Bill Hybels, der Gründer und leitende Pastor der Willow Creek Community Church in South Barrington bei Chicago, steht seit mehreren Jahren in Kontakt zu „U2“-Sänger Bono. „Als ich während einer Konferenz in Holland mit meiner Frau abends ins Hotelzimmer kam, war eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Ein gewisser Bono wollte uns sprechen. Doch um ehrlich zu sein: ich wusste damals nicht, wer Bono ist“, erzählt Hybels auf dem Willow Creek Leadership Summit. Mit seiner Frau Lynn habe er erst einmal „Google“ nach Bono befragt, dann ihre Kinder. Die waren ganz begeistert und erzählten, wer dieser Bono Vox eigentlich ist: einer der größten Rockstars der Welt. „Plötzlich galt ich als cooler Vater…“, sagt Hybels lächelnd.
Für den Leitungskongress, an dem in der vergangenen Woche in South Barrington bei Chicago mehr als 7.000 Christen teilnahmen, hatte sich der Willow Creek-Gründer zu einem Interview mit dem „U2“-Sänger getroffen. Es ging um das Thema AIDS, um Hilfe für HIV-Infizierte und Arme. Ein Thema, das Bono Vox schon viele Jahre umtreibt. Und das für ihn eines der wichtigsten und ein sehr ernstes Thema ist.
Das Elend gesehen
Seit Bono 1985 mit seiner Frau Alison Hewson Einrichtungen des Hilfswerkes „World Vision“ in Äthiopien besucht hat, dort dem Elend begegnet ist, lässt ihn der Gedanke nach Gerechtigkeit und Hilfe für die Armen und Kranken nicht mehr los. Auch darüber spricht Bono im Interview mit Hybels. „Auf dem Rückflug sagte meine Frau zu mir: ‚Was machen wir jetzt mit dem, was wir gesehen haben? Wir werden es vergessen, weil wir nicht jeden Tag an die Armen denken können'“, erinnert sich der Sänger. Doch beide haben die Bilder des Leids nicht vergessen. Im Gegenteil. Bono schreibt ein Lied über seine Eindrücke: „Where the Streets have no Name“, 1987 veröffentlicht.
Wie kaum ein anderer Weltstar reist er unermüdlich zu den Einflussreichen oder Geldreichen: Bono fordert Unterstützung für Afrika, gründet mit Freunden Organisationen und Netzwerke, wie im Jahr 2002 DATA („Debt, AIDS, Trade, Afrika“), setzt sich etwa in der ONE Campaign dafür ein, dass zusätzlich ein Prozent des Staatshaushaltes von westlichen Ländern für die Armen bereitgestellt wird. Hinzu kommen seine Auftritte bei „Band Aid“ oder „Live 8“, den Rockkonzerten internationaler Gruppen und Sänger, die zur Bekämpfung von Armut und Krankheit auftreten.
Kritik an Kirche
Schon seit seiner Kindheit beschäftigt sich der Sänger mit dem christlichen Glauben. Jedoch mehr zwangsläufig. Wer, wie Bono, in der irischen Hauptstadt Dublin geboren und aufgewachsen ist, erlebt in den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken im Nordirland-Konflikt nicht gerade ein Abbild des auf Liebe und Gnade gebauten Christentums. Natürlich, obwohl sich in diesem Konflikt zwei Konfessionen gegenüberstehen, hat er doch keinen religiösen Hintergrund. Im Nordirland-Konflikt kämpfen Teile der irischen Bevölkerung (Katholiken) gegen Anhänger Großbritanniens (Protestanten) und um politische Macht.
„Ich hatte nie ein Problem mit Christus, aber die Christen sind oft das Problem“, sagt Bono denn auch bis heute. Und wohl auch, weil seine Mutter Protestantin und sein Vater Katholik war – auf eine Konfession festlegen wollte er sich nie. Aber zu Jesus Christus bekennt er sich: „Jesus war entweder ein Niemand, oder der, als der er sich bezeichnet hat. Ich glaube an Letzteren“, sagt Bono. Zu den Kirchen hat Bono bis heute ein eher distanziertes Verhältnis. Das liegt auch daran, dass „die Kirche“ nach Ansicht des Musikers AIDS-Kranke eher verurteilt, als ihnen zu helfen. Dieses Verhalten kritisiert der Musikstar massiv, es schreckt ihn geradezu ab. „Christen, ihr habt eine große Verantwortung in dieser Welt. Christus würde es nicht wollen, dass sich die Kirche von der AIDS-Krise abwendet“, meint Bono.
Der Konflikt, der Bono heute umtreibt, ist der zwischen Dritter Welt und reichen Industrienationen. „Dass es Arme und Reiche auf der Welt gibt, müssen wir wohl hinnehmen. Die Frage ist aber, ob das so bleiben muss“, sagt Bill Hybels. Den Willow Creek-Gründer hat Bono damals im Hotel denn auch nicht aus reinem Zeitvertreib angerufen. Er wollte sich mit Hybels über eine brisante Frage unterhalten: Was unternimmt eigentlich Ihre Kirche, Herr Hybels, zur Bekämpfung der Armut und gegen die Ausbreitung der AIDS-Epidemie?
Nächstenliebe ist ein Befehl, kein Ratschlag
Es ist eine Frage, über die Bill Hybels bis dahin noch nicht konkret nachgedacht hatte. Das gibt er offen zu. Ihm waren die Dimensionen von AIDS und Armut bis dato auch nicht allzu gegenwärtig – wie wohl den wenigsten Christen bis heute. „Alle 24 Stunden sterben heute 8.000 Menschen an AIDS, 11.000 infizieren sich neu, im Jahr 2010 wird es weltweit 150 Millionen HIV-Infizierte geben“, sagt Hybels.
Nicht allein diese Zahlen, sondern auch das Gebot der Nächstenliebe und die Verpflichtung der Christen für die Armen und Benachteiligten hätten ihn dazu gebracht, sich mit seiner Gemeinde für AIDS-Kranke und Hungernde in Afrika zu engagieren. Mittlerweile hat Bill Hybels das weltweite Engagement gegen Armut und Krankheit zu einem wichtigen Bereich in seiner Gemeinde gemacht. Die Teilnehmer des Leitungskongresses sollen es ihm gleichtun. „‚Liebe Deinen Nächsten‘ ist kein Ratschlag, sondern ein Befehl.“
Vor und nach dem Interview werden Konzertmitschnitte gezeigt, ein Auftritt von „U2“. Bono singt „Where the Streets have no Name“, seine Fans singen mit, jubeln. Er singt von den Straßen, in denen die vielen Unbekannten wohnen, die niemanden interessieren. Zwischen den Strophen sagt er: „Was kann ich Gott für den Segen zurückgeben, den er mir hat zukommen lassen? Ich erhebe den Kelch des Heils – und trinke auf Gott!“ Wer die Worte nachlesen will, muss die Bibel aufschlagen – und Psalm 116 lesen.
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Ein Mitschnitt des Gesprächs zwischen Bill Hybels und „U2“-Sänger Bono Vox wird exklusiv auch auf dem Willow Creek Leitungskongress in Bremen gezeigt, der vom 9. bis 11. November 2006 stattfindet. Weitere Informationen: www.willowcreek.de