„Jede Hexe braucht einen Altar“, sagt die junge rothaarige Frau in ihrem Video auf Tiktok. Unter dem Namen „astralwitch“ stellt sie regelmäßig kurze Videos ins Netz. Anleitungen für Hexen und solche, die es werden wollen. „Man braucht Platz für seine Utensilien: Fläschchen mit Tinkturen, Kerzen, Kristalle, ein Zauberstab und natürlich ein Buch mit Zaubersprüchen.“ Die „Astralwitch“, also die „Astral-Hexe“, ist 25 Jahre alt und Teil eines Booms auf Social-Media-Plattformen wie Instagram, Youtube oder Tiktok, der das Hexentum in unsere Zeit bringt und wiederbelebt. Die Videos haben etwas von den üblichen normalen Anleitungen zum Schminken oder zum Einpflanzen von Geranien – nur, dass es hier um Zaubersprüche, Pentagramme, Tarot-Karten, Glück, Energie und Flüche geht.
Der „Astralwitch“ folgen auf dem Videoportal Tiktok, das vor allem von jüngeren Menschen so alltäglich genutzt wird wie früher das Fernsehen, über 400.000 Personen. Ihre Videos haben mehr als zehn Millionen Likes. Unter Hashtags wie #hexenkunst, #witchfluencer, #instahexe oder #instawitch teilt eine wachsende Zahl von modernen Hexen ihr angebliches Wissen über das Magische im Internet. Im üblichen Stil der jugendlichen Plattformen sind die Videos kurz, hektisch zusammengeschnitten, mit poppiger Musik unterlegt und in einem kumpelhaften Tonfall.
Die „Astralwitch“ stattet Kopftücher mit bestimmten Schutzzaubern aus, legt Tarot, sie erklärt den Unterschied zwischen „echten“ und „falschen“ Kristallen. Die Userin „hagzissa“ teilt ihr Rezept für ein „Schutzsalz“ (Salz, Rosmarin, Eisenkraut, Beifuß, Salbei, Lorbeer). Die „hexe_annie“ kommt nach eigener Aussage „aus der Pflege“ und interessiert sich daher „sehr für die alten Heilkünste“, kürzlich habe sie die „Human-Energetik“ für sich entdeckt. Sie zeigt wie viele andere „Witchfluencer“ ihren Altar, ihrer ist mit Geldmünzen, Klee und einem Sonnensymbol belegt. „Ein Geld-Zauber“, erklärt Annie, denn: „Ich brauche dringend Geld.“ Auch männliche Hexer gibt es, der „Prinz der Magie“ etwa hat über vier Millionen Likes. In einem Video flippt er völlig aus, wie andere Jugendliche beim Erscheinen eines neuen Computerspiels. Bei ihm geht es aber darum, dass sich bald „Jupiter und Uranus treffen“. Spirituell werde da „richtig krass was passieren!“, schreit der junge Magie-Prinz mit dem stechenden Blick in seine Handy-Kamera.
Geschäft mit der Hexerei
Die Grenzen verschwimmen: ob mittelalterliche Symbole, Esoterik, Astrologie, Voodoo, Feminismus oder Zaubertränke. Fast immer stehen kitschige oder ungewöhnlich geformte Kerzen herum, es geht um Wohlstand, Glück, Energie, aber auch um einen feministischen Anspruch. Es gibt in den Videos Tipps für die Hexe von heute: Beim Tedi gibt es Bindfäden für die Knotenmagie. Oder: Wie man sich an jemandem rächt (den Namen der Person auf einen Zettel schreiben, Pfeffer darüberstreuen). Zimt in die Luft blasen, das bringt Wohlstand! „Paul Wizdom“ erklärt, wie ein „Elixier der Schönheit“ zubereitet wird, mit einem Topf und einer Herdplatte, Dill, Schafgarbe und anderen Kräutern, Zaubersprüche nicht zu vergessen.
Und immer wieder Botschaften wie die, dass sich eine Hexe nicht unterordnen sollte. Die „Witchtokerin“ sagt ihren Followern, man solle aufhören, immer hilfsbereit, freundlich und für andere da zu sein. „Akzeptiere dich und deine Gefühle, behandle dich selbst wie deinen besten Freund.“ Häufig sollen über die Kanäle aber auch Produkte verkauft werden, Bücher, Hexen-Utensilien und Talismane. Die Nutzerin „hexenhausmagie“ bringt in ihrem Online-Shop Sets zum „spirituellen Reinigen des Hauses“ an die Hexe und den Hexer (24 Euro), einen Hexenkessel (23 Euro) oder einen Rosenkranz mit Freimaurersymbolen (140 Euro).
Seit vielen Jahren boomt das moderne Hexentum auf dem Büchermarkt. Ob nun das „Handbuch für Hexen. Anleitung zur magischen Praxis“, die „5-Minuten-Magie für die moderne Hexe“, das „Zauberbuch für vielbeschäftigte Hexen!“, oder „Das große Buch der Zaubersprüche“ mit „150 Zaubersprüchen und magischen Ritualen“ – in den vergangenen Jahren ist geradezu eine eigene Sparte im Buchmarkt entstanden. Neu ist das Wirken der selbsternannten Nachwuchshexen in sozialen Netzwerken wie Tiktok und Co.
Die 30-jährige Shisha Rainbow, die sich moderne Hexe nennt, empfing im Sommer 2023 einen Reporter des Magazins „Der Spiegel“ in ihrer Wohnung in Berlin und zeigte ihm ihren Broterwerb: Sie ruft den „Torwächter des Nordens“, legt einen Schutzzauber auf eine Kerze, die sie dann verkauft, oder führt Liebeszauber durch. Für „Healing Sessions“ berechnet sie 299 Euro, über Whatsapp hilft sie bei psychischen Problemen, sie betreibt sogar eine eigene Zauberschule. Die „Hexenausbildung“ kostet 2.222 Euro, am Ende gibt es ein „Hexenzertifikat“. Auf Tiktok folgen Rainbow mehr als 132.000 Abonnenten. „Das Pentagramm spielt dabei immer wieder eine Rolle, das Zeichen für den Teufel“, stellt der „Spiegel“-Autor fest. Er konstatiert: „Moderne Hexen erobern Jugendliche im Internet.“
Der Text verweist auch auf eine Studie aus dem Jahr 2022, der zufolge 40 Prozent der Menschen in 95 Ländern glauben, dass es Personen gibt, die „Flüche oder Zaubersprüche aussprechen können, die dazu führen, dass jemandem Schlimmes widerfährt“. Nur neun Prozent der Befragten in Schweden glauben an Hexerei, in Tunesien sind es 90 Prozent. In Deutschland lag der Anteil bei etwa 13 Prozent und damit vergleichsweise niedrig. Russland sticht auf dem europäischen Kontinent hervor.
Die Studie, durchgeführt von der privaten methodistischen American University in Washington, DC., untersuchte auch, wie es zum Hexenglauben kommen kann. „Er ist wesentlich weiter verbreitet in Ländern mit schwachen Institutionen und geringer Qualität der Regierungsführung“, heißt es im Bericht. „Der Glaube an Hexerei geht einher mit der Erosion des Sozialkapitals, die sich in einem geringen Maß an Vertrauen äußert und anderen asozialen Einstellungen und Verhaltensweisen.“ Menschen in Ländern mit weiter verbreitetem Hexereiglauben zeigten ein geringeres Maß an Lebenszufriedenheit und ein vermindertes Gefühl der Kontrolle über das eigene Leben. Bewohner von Ländern mit weit verbreitetem Hexenglauben haben laut dem World Happiness Report (WHR) 2019 eine geringere Lebenszufriedenheit und schätzen ihren Gesundheitszustand eher als schlecht ein.
Moderne Hexen wollen sichtbar sein
Den Hype der Instagram- und Tiktok-Hexerei hat auch Bernhard Lauxmann beobachtet, wissenschaftlicher Referent für Esoterik und Verschwörungserzählungen an der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW). „Durch die sozialen Medien verändert sich in diesem Bereich gerade sehr viel“, sagt der evangelische Theologe. Der 35-Jährige macht eine Kombination aus verschiedenen Bedürfnissen als Grund für den Boom aus: „Öko-Spiritualität, Naturverbundenheit und der Wunsch einer Ermächtigung als Frau kommen hier zusammen.“ Er betont, dass es hier aber strenggenommen nicht um Okkultismus gehe. Denn der agiere ja im Geheimen; im modernen Hexentum indes bemühe man sich geradezu um Sichtbarkeit, und das begleitet mit ein wenig Humor, Selbstironie und lustigen Memes.
„In der Corona-Zeit ist das Thema rechte Esoterik noch deutlicher aufgekommen“, sagt Lauxmann gegenüber PRO. „Klassisch hat man die Esoterik eher im links-grünen Bereich verortet, dabei sind esoterische Praktiken in beide politische Richtungen anschlussfähig.“ Er sieht dort eine verbreitete Skepsis gegenüber staatlichen Akteuren und einen Hang zu alternativ-medizinischen Behandlungsformen. „Viele verknüpften Kritik gegenüber der Impfung mit spirituellen Motiven“, so der Theologe.
Superstark oder verletztlich
Er fasst die moderne Hexenbewegung in drei Linien zusammen: eine öko-spirituelle Linie, die „durchaus kippen“ könne in ein politisch-rechtes Milieu. Zweitens eine magische, schöpferische Linie – hier sei nicht die alte Kräuterhexe das Ideal, sondern die „Hagazussa“, die „magische Grenzgängerin“, welche die Ordnung durcheinanderbringt, sagt Lauxmann. Und drittens die emanzipatorisch-feministische Linie, bei der das Ideal die unbesiegbare, mächtige Frau ist. Zentral sei fast immer das überstarke Subjekt, das den Willen anderer durch Magie zu den eigenen Gunsten verändern kann, erklärt der Experte. Hier gebe es Überschneidungen zu den modernen Verschwörungstheorien, denn diese vermuteten ebenfalls starke Akteure im Hintergrund. „Der Verschwörungstheoretiker partizipiert an diesem starken Subjektstatus, denn er weiß immerhin um die Machenschaften.“
Im Christentum hingegen herrsche das Bild vom verletzlichen Menschen vor, dessen Handlungsmacht begrenzt ist. „Christen legen das Gute wie das Schlechte in Gottes Hand“, sagt Lauxmann. „Im Christentum gibt es die magische übernatürliche Beeinflussung nicht, wie sie von modernen Hexen praktiziert wird. Da ist die Bibel vergleichsweise eindeutig. Außerdem setzen Christen nicht auf die Verklärung alter Traditionen, sondern auf die Tradierung des Evangeliums.“
Die Bibel bezieht sich durchaus auf Hexerei, die einer Anbetung fremder Götter gleichkommt. „Eine Zauberin sollst du nicht am Leben lassen“, befahl Gott den Israeliten laut 2. Mose 22,18. Luther hielt nur zu diesem Vers im Jahr 1526 in Wittenberg eine Predigt. „Zu seiner Zeit redete man wie selbstverständlich von Zauberei, wenn etwa ein Kind verstarb oder ein Unglück im Bergwerk des Vaters geschah“, stellt der evangelische Pfarrer Heiko Kuschel in einer Seminararbeit fest. „Dass es Hexen gab, war für ihn, wie wohl für fast alle seiner Zeitgenossen, ein selbstverständliches Faktum.“ Im 16. und 17. Jahrhundert wurden bei Hexenprozessen in Europa rund 80.000 Hexen hingerichtet. Auch Luther forderte einige Jahre früher strikt die Todesstrafe für Hexen.
Gott gibt laut Bibel auch den Grund dafür an, warum sich Menschen von Hexen und Magie fernhalten sollten. Sein Exklusivitätsanspruch ist groß, wie ein Ehemann möchte er nur eine Liebe neben sich gelten lassen. „Ich bin der Herr, dein Arzt“, sagt er (2. Mose 15,26). Gott will als alleiniger Retter verherrlicht werden. Alles, was geschieht, läuft laut der Bibel auf eines hinaus: die Verherrlichung Gottes. Wer aber auf einen Helfer vertraut, der sich gegen Gott gestellt hat oder ihm gar ebenbürtig sein möchte, verhöhnt ihn und befindet sich auf dem Holzweg. Ob nun in Büchern, auf TikTok oder bei Instagram, vielleicht breiten sich Esoterik, Magie und modernes Hexentum besonders in einem geistlichen Vakuum gut aus.
Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 03/2024 von PRO – das christliche Medienmagazin. Sie können das Heft kostenlos hier bestellen.