Tagesschau hätte Mord an Studentin aufgreifen müssen

Die Tagesschau hat nicht über den Mord an einer Studentin berichtet, der mutmaßlich von einem 17-jährigen Flüchtling verübt wurde. Das schlägt hohe Wellen – und die Begründung der Redaktion ist schwach. Ein Kommentar von Moritz Breckner
Von PRO
In der Kritik: Die Tagesschau hat nicht über die Festnahme des mutmaßlichen Mörders der vergewaltigten und ermodeten Studentin Maria L. berichtet

Als am Samstag die Freiburger Polizei bekanntgab, nach dem Mord an einer jungen Studentin sei ein dringend tatverdächtiger 17-jähriger Flüchtling aus Afghanistan festgenommen worden, übertrugen zwei Nachrichtensender live. Minuten später diskutierten tausende Nutzer sozialer Medien über den Kriminalfall, auf dessen Lösung seit Wochen Menschen und Medien in ganz Deutschland warteten.
Das ARD-Flaggschiff „Tagesschau“ entschied sich, in seiner Abendausgabe nicht über den Fall zu berichten. Eine Entscheidung, die hohe Wellen schlägt: Das Magazin Stern wirft der ARD das Verschweigen einer der wichtigsten Nachrichten des Tages vor, und erklärt: „Sie setzt sich damit dem Vorwurf der Lügenpresse aus. Und dieses Mal nicht ganz zu Unrecht.“ Dass Deutschlands führende Nachrichtensendung die Meldung unterschlug, war auch der Tageszeitung Die Welt, dem Focus und dem Branchendienst Meedia eine Meldung wert.

Begründung der Redaktion leuchtet nicht ein

Zahlreiche Zuschauer beschwerten sich bei Facebook darüber, dass die Tagesschau die Meldung nicht aufgriff. Die Redaktion erklärte im sozialen Netzwerk: „Bei aller Tragik für die Familie des Opfers hat dieser Kriminalfall eine regionale Bedeutung. Die Tagesschau berichtet überregional, als Nachrichtensendung für ganz Deutschland.“ Diese Begründung reicht nicht aus: Zahlreiche überregionale Medien griffen den Fall über Wochen immer wieder auf, über die Festnahme des jungen Afghanen berichteten auch internationale Medien wie die Washington Post oder die britische Daily Mail.
Die Tagesschau-Redaktion erklärt weiter: „Da es sich bei dem Verdächtigen um einen 17-Jährigen handelt, ist bei jeglicher Berichterstattung der besondere Schutz von Jugendlichen und Heranwachsenden zu beachten – unabhängig von deren Herkunft. Auf Tagesschau.de sowie auf Facebook und Twitter haben wir am Nachmittag berichtet.“ Was die Journalisten hiermit sagen wollen, bleibt schwammig. Ist die Aussage so gemeint, dass über den Ausgang eines viel beachteten Mordfalles nur berichtet werden kann, wenn der Täter volljährig ist? Wenn ja: Warum hat die Tagesschau dann online darüber berichtet? Die Begründung ist nicht schlüssig und obendrein widersprüchlich.

Chefredakteur Gniffke verteidigt Entscheidung

Am späten Sonntagabend schob der Chefredakteur von ARD aktuell, Kai Gniffke, eine ausführlichere Begründung hinterher. „Die Tagesschau berichtet über gesellschaftlich, national und international relevante Ereignisse. Da zählt ein Mordfall nicht dazu“, teilte er mit. Der Mordfall in Freiburg habe sich nicht von anderen Mordfällen abgehoben, weswegen man auch die Festnahme nicht gemeldet habe. „Die Herkunft des mutmaßlichen Täters hat also mit dieser Entscheidung nichts zu tun“, schrieb Gniffke, die Redaktion benenne gegebenenfalls auch die Herkunft der Täter wie bei der Berichterstattung über die Übergriffe in Köln am vergangenen Silvester.
Man hätte auch anders entscheiden können, argumentiert Gniffke, habe aber die Relevanz des Mordfalls höher gewichtet als dessen „Gesprächswert“. Die Tagesschau-Redaktion täte gut daran, die beiden Kriterien miteinander zu verknüpfen. Viele Menschen finden genau das relevant, worüber sie sprechen, und haben wenig Verständnis und erst recht kein gutes Gefühl dabei, wenn sie damit bei führenden Medienvertretern auf taube Ohren stoßen.
Die Welt-Journalistin Kathrin Spoerr nennt den Mord an Maria L. eine „unerträgliche Zuspitzung der inneren Verfasstheit unseres Landes“. Diese Einschätzung hätte man eigentlich auch den Tagesschau-Redakteuren zugetraut. (pro)

Ergänzung 5.12.2016, 18 Uhr:

Der Chefredakteur von ARD aktuell, Kai Gniffke, hat mittlerweile auch in einem Video Stellung bezogen. Die Süddeutsche Zeitung kommentiert indes: „Vielleicht hat die Redaktion die Bedeutung des Mordfalls einfach falsch eingeschätzt. Dann wäre es aber besser, die ARD würde jetzt schlicht bekennen: Sorry, auch wir machen mal Fehler.“Gebt dem Publikum die Information (pro)
Sächsische Zeitung will künftig Nationalitäten von Straftätern benennen (pro)

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