Über 200.000 Opfer von Missbrauch in Kirche

Wie eine aktuelle Studie nahelegt, sind über 200.000 Menschen in Deutschland von Kirchenmitarbeitern sexuell missbraucht worden. Die repräsentative Befragung zeigte, dass Missbrauch in der Evangelischen Kirche genauso oft vorkommt wie in der Katholischen.
Von Jonathan Steinert
In der Evangelischen und Katholischen Kirche wurden etwa gleichviele Menschen Opfer von sexuellem Missbrauch

114.000 Menschen haben in Deutschland in ihrer Kindheit und Jugendzeit sexuellen Missbrauch durch katholische Priester erlebt – und ebenso viele von evangelischen Pfarrern und anderen Kirchenmitarbeitern. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Jörg Fegert, dem Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Ulm, und Kollegen. Sie haben im vorigen Jahr 2.500 Personen dazu befragt und das Ergebnis auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet. Die Studie wird in der Fachzeitschrift Journal of Child Sexual Abuse veröffentlicht, die Tageszeitung Die Welt berichtete bereits darüber.

Zwischen den Konfessionen gab es demnach keine Unterschiede. Von den Befragten gaben gleich viele an, in einer katholischen oder evangelischen Einrichtung missbraucht worden zu sein. „Damit lässt sich nun das wahre Ausmaß des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger in den Kirchen besser einschätzen“, sagte Fegert der Zeitung. Die Studie, die die Katholische Kirche in Auftrag gegeben hatte, habe „tatsächlich nur die ‚Spitze des Eisbergs‘“ gezeigt.

Das hatten die Wissenschaftler der sogenannten MHG-Studie auch so festgestellt, nachdem sie ihre Erkenntnisse aus Kirchenakten zusammengetragen hatten. Nach ihren Angaben wurden zwischen 1946 und 2014 3.677 vor allem männliche Jugendliche von Klerikern missbraucht. Schon bei der Vorstellung der Studie im September vorigen Jahres sprachen die Wissenschaftler von einer „unteren Schätzgröße“, da zahlreiche Quellen nicht vollständig oder nicht vorhanden gewesen seien.

Einblick ins Dunkelfeld

Die jetzige Erhebung der Universität Ulm kommt auf eine dreißigmal höhere Zahl. Vor allem in konfessionellen Schulen kam es demnach zu Missbrauch. Bei massiven Formen des Missbrauchs, die Penetration mit einschließen, sind Priester als Täter überrepräsentiert. Allerdings seien tiefergehende Schlussfolgerungen aus den Daten nicht besonders belastbar, da dafür mehr Menschen hätten befragt werden müssen, geben die Autoren zu bedenken.

Die Studie liefere einen ersten Einblick in das Dunkelfeld des sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Kontext, schreibt die Welt. Fegert empfiehlt, dass beide Kirchen eine gemeinsame Studie in Auftrag geben, um genauere Erkenntnisse zu gewinnen.

Seit Montag tagt die Deutsche Bischofskonferenz zu ihrer Vollversammlung in Lingen. Dabei geht es auch um den sexuellen Missbrauch in der Kirche.

Von: Jonathan Steinert

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