reden. In Andrea Wegener und anderen Mitarbeitern der Hilfsorganisation fanden die Iraker aufmerksame Zuhörer. Das Buch „Entkommen aus dem Netz des Jägers“ gibt diesen Christen nun eine Stimme – wobei auch verfolgte Muslime und Jesiden zu Wort kommen.
Bibel rettete buchstäblich das Leben
Der Buchtitel, der aus Psalm 124 entliehen ist, betont das Hoffnungsvolle der Geschichten. Wegener hat zwar Erzählungen über Flucht und Vertreibung zusammengetragen. Aber es sind auf eine Art auch häufig Rettungsgeschichten, in denen der Glaube über die schwere Zeit hinweg geholfen hat. Einem Ehepaar rettet die Bibel sogar buchstäblich das Leben. Sie werden von einem Soldaten mit Maschinengewehr nicht erschossen, weil sie sich mit der Heiligen Schrift als Christen ausweisen können. Die beiden legten daraufhin ihre alten Jobs ab und begannen in christlichen Hilfsorganisationen zu arbeiten. In Kurdistan betreiben sie heute die einzige christliche Radiostation der Region.
Wegener betrachtet das Buch als Dienst an den dort lebenden Verfolgten. Auch wenn die vielen traurigen Schicksale das Herz und den Verstand müde machten, habe es jede einzelne Geschichte verdient, gehört zu werden. Beobachtungen der Autorin in Tagebuchform wechseln sich mit Lebensgeschichten ab. Aus neutralen Nachrichtenzeilen über Flüchtlingsströme werden so Menschen aus Fleisch und Blut. Es ist schmerzvoll zu lesen, wie eine Frau davon erzählt, als der IS nachts in ihr Haus einbricht. Die Männer drohen damit, die Kinder zu rauben, wenn kein Lösegeld bezahlt wird. In einem Nebensatz erwähnt die Frau, dass einige Familien nicht das nötige Geld besaßen. Kinder seien entführt und zu IS-Kriegern gemacht oder zum „Vergnügen“ der Söldnertruppe eingesetzt worden.
Lichter weiter scheinen lassen
Das Buch „Entkommen aus dem Netz des Jägers“ schildert die Drangsalierungen und Enteignungen der irakischen Christen. Die Autorin sieht im optimistischen Umgang der Verfolgten mit ihren Schicksalen den eigenen Glauben neu eingeordnet. „Wie kraftvoll das Evangelium ist, kann man vielleicht gerade hier im Irak empfinden, wo Gewalt, Mord und Hass eher die Regel als die Ausnahme sind“, schreibt sie. Der christliche Anker dieser Menschen scheine durch Krieg, Hunger und Leid nur noch stärker im Grund befestigt worden zu sein. Die Autorin nennt ihre Protagonisten deshalb „Riesen des Glaubens“.
Gewinnbringend ist auch das einleitende Interview des Buches mit dem Chef einer im Irak ansässigen Hilfsorganisation, Emanuel Youkhana. Der Priester, dessen Frau und vier Kinder in Deutschland leben, ordnet die Irak-Krise zeithistorisch ein und liefert Hintergrundinformationen. Die Kurden im Norden, die von den Westmächten unterstützt werden, bezeichnet er als eine „Insel der Hoffnung“ in der Region. Youkhana sagt weiter, dass die Christen im Irak lernen müssten, unter dem Islam zu leben, während es in Europa darum ginge, mit dem Islam zu leben: „Wir müssen unsere Lichter weiter scheinen lassen, was sonst ist denn unser Auftrag als Christen?“ Andrea Wegener hat ein bewegendes, zum Nachdenken anregendes Buch geschrieben, das den eigenen Blick auf die Welt schärft. (pro)
Andrea Wegener: „Entkommen aus dem Netz des Jägers“, Verlag der Francke-Buchhandlung GmbH, 158 Seiten, 12,95 Euro, ISBN: 978-3-86827-563-6
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