Dieser Schrei hallt nach. Es ist kein Schmerzensschrei. Kein Schrei aus Wut. Oder aus Angst. Agnes schreit, weil ihr Vergebung zugesprochen wird. Sie weint und brüllt und jauchzt in schrillen Tönen, vor Erleichterung. Doch dafür musste sie zuerst töten.
So geschieht es in „Des Teufels Bad“, einem deutsch-österreichischen Wettbewerbsbeitrag für die diesjährige Berlinale. Die Hauptfigur Agnes (Anja Plaschg) heiratet Mitte des 18. Jahrhunderts Wolf (David Scheid) aus dem Nachbardorf. Sie leben in Oberösterreich, umgeben von Wald und Hügeln, die Natur ist ebenso rau wie die Menschen im Ort. Leben bedeutet hier auch Überleben – und das vor allem mit Gottes Hilfe. Denn die Menschen sind religiös geprägt, das Gebet bestimmt den Lebensrhythmus, der Pfarrer ist unverrückbare Autorität.
Gebet zu Gott und Maria
Es ist ein rauschendes Hochzeitsfest, das Agnes und Wolf verbinden soll, und nichts wünscht sich die junge Frau mehr als ein Kind. Doch vor dem Paar liegt keine frohe Zukunft. Vor ihm liegt das Verderben. Wolf ist freundlich, aber körperlich nicht an seiner Ehefrau interessiert. Nacht für Nacht betet Agnes um ein Kind, Selbstzweifel beginnen an ihr zu nagen, als Wolf sie nicht anrührt.
Auch mit dem Fischfang, aus dem Wolfs Familie den Lebensunterhalt bestreitet, tut sie sich schwer. Agnes verliert sich in den Weiten des Waldes, betet stundenlang zu Gott und Maria, verirrt sich dabei allzu oft und versäumt es, ihrem Mann rechtzeitig das Essen auf den heimischen Tisch zu stellen. Nichts scheint sie recht zu tun, und als sie ihre Schwiegermutter eines Tages sagen hört: „Agnes ist das Kreuz, das wir tragen müssen“, verzweifelt sie vollends.
Sie verliert sich in Visionen, steht nicht mehr aus dem Bett auf, schreit, weint unkontrolliert. Nimmt sogar Gift, um sich das Leben zu nehmen. Wäre der Suizid gelungen, so hätte sie ewige Verdammung erwartet. Denn Selbstmörder wurden damals auch im echten Leben nicht bestattet. Ihre Leichen landen im Film auf einem Feld, wo sie verrotten. So geschieht es einem jungen Mann im Dorf, der sich – wohl wegen seiner erotischen Gefühle für Männer – erhängt.
Am Sonntag darauf predigt der Pfarrer über ihn: „Die Seele von Lenz, die ist für immer verloren.“ Sogar einer ortsbekannten Mörderin sei es da besser ergangen. Die habe vor ihrer Hinrichtung immerhin beichten können und Absolution erhalten.
Ein teuflischer Plan
Im 18. Jahrhundert war die Krankheit Depression noch wenig erforscht. Agnes sei in des Teufels Bad, heißt es nur. Besessen also. Was nun folgt, ist keine Austreibung, wie man als Zuschauer kurz fürchtet. Der Film zeigt vielmehr eine Realität der damaligen Zeit, die den meisten kaum bekannt sein dürfte. Agnes sucht verzweifelt nach einem Ausweg. Die hochreligiöse Frau ist sicher: Sie ist keine gute Ehefrau. Alles, was sie anfasst, zerbricht. Einzig der Glaube an göttliche Erlösung gibt ihr eine letzte Hoffnung.
So beschließt sie, ausgerechnet aus der Sehnsucht nach Gnade heraus, einen teuflischen Weg zu beschreiten. Sich selbst etwas anzutun, scheidet aus. Aber warum sollte sie es nicht der Kindsmörderin nachtun?
Achtung, Spoiler: So landet sie am Ende ihres Lebens im Gefängnis und im Beichtstuhl. Sie schreit ebenso bitterlich wie verzweifelt und geradezu erleichtert, als der Pfarrer die von ihr so herbeigesehnten Worte – damals noch auf Latein – spricht: „So spreche ich dich los von deinen Sünden. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
„Des Teufels Bad“ ist verstörend, brutal und grausam. Nicht nur wegen des Bluts, das fließt. Sondern vor allem wegen der Hoffnungslosigkeit seiner Protagonisten. Gerade für Christen ist er kaum auszuhalten, sind sie doch gewiss: Gott ist Barmherzigkeit und Liebe. Seine Gnade ist keineswegs so unerreichbar, wie Agnes es glaubt. Eine Annahme, an der sie letztlich zerbricht.
Folgt man dem Kommentar der Filmemacher im Abspann, so ist Agnes‘ Schicksal und der Weg, der sie zur Mörderin machte, für diese Zeit keine Ausnahme. Immer wieder, so heißt es, seien vor allem Frauen aus Verzweiflung und aus Sehnsucht nach Absolution zu Mörderinnen geworden. Denn nach der Beichte folgte zwar die Hinrichtung. Doch zuvor bekamen sie die Chance auf Vergebung ihrer echten oder angenommenen Sünden, auch des Mordes.
Veronika Franz und Severin Fiala haben einen Film gemacht, der besonders für Christen ebenso intensiv wie düster ist. Es geht um die Suche nach Gnade in einer gnadenlosen und noch dazu hochreligiösen Welt. Damit bewegen sie sich über das 18. Jahrhundert hinaus. Die Suche nach Absolution treibt auch den heutigen Menschen an – und schrecklich oft in die Irre.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen im Februar 2024.