Theologe: Kirche soll nicht dem Zeitgeist hinterherhecheln

Die Katholische Kirche ist zu sehr auf sich selbst fixiert, findet der Theologe Gerd Neuhaus. In einem Zeitungsbeitrag kritisiert er zudem, dass die Kirche versuche, bei aktuellen gesellschaftlichen Themen „möglichst vorne dabei zu sein“.
Von Johannes Blöcher-Weil
Gekreuzigter Jesus

Klimawandel und Geschlechter-Gerechtigkeit sind wichtige Themen, zu denen die Katholische Kirche sich positionieren sollte. Viel wichtiger findet der Bochumer Moraltheologe Gerd Neuhaus aber, dass sie nicht dem Zeitgeist hinterherhechelt. Der Gottesdienst entwickele sich zu einem Ort moralischer Bewusstseinsbildung. Neuhaus wünscht sich stattdessen, dass sich Christen dort vergegenwärtigen, dass Jesus für sie gestorben ist.

Die Kirche müsse mit ihrem Verständnis von Erbsünde Antworten auf aktuelle Herausforderungen finden. Adams Schuld bedeute nicht, „dass jeder Mensch noch einmal individuell für die Sünde Adams haftbar gemacht wird“. Es verbiete sich, das Böse als spezifisches Problem der jeweils anderen zu behandeln oder sich über diesen zu erheben.

Für Neuhaus bietet dieses Verständnis eine große Chance zur Versöhnung, aber auch zum Respekt und der Anerkennung gegenüber Menschen mit anderen Auffassungen. Das biblische Bild, dass alle Kinder Adams sind, lehre es, „auch diejenigen als Geschwister anzuerkennen, die dies zunächst gar nicht sind“.

„Keine sozialpolitischen Botschaften paraphrasieren“

Wer das Böse immer nur bei den anderen findet, verfange sich selbst in den Mechanismen der Sünde. Jesus sei für die Sünde der Menschen gestorben und deswegen hätten sie ihn auch in den Tod getrieben, schreibt Neuhaus im Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Die Aufgabe der Kirche sei es, vor einem Weltvollendungswahn und der Gefahr eines moralischen Purismus zu warnen.

Wenn Liturgie und Gottesdienst gefeiert werden, gehe es nicht in erster Linie darum, „sozialpolitische Botschaften religiös zu paraphrasieren“, sondern sich das Geschehen am Kreuz zu verdeutlichen. Dieses Heil könne man nicht aus eigener Kraft herstellen, „für deren Möglichkeit wir uns aber offen halten, indem wir den fragmentarischen Charakter all unserer Bemühungen eingestehen“.

Gerd Neuhaus ist außerplanmäßiger Professor für Fundamentaltheologie an der Ruhr-Universität Bochum.

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5 Antworten

  1. Die Katholiken (zumindest die Deutschen) werden das „hinterherhecheln “ nicht mehr abstellen können.
    Wichtige Weichen sind gestellt, die EKD wird unter vorgehaltener Hand zur Blaupause erhoben.
    Der Skandal um Kindesmissbrauch, schwächt in erster Linie die Traditionalisten, die Modernisten, hingegen verkaufen ihre Produkte als Allheilmittel gegen jede Art von Fehlentwicklungen.
    Den Bezug zu Adam verstehe ich nicht, mein Problem ist nicht Adam, sondern ich selber und so geht es jedem Menschen unter der Sonne und jeder bedarf der Erlösung die Gott in Jesus anbietet.
    Insofern sind wir alle „gleich“, nur die „Bekehrten“ treten aus dieser Masse hervor und bilden eine neue „Schöpfung“, die „erwählte Braut“ !
    Und richtig erkannt, das Kreuz ist der Schlüssel für diese „Statusänderung“ und sollte Kern der Verkündigung sein !

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  2. Die Kritik am Zeitgeist als moralischer Bewusstseinsbildung vernehme ich ständig von konservativen bis reaktionären Mitchristen, die für den Erhalt von Schöpfung Gottes oft nun eine begrenzte Verantwortlichkeit spüren und sich auf das individuelle Seelenheil fokussieren. Sie kritisieren damit insbesondere den Bergprediger Jesus. Die sogenannte Sühneopfertheologie verstehe ich als eine christlich-jüdische Deutung des Schicksals Jesu, nachdem er für seine Menschenliebe umgebracht worden ist. Für uns heutige Menschen, die wir in einem anderen Kontext leben, muss sie symbolisch interpretiert werden, wenn sie nicht zur Weltflucht geraten sollen. Auf keinen Fall sollte sie gegen die praktische Nachfolge Jesu (z.B. Mt 5.13-16 und 7,12) ausgespielt werden.

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    1. Wir leben Gott sei Dank ( noch ) in einem freien Land und jeder kann glauben und denken was er will !
      Dies mal vorneweg.
      Wollte ich einem Taubenzüchter-Verein beitreten, dann vermutlich wegen meiner Liebe zu Tauben.
      Ändern die plötzlich ihre Statuten und das Vereinsziel ist ein Himmel ohne Flugverkehr, fühle ich mich verschaukelt und würde vermutlich den Verein wechseln.
      So ähnlich lieber Ziegler ist ihre Vorgehensweise, sie entkernen das Original, so dass am Ende etwas völlig anderes herauskommt. Gründen sie doch einen neuen Verein, „Schöpfung und Empathie“ oder so ähnlich, aber lassen sie das Evangelium in seinen Fundamenten stehen. Und denken sie auch an ihr eigenes Seelenheil ! Liebe Grüße vom „reaktionären Mitchristen“ !

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  3. „Auf keinen Fall sollte sie gegen die praktische Nachfolge Jesu (z.B. Mt 5.13-16 und 7,12) ausgespielt werden.“
    Da gehe ich voll mit:
    „Du hast Glauben, und ich habe Werke. Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, so will ich dir meinen Glauben zeigen aus meinen Werken.“ (Jakobus)

    Aber, dass Jesus „für seine Menschenliebe umgebracht worden ist“ halte ich für eine kaum begründbare Interpretation, die an dem Eigentlichen, Jesu Sterben für unsere Sünden, vorbeigeht.

    Denn die biblischen Texte belegen doch zunächst das sein Tod nicht(!) wg. Menschenfreundlichkeit gefordert wurde:
    „Die Juden antworteten ihm: Um eines guten Werkes willen steinigen wir dich nicht,
    sondern um der Gotteslästerung willen und weil du ein Mensch bist und machst dich selbst zu Gott.“

    und hier:
    „Kaiphas aber war es, der den Juden geraten hatte, es wäre gut, ein Mensch stürbe für das Volk.“ (Johannes)

    Und auch hier:
    „Da fragte ihn der Hohepriester abermals und sprach zu ihm: Bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten?
    Jesus aber sprach: Ich bin’s;
    und ihr werdet sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen mit den Wolken des Himmels.
    Da zerriss der Hohepriester seine Kleider und sprach:
    Was bedürfen wir weiterer Zeugen?
    Ihr habt die Gotteslästerung gehört. Was meint ihr?
    Sie aber verurteilten ihn alle, dass er des Todes schuldig sei.“

    Und schließlich die Aussagen von Jesus selbst, im Zusammenhang mit dem Passamahl, belegen seinen stellvertretenden Sühnetod, der uns aus Sünde befreit:
    „Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.“ (Markus)
    „das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.“ (Matthäus)

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  4. Die Deutung von Herrn Bütker stimmt so freilich nicht. Schon historisch ist es ausgesprochen unplausibel, dass die Römer – und nur diese konnten zum Tode verurteilen – einen innerjüdischen Religionsstreit um die „Menschensohnschaft“ für ausreichend gehalten hätten für eine Kreuzigung (die im übrigen gar nicht so sehr blutig ist, wenn von Blut die Rede ist, meint das meistens das gesamte Leben als eine Hingabe). Außerdem kommt man mit dieser Deutung unweigerlich zu einem kirchengeschichtlich verheerenden Antijudaismus.
    Die Deutungen des Todes Jesu sind bereits im NT außerordentlich vielfältig, polyperspektive und differenziert. Eine kurze Zusammenfassung des trägen Konsenses in der neutestzamentlichen Forschung liefert das Buch des Neutestamentlers und ehemaligen Bischofs der Evangelisch methodistischen Kirche Walter Klaiber (Klaiber, Walter: Jesu Tod und unser Leben. Was das Kreuz bedeutet. Leipzig 2011.) Ebenfalls sehr erhellend ist der Vortrag des Neutestamentlers Prof. Peter Wick auf Worthaus.
    https://worthaus.org/worthausmedien/warum-musste-jesus-sterben-9-4-1/
    Eine Verengung auf einen vulgär-anselmistische Variante („vulgär“, weil sie dem komplexen Denken Anselms nicht gerecht wird und dessen historische Bedingtheit nicht in Rechnung stellt)- wie sie in sehr konservativen und fundamentalistischen Kreisen üblich ist – ist weder biblisch noch letztendlich überzeugend.

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