„Die Religionsfreiheit des Artikels 4 Grundgesetz ist Ergebnis einer jahrhundertealten Entwicklung seit dem Dreißigjährigen Krieg und hat sich bewährt“, sagte Kirchhof der FAZ. Sie sei bisher „an einfach gelagerten Fällen von der Rechtsprechung ausgelegt worden“, wo es um Spendensammlungen oder Kirchensteuern ging. „Terrorismus war kein Thema. Heute hat sich die Bedrohungslage geändert.“ Daher müsse man darüber nachdenken, ob Änderungen auch am Gesetz sinnvoll sind.
Die „Gretchenfrage“ des Artikels 4 des Grundgesetzes bleibe, was Religion eigentlich ist, sagte Kirchhof. „Der Staat darf sie nicht verbindlich für seine Bürger beantworten, denn der Schutz dieses Grundrechts gilt gerade der persönlichen Weltanschauung des Einzelnen. Andererseits darf niemand Religionsgebote vorschützen, nur um kriminelle Taten zu begehen.“
Man dürfe den Islam nicht unmittelbar mit Terrorismus verbinden. „Er ist in erster Linie eine friedliche Religion.“ Kirchhof fügt hinzu: „Zu denken gibt aber, dass aus seinen Kreisen – und sei es nur in vordergründig religiöser Motivation – der Terror entsteht. Diesem Thema müssen sich alle, auch die Angehörigen dieser Religion, gesellschaftlich stellen.“
Der Islam werfe in Deutschland drei Grundfragen auf: „Wie steht der Islam zur Gleichberechtigung der Frau? Wie geht er mit Menschen um, die nicht seiner Glaubensrichtung angehören? Und: Hält er sich für legitimiert, an die Gestaltung des Staates bestimmte, theologisch motivierte Ansprüche zu stellen?“ Der Jurist sieht ein Problem darin, dass der Islam – anders als die großen Kirchen – keinen zentralen Ansprech- und Vertragspartner habe.
Verhüllung verhindert Kommunikation
Der bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU) wünscht sich weiter eine Diskussion über ein Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen Raum. Die Sorge, dadurch die Anhänger des Islam radikalisiert werden, weist er zurück. „Die Gefahr einer Radikalisierung lässt sich sicher nicht an der Burka messen. Die Burka ist aber letztlich Ausdruck eines politischen Islams. Und wenn wir von politischem Islam sprechen, dann sprechen wir von einer ideologisch-totalitären Weltanschauung, die die Sprache der Religion nutzt, um politische Ziele zu verfolgen“, sagte er. „Der politische Islam kann damit den Nährboden für terroristische Gewalt bereiten. Die Frage ist daher: Wo setzt der tolerante Staat eine Grenze?“
Kirchhof fügte hinzu: „Verhüllung verhindert Kommunikation. Verbote sind denkbar, teilweise vielleicht sogar notwendig. Aber sie bleiben nicht der Weisheit letzter Schluss. Religiöse Überzeugungen bilden sich in den Köpfen der Menschen. Deswegen erzeugen auf lange Sicht eher Bildung und Dialog ein friedliches Nebeneinander unterschiedlicher Religionen. Sie führen zu Toleranz und gegenseitigem Respekt.“ (pro)
Von: js