Thomas von Aquin: Glauben ist vernünftig

Thomas von Aquin verband Glaube und Vernunft miteinander. Der Todestag des bedeutendsten Theologen und Philosophen des Mittelalters jährt sich in diesem Jahr zum 750. Mal. Pünktlich dazu erscheint eine kleine Einführung.
Von Jörn Schumacher

Philosophie und Theologie stehen nicht im Widerspruch. Sie sind eigenständig und ergänzen sich. „Die Philosophie ist die Dienerin der Theologie“, war der italienische Dominikanermönch und Priester überzeugt, der zu den bedeutendsten Theologen und Philosophen des Mittelalters gerechnet wird, und der vor 750 Jahren, am 7. März 1274, im Alter von nur 49 Jahren starb. Die Übersetzung von Aristoteles‘ Texten brachte Thomas von Aquin erstmals dazu, Glaube und Vernunft zu verbinden. Die höchste Form ist bei ihm Gott als Verursacher (causa efficiens) und als Endzweck (causa finalis) der Welt.

Fast ein Jahrzehnt lang schrieb von Aquin an seinem Hauptwerk, der „Summa theologiae“, das er bescheiden als Lehrbuch für Studienanfänger bezeichnete, und das zwei Millionen Wörter umfasst, aber unvollendet blieb. Seine Werke, Abhandlungen über Geist und Materie, Schöpfung und Erlösung, Gott und die Welt, umfassen in der deutschen Gesamtausgabe 32 Bücher. Es geht bei dem Scholastiker um Fragen wie „Was ist Wahrheit? Hat der Mensch einen freien Willen? Kann das Gute Ursache des Schlechten sein? Ist die Seele gemacht oder stammt sie von der Substanz Gottes selbst?“

Der katholische Theologe, Priester, Kirchenhistoriker und Hochschullehrer Stefan Samerski hat in seinem jüngst erschienenen Buch „Der Theologe als Philosoph“ anhand der Biografie die Theologie und Philosophie von Thomas von Aquin nachgezeichnet. Das Buch mit nur 48 Seiten erschien im Februar in der Reihe „Philosophie für unterwegs“ des „Mitteldeutschen Verlages“.

Im Interview mit PRO erklärt Samerski, wieso die Vernunft bei Thomas so wichtig war, warum seine Theologie teilweise geradezu protestantisch anmutet, und was der mittelalterliche Scholastiker heutigen Lesern noch zu sagen hat.

PRO: Eine besonders große Aufmerksamkeit erfährt der 750. Todestag von Thomas von Aquin nicht gerade, oder?

Stefan Samerski: Naja, ich wundere mich schon ein wenig: Mein Buch war noch nicht erschienen, da bekam ich schon zwei Interview-Anfragen. Auch im Bekanntenkreis merke ich, dass die Logik von Thomas von Aquin für viele sehr interessant ist. Aber seit etwa den 50er Jahren ist er aus der philosophisch-theologischen Aufmerksamkeit in der Tat ein wenig herausgeraten, und er wirkt heute schon fast exotisch. In meinen Studienzeiten galt er nicht mehr als Grundlage für die kirchliche Dogmatik. Aber vielleicht ist dieser 750. Todestag ja gut für eine Art Revival. Denn dem Menschen in der heutigen säkularisierten Gesellschaft hat er in der Sinnfrage viel zu sagen.

Stefan Samerski: „Thomas von Aquin. Der Theologe als Philosoph“, aus der Reihe „Philosophie für unterwegs“, Band 20. „Mitteldeutscher Verlag“, 48 Seiten, 8 Euro, ISBN 9783963118258

Thomas von Aquin hat unfassbar viel geschrieben. Seine Werke umfassen in der deutschen Gesamtausgabe 32 Bücher. Wie viel davon haben Sie gelesen?

Selbst sein Hauptwerk, „Summa Theologiae“, ist noch nicht vollständig auf Deutsch erschienen. So etwas liest man auch nicht von Deckel zu Deckel, sondern man widmet sich meistens nur speziellen Einzelfragen.

„Dem Menschen in der heutigen säkularisierten Gesellschaft hat Thomas von Aquin in der Sinnfrage viel zu sagen.“

Es geht bei ihm ja um die ganz großen Fragen, um Gott und das Sein. Ist es schwierig, ihn zu lesen?

Thomas selbst hat gesagt, seine „Summa Theologiae“ sei für die „Anfänger in der Theologie“ gedacht. Das sieht man heute nicht mehr so. Ein Anfänger der Theologie wird sich zunächst kaum darin zurechtfinden wegen der Begrifflichkeit, die man erst einmal verstehen muss. Thomas verwendet spezielle Begriffe wie Gott, das Sein, Sünde und so weiter, die er teilweise aus der Philosophie des Aristoteles übernimmt. Dann muss man sich Schritt für Schritt durch einen Text kämpfen; wenn man irgendwo an einer logischen Verknüpfung aussteigt, hat man Schwierigkeiten, weiterzukommen. Aus A folgt B, und aus B folgt C… Das ist eine Herausforderung, aber auch ein Gewinn. Denn hierbei gibt es keine Wiederholungen.

Wie sind Sie persönlich auf Thomas von Aquin gekommen?

Im Studium habe ich ein Philosophie-Seminar zu seinen „Quinque viae“ („Fünf Wege“) besucht, seine sogenannten Gottesbeweise. Später dann fand ich ihn immer spannender, weil er Dinge auf den Punkt bringen kann. Man hat in kurzen Formulierungen das Wichtigste der Theologie beisammen. Und er war über Jahrhunderte für die Kirche verbindlich – und ist es eigentlich heute auch noch.

Kann man die Philosophie von Thomas von Aquin mit wenigen Sätzen zusammenfassen?

Es geht um den Glauben, der durch die Vernunft gespiegelt wird. Es gibt bei ihm also logische Argumente, die es vernünftig machen, an den christlichen Gott zu glauben, den Gott der Evangelien. Darum geht es ihm eigentlich immer.

Stefan Samerski promovierte 1991 und habilitierte sich 2000 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München im Fach „Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit“. Seit 2007 ist er außerplanmäßiger Professor für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der LMU. Die Priesterweihe empfing er 2009 im Regensburger Dom. Er lehrt als Gastprofessor an polnischen, römischen, österreichischen, italienischen, niederländischen und deutschen Universitäten und Forschungsinstituten.

 

Was kann er uns heute noch sagen?

Heutzutage wird er besonders in den USA von Wissenschaftlern wiederentdeckt. Weil er den Zugang über Logik und Vernunft bietet. Man muss nicht erst ein gläubiger, getaufter Christ sein und den Katechismus gelernt haben, sondern man kann von außen kommen und über die jedem zur Verfügung stehende Logik zu diesem Gott der Offenbarung des Christentums kommen. Das ist heutzutage in einer säkularisierten Welt für viele spannend. Im Grunde steht Thomas von Aquin gegen jeden Fundamentalismus: Man muss eben nicht alles mitgehen bis zum letzten Buchstaben, sondern die Vernunft beachten. Thomas von Aquin sagt zugespitzt: Die Bibel muss sich vor der Vernunft verantworten.

Ist der Glaube denn logisch, und wer nur lang genug nachdenkt, wird automatisch gläubig?

So umdrehen kann man das nur bedingt. Thomas von Aquin hatte eine große Wertschätzung gegenüber der griechischen Philosophie und zu Kirchenvätern wie Augustinus; für ihn kann die Philosophie durchaus Gott erkennen. Über die Philosophie kann man ihm zufolge zu einem Gottesglauben kommen. Die absolute Wahrheit ist für ihn am Ende der Christen-Gott der Erlösung aus der Bibel.

„Im Grunde steht Thomas von Aquin gegen jeden Fundamentalismus.“

Aber der letzte Schritt bleibt ein Schritt des Glaubens, und nicht der Vernunft? „Credo, quia absurdum est“, sagt Augustinus: „Ich glaube, gerade weil es absurd ist.“

Gott selbst ist natürlich keine Rechengröße. Bei Thomas‘ Gottesbeweis geht es um den „Unbewegten Beweger“, das erste Sein an sich, den Urgrund, der alles Sein hervorbringt. Das ist ein abstrakter philosophischer Begriff. Aber Thomas sagt auch: Der Gott der Christen ist ein personaler Gott, an den wir uns wenden können, und der uns in Jesus Christus als Mensch begegnet. Insofern müssen wir uns im letzten Schritt immer auch entscheiden, ja.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass der Römerbrief Thomas von Aquin besonders am Herzen lag, da er in ihm einen „grundlegenden Schlüssel für die Auslegung der Heiligen Schrift“ sah. Das klingt ja schon fast protestantisch!

Ja, natürlich! Für Martin Luther war der Römerbrief so etwas wie ein Erweckungserlebnis. Er leitete seine Rechtfertigungslehre aus dem Römerbrief ab. So wie für Luther war der Römerbrief auch für Thomas von Aquin sehr zentral für den christlichen Glauben.

Thomas von Aquin, gemalt von Sandro Botticelli

Hat Luther Thomas von Aquin gelesen?

Davon können Sie ausgehen. Schon allein, weil Luther Professor der Theologie war. Es gibt etliche Äußerungen des späten Martin Luthers, wo er sich immer stärker von Thomas von Aquin distanziert.

Immer wieder heißt es, Thomas von Aquin sei sehr dick gewesen. Sogar Luther machte sich in einer seiner Tischreden darüber lustig. Sie halten dagegen?

Wir haben, wenn wir an Thomas von Aquin denken, immer das Bildnis von Botticelli vor Augen: den feisten Mönch mit dem großen runden Kopf. Er mag ja einen runden Kopf gehabt haben, aber er war Bettelmönch! Kein Bettelmönch wird sich vollgefressen haben. Außerdem hat man errechnet, dass er in seinem gesamten Leben mehr als 13.000 Kilometer größtenteils ohne Reittier unterwegs gewesen sein muss. Im Marschgepäck führte er oftmals seine Manuskripte und Bücher mit. Ein angenehmes Leben hatte er nicht.

Vielen Dank für das Gespräch!

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