Klaus Tanner gehört auch zur Kammer für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Gebe man zu, dass es Fundamentalismus geben könne, „würden alle Religionen unter einen Generalverdacht gestellt: Sie könnten fundamentalistisch sein.“
Statt über Fundamentalismus zu sprechen, könne man die alten lutherischen Begriffe „Schwärmerei“ und „Aberglaube“ wieder einführen. Außerdem sollte man sehr viel stärker zwischen unterschiedlichen Wissenstypen unterscheiden, hob Tanner hervor. „Fragen der Lebensführung lassen sich nicht naturwissenschaftlich beantworten“, sagte der Theologe. „Wer vor einer Hochzeit eine mathematische Kosten-Nutzen-Rechnung durchführt, sollte es lieber bleiben lassen.“
Evangelikale keine Fundamentalisten
Der Greifswalder Politologe Karsten Fischer sagte auf der Veranstaltung in Berlin, seiner Ansicht nach seien Evangelikale und Pfingstkirchler keine Fundamentalisten, auch wenn es in ihren Reihen fundamentalistische Strömungen geben kann. „Nicht alles, was einem liberalen Theologen religiös nicht passt, ist deswegen Fundamentalismus“, sagte Fischer. „Evangelikale sind zwar radikal, aber nicht gefährlich, und haben einen legitimen Platz in unserer Gesellschaft.“
Kennzeichnend für Fundamentalismus ist aus Sicht von Fischer die Ablehnung der historisch-kritischen Methode sowie die fehlende Bereitschaft, Glaubensgrundsätze zu hinterfragen. Aus Sicht des Politologen ist der Fundamentalismus ferner ein „interkulturelles Phänomen“. Im Islam wie im Christentum seien fundamentalistische Bewegungen zeitgleich, aber voneinander unbeeinflusst entstanden. Als in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA erste Gruppen des „christlichen Fundamentalismus“ entstanden, bildete sich in Ägypten die Muslimbruderschaft. Parallel zum Entstehen des Neokonservatismus und dem Auftreten von fundamentalistischen Fernsehpredigern in den USA habe es im Iran die islamische Revolution und die Gründung von Al-Qaida in Afghanistan gegeben. In allen Fällen handele es sich um eine „religionspolitische Reaktion auf Modernisierungsprozesse“, die darin bestehe, „alle entscheidungsbedürftigen Belange der Autorität einer religiösen Offenbarung zu unterstellen“.
Der Forschungsbereich Religion und Politik der Humboldt-Universität zu Berlin veranstaltet regelmäßig die „Berliner Reden zur Religionspolitik“. Dabei debattieren Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen über Grundsatzfragen und aktuelle Themen.