„Damit ist die US-Wahl entschieden“, hieß es bei uns gestern einhellig in der Redaktionssitzung. Schließlich hatte Popstar Taylor Swift kurz zuvor bekannt gegeben, Kamala Harris zu wählen. Natürlich war unsere Prognose scherzhaft gemeint, denn noch ist alles offen.
Daran hat auch die Debatte Mittwochnacht nichts geändert. Donald Trump war eben Donald Trump, selbstbewusst wie eh und je, mal machte er einen Punkt, mal log er, dass sich das Stehpult vor ihm bog. Wohl die absurdeste Aussage: Haitianische Migranten würden Hunde und Katzen der Einheimischen fangen und essen. Nein, dafür gibt es keinen Beleg, aber wen stört das schon.
Aber auch Harris sparte nicht mit deftigen Aussagen. Sie konnte vor allem dann punkten, wenn sie Trump persönlich angriff. Putin sei ein „Diktator, der Sie zum Mittagessen verspeisen würde“. Aber auch sie behauptete Dinge, die nicht wahr sind. Zum Beispiel, dass Trump die „höchste Arbeitslosenrate seit der Großen Depression“ hinterlassen habe – was nicht stimmt. Oder dass Trump ein bundesweites Verbot von Abtreibungen plane und dass jede Schwangerschaft oder Fehlgeburt dokumentiert werde.
Das Thema Abtreibung nahm mit am meisten Raum in der Debatte ein. Harris ist so wie ihr designierter Vize Tim Walz für ihre liberalen Ansichten bekannt. Sie will „Roe v. Wade“ wieder einführen, ein mittlerweile überholtes Urteil des Supreme Court, nach dem Abtreibungen Privatsache der Schwangeren sind, auch wenn es gewisse Einschränkungen gibt.
Trump hatte indirekt dafür gesorgt, dass „Roe v. Wade“ abgeschafft wurde, indem er konservative Verfassungsrichter einsetzte, die die Entscheidung 2022 aufhoben. Damit wurde das Thema Lebensrecht des ungeborenen Menschen eine Angelegenheit der Bundesstaaten. Das Resultat: Liberale Staaten wie Kalifornien oder New York behielten ihre liberalen Regelungen. In konservativen Staaten des Südens sind Abtreibungen weitgehend verboten.
Trump gab an, dass er das Thema Abtreibung nicht weiter angehen will. Deren Einwohner könnten dann selber über eine Regelung entscheiden. Harris will hingegen eine nationale – liberale – Abtreibungsgesetzgebung, nach der „Frauen über ihren eigenen Körper entscheiden können“.
Sachfragen spielen keine große Rolle
In Sachen Ukraine wiederholte Trump seine Ankündigung, den Krieg „an einem Tag zu beenden“, sogar noch vor Amtsantritt. Wie das geht, verriet er nicht. Denkbar wäre eine sofortige Einstellung jeder militärischen Unterstützung der Ukraine und Druck auf die NATO-Bündnispartner, dasselbe zu tun. Damit wäre der Weg frei für einen totalen russischen Sieg.
Der andere Weg wäre: Trump droht Putin damit, dass die USA in den Krieg eintreten, wenn Russland den Krieg nicht sofort beendet und Friedensverhandlungen beginnt, ohne danach weiter vorzurücken. Beide Optionen wären – gelinde gesagt – mit enormen Risiken verbunden. Und Trump müsste dafür bereits im Amt sein. Harris machte hingegen klar, dass sie ähnlich wie der Amtsinhaber Joe Biden an der Unterstützung der Ukraine festhalten will.
Doch Sachfragen spielten nur eine untergeordnete Rolle in dieser Debatte. Trump und seine Positionen kennt man eben, und auch die Politik der Demokraten ist kein Staatsgeheimnis – wobei Harris in vielen Sachfragen unkonkret blieb. Spannend war im Vorfeld eher die Frage, wie sich Harris, die Trump noch nie getroffen hatte, in einer direkten Konfrontation schlagen würde. Und da muss man sagen: Sie hat positiv überrascht. Harris wirkte gut vorbereitet, angriffslustig, und sie schaffte es immer wieder, Trump aus der Reserve zu locken. Sie hat bewiesen, dass sie auch ohne Teleprompter vor den Augen der Weltöffentlichkeit souverän auftreten kann.
Die ersten Blitzumfragen zeigten dann auch ein deutliches Bild: Harris gilt als Gewinnerin der TV-Debatte. Kein Wunder, dass das Team der Demokraten gleich im Anschluss eine weitere Debatte forderte.
Aber auch wenn die Berichterstattung in Deutschland teilweise etwas anderes vermittelt: Die Wahl ist noch völlig offen, Kamala Harris kann sich noch nicht von Donald Trump absetzen. Die nationalen Umfragen, in denen die Demokratin vorne liegt, sind irrelevant. Entscheidend sind die Zahlen des electoral college, die in den einzelnen Bundesstaaten vergeben werden. Die meisten Staaten sind so gut wie immer zuverlässig demokratisch oder so gut wie immer zuverlässig republikanisch. Eine Handvoll Staaten, die swing states, entscheiden daher die Wahl. Und hier liegen die beiden Kontrahenten weitgehend gleich auf. Noch ist also nichts entschieden. Daran ändert auch eine gewonnene TV-Debatte nichts.
Das lehrt auch die Vergangenheit: 2016 hatte Hillary Clinton gegen Donald Trump ebenfalls gewonnen. Aber eben nur im Fernsehen.