Thomas Schirrmacher: Folter ist nicht nur brutal, sondern auch sinnlos
Wie aus dem Bericht des amerikanischen Senats über die Terrorgefangenen hervorgeht, hat die CIA die Verdächtigen schlimmer gefoltert, als bisher angenommen. Der Geheimdienst hat dadurch auch nicht mehr Informationen gewonnen als rechtsstaatlich agierende Institutionen. Von Thomas Schirmacher
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Der Theologe Thomas Schirrmacher ist überzeugt: Foltern bringt nichts
„Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden“, heißt es in Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Niemand? Umstritten ist unter Juristen und bisweilen auch unter Theologen die Frage, ob das Folterverbot in extremen Ausnahmesituationen eingeschränkt werden kann, wenn es mit anderen Menschenrechten in Konflikt gerät und dem Schutz des Lebens dient, also etwa dem Auffinden einer Bombe oder der Rettung eines Kriminalitätsopfers. Man spricht hier von „Rettungsfolter“. Der amerikanische Geschichtsprofessor und CIA-Spezialist Alfred W. McCoy hat in seinem Buch „Foltern und Foltern lassen“ (2005) nachgewiesen, dass CIA und US-Militär seit dem Zweiten Weltkrieg systematisch gefoltert haben. All das wurde im „Krieg gegen den Terror“ seit 2001 noch überboten. McCoy berichtet von nachweisbar 14.000 irakischen Häftlingen, die gefoltert wurden, von durchgängig gefolterten 1.100 Gefangenen in Guantánamo und Bagram. Er belegt 150 Fälle, wo Gefangene an folternde Diktaturen überstellt wurden und 68 Todesfälle im Zusammenhang mit den Folterpraktiken.
Folter zwecks Schuldbekenntnis
Die CIA erklärte McCoy zum Staatsfeind. Was aber die 480 Seiten Zusammenfassung der 6.300 Seiten des Senatsberichts zur Folter seit 2001 offenbart, zeigt, dass alles noch viel schlimmer war und ist. Denn die Senatskommission, die 119 Fälle detalliert darstellt, hatte Zugang zu wesentlich mehr Akten und Zeugen als McCoy, und kommt zu dem Schluss, dass die CIA weit über den Freibrief hinaus, den sie sowieso seitens des Präsidenten der USA schon hatte, gefoltert hat, häufiger, heftiger und sinnloser, das heißt auch an Menschen, die über keine lebensrettenden Informationen verfügen konnten. Selbst die Berichte an Präsident George W. Bush umfassten nur einen Bruchteil der tatsächlichen Folterpraxis.
Nun wird die Diskussion um die „Rettungsfolter“ zur Rechtfertigung des Vorgehens der CIA angeführt. Der Untersuchungsbericht belegt eindrücklich, dass das Foltern nur in den seltensten Fällen erfolgte, weil man wusste, dass der Gefolterte über Informationen verfügte, die mit Sicherheit Menschenleben retten würden. Das wird sehr deutlich daran, dass es sehr selten darum ging, dass man wusste, welche Information das Opfer haben muss (zum Beispiel, wo er die Bombe platziert hat). Vielmehr hat man einfach systematisch gefoltert, in der Hoffnung, dass der eine oder andere Informationen haben könnte. Oft sollte durch Folter sogar erst einmal herausgefunden werden, ob das Opfer unschuldig oder unbeteiligt sei.
So folterte man auch Gefangene, die entweder als Unschuldige gar nichts wissen konnten, oder in der Hierarchie viel zu weit unten waren, um Gewichtiges preisgeben zu können oder schon viel zu lange gefangen waren, als dass sie noch über relevante aktuelle Informationen verfügen könnten.
Keine brauchbaren Informationen
Dass das viele Foltern eigentlich nichts gebracht hat, kann nur den verwundern, der sich noch nicht mit dem Thema Foltern beschäftigt hat. Das Problem von unter Folter gewonnenen Informationen ist, dass man nicht weiß, ob das Opfer nicht einfach irgendetwas zugibt, damit das Foltern aufhört. Denn durch Foltern kann man nicht in Erfahrung bringen, ob jemand überhaupt Informationen hat oder nicht.
Darüber hinaus bieten Opfer, die über längere Zeit der Folter widerstanden haben, am Ende oft bewusst falsche Informationen an. Wer etwa 180 Stunden ohne Schlaf war, eine beliebte CIA-Methode, wird am Ende sowieso keine brauchbaren Informationen liefern, sondern dem Wahnsinn nahe sein. Kurzum: Der Untersuchungsbericht belegt, dass die CIA trotz ihrer routinemäßigen Folterungen am Ende nicht wirklich mehr Informationen besaß als rechtsstaatlich agierende Institutionen.
Ausnahme als Regel
Dass man wußte, dass das Argument der „Rettungsfolter“ nur vorgeschoben wurde, zeigt sich daran, dass die Folter in der Regel nicht von Polizei, Militär oder Justizbehörden durchgeführt wurde. Vielmehr waren Geheimdienste die ausführende Kraft, die ihre Genehmigungen „geheim“ erhielten, dann aber selbst ihrem Boss und Stichwortgeber, dem Präsidenten der USA, gegenüber das meiste lieber „geheim“ sein ließen.
Und noch mehr ist auffällig: Erlaubnis zur Folter führt zur Eskalation. Der Freibrief zur Rettungsfolter endete allzuoft in der Routinefolter und schließlich in der Freude am Bestrafen, wie die hässlichen Fotos beweisen, die Täter oder Mitläufer mit Folteropfer schossen. Was als absolute Ausnahme und ultima ratio gedacht war, wurde zur Regel und Routine. (pro)
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