Auch nach knapp eineinhalb Jahren des Aufstands in Syrien zeichnet sich kein Ende des Konflikts ab. Allen Unkenrufe zum Trotz ist es noch zu früh, sich auf einen Sieger festzulegen. Die Zukunft des Landes ist alles andere als ausgemacht. Für die Teilnehmer der Tagung in Hofgeismar am vergangenen Wochenende stand lediglich fest: Die Lage ist schwierig zu durchschauen. Und: Der Konflikt wird Syrien grundlegend verändern.
Egal, wie dieser Umschwung aussehen wird: Die Frage der Religionsfreiheit wird dabei "zu den sensibelsten" gehören, mutmaßt Martin Tamcke, Göttinger Professor für Ökumenische Theologie mit dem Schwerpunkt orientalische Kirchen. Gerade wenn Syrien ein islamisches Gepräge erhalten sollte, würden Christen ein "wesentlicher Indikator" dafür sein, wie ernst es die künftigen Machthaber mit Religionsfreiheit und Minderheitenschutz meinen.
Doch umgekehrt seien die Christen auch gefragt. Unter dem Schutz des Regimes seien sie nie herausgefordert gewesen, mit den verschiedenen muslimischen Gruppierungen ernsthaft ins Gespräch zu kommen. "Keiner hat freiwillig das Gespräch mit einem Islamisten gesucht. Jetzt muss man lernen, mit einer Stimme zu sprechen." Umgingen Christen den Dialog, mache die muslimische Mehrheit, was sie wolle. "Wenn Christen eine Rolle spielen wollen, dann müssen sie mit der Mehrheit reden."
"Christen sind kein Sonderfall"
Der Wiener Theologe und gebürtige Syrer Waseem Haddad machte deutlich, dass es Christen in Syrien nicht anders erginge als anderen Minderheiten. Sie seien etwa nicht mehr als andere Gruppen Opfer von Gewalttaten. Wie bei anderen Minderheiten gebe es bei ihnen unterschiedliche Haltungen zum Regime. Es sei auch falsch, anzunehmen, die jeweiligen geistlichen Vorsteher sprächen unbedingt für das gesamte Kirchenvolk.
Haddad, der der syrischen Oppositionsorganisation "Syrische demokratische Plattform" angehört, sieht die Zukunft des Landes und der Christen optimistisch. Zwar sei eine Islamisierung nicht auszuschließen. "Aber es gibt auch die Möglichkeit, dass es in Richtung Demokratie geht." Christen müssten daran mitwirken. Sie dürften sich nicht hinter dem Regime verstecken. Dies habe in der Vergangenheit nur ein Nebeneinander der Religionsgruppen, jedoch kein echtes Miteinander bedeutet.
Nutzlose Kämpfe
Außerdem forderte Haddad eine Ende der Kampfhandlungen. Einwänden, dies funktioniere angesichts der Truppen Assads nicht, entgegnet er: "Mit einem bewaffneten Kampf gegen Assad funktioniert es auch nicht." Eine friedliche Revolution forderte auch Alexius, der in Hamburg Pfarrer der griechisch-orthodoxen Kirche von Antiochia ist. "Ich bitte sie, dafür zu appellieren, dass die Waffen schweigen. Egal, wer stirbt, es sind Syrer."
Statt Kampfhandlungen forderte Alexius einen Dialog, kritisierte dabei jedoch die unscharfen Äußerungen der Oppositionsgruppen. "Ich habe Angst, weil die andere Seite bislang kein Programm hat. Die Freie Syrische Armee hat nach eigenem Bekunden Strukturprobleme. Sie ist führungslos. Solange sie sich nicht einig sind, wissen wir als Bürger nicht, was sie wollen."
Für den Theologen Tamcke gibt es indes eine grundlegendere Voraussetzung für den Dialog: Die Versöhnung mit den Muslimen, vor allem mit den Sunniten und den Muslimbrüdern, gegen die das Regime mitunter brutal vorging. "Zu tief sitzen die […] Wunden der Vergangenheit, als dass man nun erwarten dürfte, dass sie einfach darüber hinweggehen könnten." Eine aufgeschobene Versöhnung würde nur zu einer "verlogenen Scheinwirklichkeit" führen. "Es wird eine Aufarbeitung der Vergangenheit geben müssen oder schlimmstenfalls eine Fortsetzung der Abrechnung." (pro)