„Die Liebe ist nicht totzukriegen“
Selbst als Benno vor Tores Augen die Nachbarskatze ertränkt oder ihn gemeinsam mit Astrid dazu zwingt, ein vergammeltes Hühnchen zu essen, verlässt Tore die Familie nicht. Zum einen aus Sorge um Sanny, zum anderen aus dem tiefen Glauben heraus, dass er an diesem Ort eine Mission zu erfüllen hat. „Die Liebe ist nicht totzukriegen“, hört der Zuschauer ihn beten. Und sieht ihn zugleich im Leid ausharren und körperlich daran zugrunde gehen. Die während des Drehs erst 30-jährige Regisseurin Katrin Gebbe hat den Film in drei Kapitel unterteilt, die angesichts der Geschichte makaber wirken könnten: Glaube, Liebe, Hoffnung. Diese Komponenten zeigen sich ausschließlich in der Person Tore und seiner Beziehung zu Sanny. So erhöht Gebbe den eigentlich eher seltsam und verloren wirkenden Tore zur Lichtfigur, die ihre persönliche Passion durchleidet, um der Freundin das Schlimmste zu ersparen. „Wenn sie Schiss kriegen, fangen die Leute immer an zu beten“, wirft Benno ihm entgegen. „Wenn ich nicht glauben könnte, hätte ich gar nichts“, sagt Tore an anderer Stelle und lässt Benno immer wieder durch seine bedingungslosen Ideale auflaufen. Obwohl dieser dem dürren Tore körperlich überlegen ist, ihn immer wieder misshandelt und ihn am Ende sogar zum Anschaffen zwingt, bietet ihm der Christ die Stirn, beflügelt durch reines Gottvertrauen.Besessen von einer Mission
Doch Gebbe zeigt auch eine andere, dunkle Seite bedingungsloser Gottesliebe: Sie lässt Tore über seine Kräfte hinaus erdulden, was er als Gottes Willen betrachtet. Mehrmals hat er die Chance, sein Elend hinter sich zu lassen. Doch Tore entscheidet sich immer wieder dagegen. Er ist besessen von der Idee, Bennos Hass durch Liebe zu besiegen und bringt den Zuschauer so in eine seltsame Zwickmühle: Soll er den Jesus Freak für seine Kraft bewundern? Oder ihn für sein ewiges Dulden verurteilen? Gebbe selbst hat gesagt, sie habe der Bösartigkeit Bennos etwas Schönes entgegensetzen wollen und sich deshalb dafür entschieden, Tore als gläubigen Menschen zu zeichnen. Inspiriert wurde sie durch einen wahren Fall solcher Sklaventreiberei in Deutschland, die religiöse Komponente hat sie erfunden. Dennoch ist bemerkenswert, wie exakt sie Lebensgefühl und Lifestyle der Jesus Freaks nachempfindet. Sätze wie: „Ich lass mich nicht mit Alkohol volllaufen, ich füll mich lieber mit dem Heiligen Geist ab“, klingen zwar leicht überzogen, sind aber gerade in der Anfangszeit der Bewegung hier und da gefallen. Die Regisseurin hat in Zusammenarbeit mit dem Kleinen Fernsehspiel des ZDF ein maßgenaues Meisterwerk geschaffen, das nicht ohne Grund mehrfach ausgezeichnet wurde. Manch einer mag Tores Nichtflucht aus der Familie als unrealistisch empfinden. Wer das tut, sollte sich vor Augen führen, wie viele Menschen, auch in Deutschland, in gewalttätigen Beziehungen ausharren – obwohl sie jederzeit gehen könnten. (pro) „Tore tanzt“ läuft in der Nacht von Montag auf Dienstag, den 30. Juni, um 00.10 Uhr im ZDF und am Freitag, den 3. Juli, um 22 Uhr bei ZDFkultur. Ab 16 Jahre, 105 Minuten, Deutschland 2013
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