„Raserei“ ist ein altes Wort für „Wahnsinn“. Wer der Raserei verfallen ist, ist nicht mehr zurechnungsfähig, handelt unkontrolliert, bringt sich und andere in Gefahr. Wenn heute vom „Rasen“ die Rede ist – zumindest außerhalb von Grünflächen – ist damit zu schnelles Fahren gemeint. Zum Beispiel auf Autobahnen. Eigentlich verbietet die Straßenverkehrsordnung zu schnelles Fahren dort bereits. „Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird“, steht dort.
Trotzdem macht die Forderung nach einem Verbot des Rasens die Runde, namentlich ein Tempolimit von 120 oder 130 km/h auf Autobahnen. Das will nicht nur die Deutsche Umwelthilfe (DUH), sondern auch die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Doch so verständlich es auch ist, dass nüchterne Protestanten eher skeptisch gegenüber Raserei sind, so irritierend ist es, dass ausgerechnet die Kirche sich in kleinteilige Verkehrspolitik einmischt.
Argumente sprechen eher für Tempolimit
Der automobile Schlachtruf „Freie Fahrt für freie Bürger“ hat seit Jahren erfolgreich dafür gesorgt, dass es auf etwa 70 Prozent der Autobahnkilometer keine Geschwindigkeitsbegrenzung gibt – auch wenn die gefühlte Wirklichkeit mancherorts anders sein mag. Nicht nur zügig fahrende Dienstwagenbesitzer, auch die vor allem deutschen Hersteller kraftstrotzender Premiumfahrzeuge profitieren davon. Denn wer braucht schon 400 PS und einen Achtzylinder-Verbrenner mit zwei Turboladern, wenn man damit nicht einmal den vierten von acht Gängen ausfahren darf?
Dabei sprechen Argumente dafür, die Bleifüße der Deutschen etwas leichter zu machen. Laut Schätzungen der Agora Verkehrswende würde durch ein Limit von 130 km/h eine bis zwei Millionen Tonnen CO2 wegfallen. Auch stiege die Verkehrssicherheit, schätzen Befürworter des Limits. Schließlich gebe es laut Statistiken auf Abschnitten mit Begrenzungen weniger Unfälle. Der Verkehrs- und Stauforscher Michael Schreckenberg warnte in der Rheinischen Post vor überzogenen Erwartungen. Bei starren Tempolimits ohne gewichtigen Anlass würden Autofahrer schneller ermüden und sich eher mit dem Smartphone beschäftigen, was die Unfallgefahr in die Höhe schnellen lasse.
„Wir schützen das Klima ein wenig, wenn wir nicht mehr rasen“, sagte Claudia Kemfert im MDR-Fernsehen. Sie sitzt im Sachverständigerat für Umweltfragen, das ein Ideenpapier zur mobilen Zukunft ausgearbeitet hat. Das Tempolimit ist dort nur eine flankierende Maßnahme neben vielen anderen.
Mit gutem Beispiel vorangehen
Wer die Debatte verfolgt, dem wird klar: Hier gibt es noch Gesprächsbedarf, auch wenn ein Tempolimit logisch erscheint. Nicht nur deswegen ist es befremdlich, dass sich die EKM so deutlich auf eine Seite schlägt. Sie wirft damit noch weitere Fragen auf: Ist es etwa unchristlich, gegen ein Tempolimit zu sein? Die Landeskirche teilte mit, eine Petition starten zu wollen. Nicht sofort, wie sonst üblich, sondern erst zum Beginn der Fastenzeit am Aschermittwoch. Das Engagement für eine Einführung des Tempolimits wird damit eingebettet in eine Zeit, in der viele Christen bewusst Verzicht üben. Eine politische Forderung, die einen solchen Verzicht per Gesetz allen Bürgern aufdrückt, konterkariert diese Zeit freiwilliger Entsagung.
Besser wäre es, die Kirche würde selbst mit gutem Beispiel voran gehen. Jährlich veröffentlicht die Deutsche Umwelthilfe, mit welchen Dienstwagen die Leitungsebene der Großkirchen durch die Republik fährt. Darin kritisiert die DUH auch die EKM, deren Landesbischöfin so, wie acht ihrer Kollegen, mit einem 7er BMW unterwegs ist. Der hat übrigens ein ab Werk eingebautes Tempolimit: 250 km/h.
Von: Nicolai Franz