"Ach, manchmal wäre es schon ganz schön, wenn man wüsste, dass es ihn wirklich gibt, diesen Gott", zitiert die FAZ den Münsteraner Hauptkommissar Thiel und bezeichnet die Äußerung als "paradigmatisch für die Haltung aller ‚Tatort‘-Kommissare gegenüber jeglicher Transzendenz". Deutlich werde dies auch an den Worten von Hauptkommissar Flemming in der "Tatort"-Folge "Heilig Blut" (WDR 1996): "In meinem Beruf reicht Glauben eben nicht aus."
Protestantismus ist weniger spektakulär
Die FAZ-Autorin Sinem Derya Kilic beobachtet darüber hinaus, dass insbesondere der Katholizismus im "Tatort" dargestellt wird "als etwas von der Norm Abweichendes, als fremde Kultur". Dies sei insofern nicht ungewöhnlich, als der "Tatort" sich gern Themen jenseits des normalen Alltags widme. Kilic bezieht sich auf eine Untersuchung der Germanistin Claudia Stockinger, die in einem Aufsatz in der Zeitschrift "Stimme der Zeit" dokumentiert, dass gerade der Katholizismus zu diesen abweichenden Sujets gezählt wird. Während der Protestantismus meist keine eigenständige Rolle im "Tatort" spiele, sei dies beim Katholizismus seit den neunziger Jahren zusehends der Fall. Als möglichen Grund dafür nenne Stockinger, dass es sich beim Protestantismus um ein "weniger spektakuläres Sujet" handele. "Betrachtet man den ‚Tatort‘ als Seismographen, so verrät diese Asymmetrie einiges über die heutige Sichtweise auf die beiden großen christlichen Konfessionen", schließt Kilic.
Nicht nur das, der Zuschauer erhält so auch die Möglichkeit, etwas über den Katholizismus zu lernen. Als Beispiele führt die Autorin das Klosterleben an, mit dem der Zuschauer in einer "Tatort"-Folge vertraut gemacht wurde. Auch das Beichtgeheimnis oder der Zölibat sind in verschiedenen Sendungen erklärt worden. Diese "doppelte Aufklärung" habe in einem realistischen Rahmen zu geschehen, wobei keine metaphysischen Erklärungen bemüht werden dürften, fordert Kilic. Dieses Realismus-Gebot werde jedoch, handele es sich um religiöse Themen, bisweilen unterlaufen: "So bleibt in der Folge ‚Rabenherz‘ (WDR 2009) die Tatsache, dass die katholische Krankenschwester Everbeck selbst Todkranke per Handauflegung heilen kann, als unerklärlicher Rest in der Fallbearbeitung zurück". Zudem werde der Katholizismus oft als Form regionaler Identität gezeichnet, wenn etwa die Dominanz des Katholischen in Münster durch exzessives Glockengeläut Gehör finde.
So gelinge es, mit dem Soziologen Niklas Luhmann gesprochen, "die in der Transzendenz liegende unvertraute Welt in der vertrauten Welt erscheinen zu lassen", schreibt Kilic. Dies geschehe stets ohne eine auktoriale Deutung, also ohne, dass der Autor die Wertung vorgibt. Schlussfolgerungen blieben dem Zuschauer überlassen. Das nötige Fingerspitzengefühl sei meist vorhanden. Wie sehr diese Sensibilität gerade auch bei anderen Religionen geboten ist, macht die Autorin anhand von "Tatort"-Folgen über die Aleviten und über Juden deutlich. Während zu hoffen bleibe, dass die Darstellung der Aleviten "künftig differenzierter erfolgen wird", habe der "Tatort" beim Judentum dazu gelernt und in der jüngst ausgestrahlten Sendung "Ein ganz normaler Fall" (BR 2011) mehr Geistesgegenwart als in früheren Folgen gezeigt. (pro)